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ОглавлениеOmbra-Szene ohne Szene Wechsel vom Grundton zur Unterquart – so beendeten Sänger, von zwei Continuo-Akkorden gefolgt, ihre Rezitative jahrhundertelang: die am deutlichsten schließende, Konvention gewordene Formel, zugleich Doppelpunkt vor der folgenden Arie oder dem Ensemble. Als Themenkopf begegnet die Floskel im c-Moll-Andantino von Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert KV 271 unausgesetzt, mit den kadenzierenden Akkorden dreimal (s. das Notenbeispiel in Kapitel 17). Der 23-Jährige hatte es für die Tochter des Ballettmeisters Noverre, noch mehr jedoch für sich selbst geschrieben. Sollte die Musik immer neu einen Schlusspunkt versuchen?
Rezitativ ohne Worte war ungewöhnlich, aber nicht neu; ebenfalls in c-Moll begegnet ein solches in der mittleren der drei Sinfonien (Nr. 7, »Le Midi«), mit denen Haydn seinen Einstand in Esterháza gab. Den ersten Biografen gegenüber hat er es »Unterredung zwischen Gott und einem leichtsinnigen Sünder« genannt, was nicht heißt, dass ursprünglich Worte unterlegt waren – mitgedacht schon eher. Wahrscheinlich aber hatte er das »Gespräch« von vornherein in eine musikalische Idealität hineinprojiziert, die der Worte nicht bedarf, das deklamative Gepräge jedoch übernimmt. Dem widerspricht nicht, dass man Worte vermisst, es befördert die Überführung einer Floskel in eine ausdrucksschwere Melodie.
Rezitativisch redet Mozart in seinem Andantino von Anfang an, die Melodie zunächst in einzelne, mühsam aufwärts strebende Floskeln aufspaltend, ehe ein viertaktiger Bogen zustande kommt; dem schließen sich gegenläufige Skalen an, danach auf die Schlussformel zulaufend, als dränge die Musik vorzeitig auf ein Ende. Weil das innerhalb des Satzes noch zweimal geschieht – am Satzschluss bekommt die Musik endlich, was sie immer wollte –, liegt der Blick auf die Ästhetik des »au bord du silence« nicht fern.
Dem allerdings steht entgegen, dass es seit je Auftrag dieser Formel war, das Tor zur Arie zu öffnen. Und das passt gut zur bühnenbezogenen Beschreibung eines zeitgenössischen Theoretikers, Heinrich Christoph Koch, als »leidenschaftliche Unterhaltung des Concertspielers mit dem |90| ihn begleitenden Orchester; diesem trägt er seine Empfindungen vor, dieses winkt ihm durch kurze eingestreute Sätze bald Beyfall zu, bald bejahet es gleichsam seinen Ausdruck; bald sucht es im Allegro seine erhabenen Empfindungen noch mehr anzufachen; bald bedauert, bald tröstet es ihn im Adagio; kurz ich stelle mir unter dem Concerte etwas ähnliches mit der Tragödie der Alten vor.«
Wie Mozarts Andantino am Beginn von der Formel nicht los-, und im mehrmaligen Abkippen nur mühsam vorankommt, kommt der Solist nicht von seiner Wendung los, zudem hinter wechselnden Harmonien an einem »Orgelpunkt« festhaltend; ebenso wenig später, wenn er ins benachbarte Es-Dur einbiegt. Wie am Satzbeginn handelt es sich durchweg um topische Klageformeln; später kommen andere hinzu, unter anderem der Quartaufschlag mit nachfolgend absteigender Sekund, den man vom »Porgi amor« der »Figaro«-Gräfin ebenso kennt wie von Tristan und Isoldes »So stürben wir, um ungetrennt«. All das komponiert Mozart in einer Verdichtung, die sich mit Erfordernissen der Bühne schlecht vertrüge – als sei es um das Substrat einer Ombra-Szene gegangen. Anfangs zum Beispiel hätte es ein einfacher Vortrag der expressiven Melodie auch getan; Mozart indes stellt sie im Kanon, als Wettbewerb der mit- und durcheinander klagenden ersten und zweiten Violinen vor. Als sei das noch immer nicht genug, setzt er den Solisten mit dessen eigenem Thema darüber.
So deutlich er das Rezitativ einerseits als solches, fast als Fremdzitat hinstellt, so sehr holt er es in die Satzstruktur herein; im Zulauf auf die Kadenz des Solisten stellt er es vor den Hintergrund durchlaufender Sechzehntel und lässt die Violinen imitierend antworten, in der Kadenz spinnt er es zur offenen Frage aus und macht es zum Sprungbrett für einen Ausflug in die drei möglichen, jeweils als Fermaten festgehaltenen verminderten Septakkorde.
Es handelt sich um den ersten Moll-Mittelsatz eines Solokonzerts bei Mozart; wie um das neue Terrain zu sichern, lässt er in der Concertante für Violine und Viola KV 364 alsbald einen zweiten, ebenfalls in c-Moll folgen. Dass sein Senkblei gefährlich tief ins melancholisch-dunkle Moll hinabgefahren ist, zeigt sich noch in der Notwendigkeit, im folgenden Presto rasant davonzulaufen.