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1983 MIT FAMILIE NACH AFRIKA

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Über Windhoek tobt ein Unwetter. Wir können nicht landen – fliegen weiter nach Keetmanshoop, Richtung Süden. Die Kinder nörgeln. Ole weint, klagt über Ohrenschmerzen, spuckt seiner Mutter den Overall voll.

Nun wird’s doch noch kritisch. Ungefähr siebzehn Stunden fliegen wir jetzt – mit einer Stunde Unterbrechung in Frankfurt, sechs Stunden in Johannesburg und einer halben Stunde in Upington.

Bis Johannesburg hat der Vorrat an selbst verordneter Beherrschung und Gelassenheit gereicht. Dass die Lufthansa trotz zahlreicher Telefonate nun doch keine zusammen hängenden, am Gang liegenden Plätze für uns vorgesehen hatte, ja angeblich nicht einmal wusste, dass wir einen Säugling und zwei Kleinkinder dabei hatten – Imme, meine Frau, trägt es mit einer Fassung, zu der man nur in außergewöhnlichen Lebenslagen fähig ist. Dass schon im Anflug auf Frankfurt, also gewissermaßen noch zu Hause, bevor überhaupt der Ernst der Sache beginnt – dass also im Anflug auf Frankfurt drei Gläser mit Babynahrung das Innere einer Reisetasche verheeren, verleitet mich nicht zu billigem Triumph, mich, der ich vorher vergeblich vor diesem Versorgungs-Perfektionismus meiner Frau gewarnt hatte. Auch den hierdurch eingetretenen Verlust meines besten weißen Hemdes verkrafte ich angesichts der großen Dinge, die vor uns liegen. Dass Imme sich beim Säubern der Reisetasche tief und farbenfroh den Finger schneidet, ist so typisch für sie, dass ich eben deshalb ihr mit menschlicher Größe entgegen trete.

Die endlosen Gangsysteme des Frankfurter Flughafens waren schon bedrückend. Es schien, wir sollten von dieser Erde Abschied nehmen. Dass sich Imme schließlich an der Passkontrolle mitsamt des Gepäcks so allein fühlte und den Rest der Familie ausrufen lassen musste, weil ich in dieser unterirdischen Kälte den ausgerissenen Ole suchte und dabei für meine Kinder eine Käsebrötchenhälfte zu je sechs Mark fand, das hob nicht die Stimmung, zumal das kostenlose Abendbrot anschließend an Bord der Lufthansa-Maschine nahezu unangetastet blieb.

Das alles kommt nicht unerwartet. Im Prinzip sind wir darauf vorbereitet. Doch die eigentliche Bewährungsprobe ist vielleicht gar nicht das Durchstehen spektakulärer Vorfälle, sondern das Meistern des folgenden Kleinkriegs, der in undramatischer Stille stattfindet.

Nur die unmittelbare Nachbarschaft erfährt von der unendlichen Geduld, mit der die Eltern zum hundertsten Male den Durst der Kinder löschen und ihren Hunger stillen, sie auf und unter den Sitzen zur Nachtruhe betten, uralten Streit schlichten und ihrer dreijährigen Tochter auf besonderen Wunsch den englischen Originalton von „Falling in Love“ im Kopfhörer einstellen. Selbst das wütende Wortgefecht zwischen Vater und Mutter, das sich in solchen Situationen wie selbstverständlich einzustellen pflegt, bleibt unterkühlt, da es ja vorauszusehen war.

Und dann, wenn alles ruhig ist und die letzten Leselampen im dezent dröhnenden Jumbo ausgehen und nur noch hier und da ein Fluggast im Dunkeln seinen Whisky nippt, dann beginnt das quälende Kämpfen und Ringen um eine Mütze voll Schlaf. Ein Königreich für eine Mütze voll Schlaf! Aber der auch im Liegesitz gekrümmte Körper findet die nötige Entspannung nicht, die Beine sind mal wieder zu lang für diese Welt.

Ich weiß nicht, mit welch dumpfem Gleichmut die meisten Menschen dies alles ertragen. Die Tatsache, dass es so viele sind, schmälert unsere Leistung nicht. Drei Jahre Namibia liegen vor uns. Dafür lohnt es sich zu leiden.

Auf dem Flughafen in Johannesburg nehmen wir fünf Koffer begleitetes Fluggepäck in Empfang, um es durch den Zoll zu schleusen. Die versprochene Hilfe des Flugzeug- und Flughafenpersonals für Familien mit Kindern wird uns auch hier nicht zuteil. Werbeversprechungen dürfen nie ernst genommen werden – das wissen wir aus langjähriger Konsumerfahrung.

Die Suche nach einem fehlenden Koffer ist nur ein Ereignis am Rande. Meine Suche nach einer anständigen Beseitigungsmöglichkeit für Oles vollgekackte Windel findet erst ein Ende, als mir eine schwarze Putzfrau diese Last abnimmt. Die Fahrt mit dem Hotelbus beschert uns schwarze Mitfahrer. Auch hier sind wir nicht überrascht. Dass wir uns im Apartheid-Staat befinden, ist uns noch nicht bewusst.

Die Kinder sind relativ gut ausgeschlafen, und so bringen uns die drei Stunden im Hotelzimmer auch nicht die ersehnte Ruhe. Wir gehen abwechselnd in den Hotel-Innenhof, genießen am Swimmingpool eine Erfrischung und beobachten die weißen Gäste und ihr schwarzes Personal.

Der Vorrat an selbst verordneter Beherrschung und Gelassenheit hat bis jetzt gereicht. Aber Ausdauer fehlt nun doch. Wir sind einfach schon zu lange unterwegs.

Ungeduld stellt sich ein und überträgt sich auf die ohnehin schon ungeduldigen Kinder. Wir wollen jetzt, bitte sehr, sofort da sein! Aber der kleine SAA-Jet auf „Inlandsflug“ von der Republik Südafrika nach Namibia/Südwestafrika schaukelt einem Unwetter entgegen, und als wir in Keetmanshoop in schwarzer Nacht landen, da hat Ole seiner entnervten Mutter den Overall nass gespuckt. Da helfen auch die freundlichen Südwester nicht, unsere Mitreisenden: Der Besitzer einer Getreidemühle, der aus einem Dorf in der Nähe meiner Heimatstadt stammt und einen Schulfreund von mir kennt. Der Versicherungsagent, der unsere Verwandten kennt, die auf dem Windhoeker Flughafen bisher vergeblich auf uns warten.

Als ich dem klimatisierten Flugzeug entsteige, um etwas frische Luft zu schnuppern, schlägt es mich fast um. Die schwarze Nacht umfasst mich mit heißen weichen Fingern. Ich glaube sie anfassen, mich in sie hineinlegen zu können. Nie habe ich Luft so sehr als Materie verstanden wie in diesem Augenblick – auch ein steifer norddeutscher Nordwest kommt da nicht mit, und nasse Sachen trocknen im Nu.

Als wir gegen Mitternacht in Windhoek landen, beseelt uns nur ein Gedanke: Irgendwo in einem Hotelzimmer zur Ruhe kommen. Aber Ulla, die Farmersfrau, die uns eingeladen hatte, die erste Zeit auf der Farm zu verbringen, macht uns mit Nachdruck einen Strich durch die Rechnung. Zwar ist sie, um uns in Empfang nehmen zu können, mit ihrem Mercedes-Diesel schon rund 300 km gefahren, aber das stört sie nicht. Sie will jetzt noch zur Farm zurück, das sind weitere 300 Kilometer. Würden wir am Morgen fahren, kämen wir zu sehr in die Tageshitze hinein. Dem Landeskundigen wollen wir uns beugen – auch das hatten wir uns vorgenommen.

Das ist unsere erste Begegnung mit Südwest: Im Scheinwerferlicht dahinhuschende Akazien links und rechts, oft groß, silbrig aufleuchtender Weißdorn, dann wieder eichenähnlich knorrig gewachsener Kameldorn, dahinter zurücktretend eine immer gleich bleibende Wand aus dichtem Busch.

Einmal sehen wir im letzten Augenblick des vorwärts strebenden Lichts Hörner und Kopf eines Kudubullen. Leuchtende Augenpaare sind auf uns gerichtet, Schakale, wie wir erfahren. Sie werden hier umgefahren wie in Deutschland die Kaninchen und Igel. Wir werden informiert: Für den Autofahrer ist das Wild eine weit größere Gefahr als in Deutschland, trotz der Kuduseuche, die kürzlich den Bestand bedrohlich vermindert hat. Aber es wird auch zu viel gejagt, besonders die Buren gelten schon seit altersher als besonders rücksichtslos. Auch die Trophäenjäger aus Übersee, die Amerikaner zum Beispiel, die mit dem Zollstock zur Jagd gehen. So fahren wir und fahren, reden ein wenig oder nicken kurz ein. Draußen sehe ich nur einmal eine Ortschaft. Zwischen drei und vier Uhr morgens verlassen wir die Teerpad1. Der dunkle Busch links und rechts tritt näher an uns heran, der Weg vor uns ist aus Schotter, dann aus rotem Sand.

Das muss man auch erst lernen, auf diesen Scrapper-Pads2 zu fahren, man rutscht leicht weg, und wenn sie ausgefahren sind oder tiefgründig weich, dann musst du in der Spur bleiben, auch wenn sie durch tiefste Pfützen führt ... Mag sein, denken wir, jetzt möchten wir aber erstmal ankommen. Später erfahren wir am eigenen Leibe, dass unsere Fahrerin recht hat ...

Dann taucht aus der Finsternis ein weißes Dreieck auf, schält sich heraus, entpuppt sich als langgestrecktes flaches Haus, beleuchtet, hinter Drahtzäunen.

Die Fahrt war ermüdend und aufregend zugleich: Träumten oder wachten wir? Geschah etwas mit uns oder waren wir selbst die Handelnden? Es dauerte alles so lange, und doch sind wir jetzt plötzlich da! Überraschung, Erstaunen, auch ein leiser und innerer Jubel erfüllen uns. Gespannt und abgespannt zugleich steigen wir aus in die afrikanische Nacht. Hundegebell, Grillenkonzert, fremde Vogellaute und ein großer, großer Himmel mit Sternen, wie wir sie in dieser Klarheit nie sahen.

Dennoch macht es einige Mühe, etwas Munterkeit für die Begrüßung zusammen zu kratzen. „Ich bin Peter!“, bringe ich lächelnd heraus, und Hinrich antwortet mit einem norddeutschen „Jo“, wortkarg und trocken nach Art der Familie. Aber es ist ja auch schon 5 Uhr morgens.

Hoffnung auf Regen

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