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Badetag

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Wellness hatte in meiner Kindheit einen anderen Stellenwert als heute. Sie hieß anders und verlief anders. Samstags in die Zink-badewanne lautete unsere wöchentliche Wellness-Veranstaltung. Diese nachkriegs-zeitliche Körperkultur fand in unserer großen Küche statt. Nach dem Mittagessen holte Mutter die Zinkbadewanne, die an einem Haken im Stall hing, in die Küche und stellte sie vor das Fenster. Ein bisschen sah sie nach Sarkophag aus. Die Wanne, Bütt hieß sie bei uns, sollte uns Wochenend-Labsal spenden. Uns - das waren Mutter, Tante, mein Bruder und ich.

Mutter schleppte aus dem Waschbottich im Stall zehn Eimer heißes Wasser heran und goss es in die Wellness-Wanne. Auf dem Küchen-stuhl lag ein dickes Stück Kernseife. Die Reinigung versprach gründlich und porentief zu werden. Aromatische Düfte drangen nur vom Küchenherd herüber, auf dem die Rindfleisch-suppe für das Sonntagsessen kochte.

Dann folgte ein entscheidender Augenblick. Quer durch die Küche spannte Mutter ein großes Tuch. Das Wellness-Studio wurde abgetrennt und entzog sich unseren Blicken. Mein Bruder und ich saßen auf der Küchen-bank, Blickrichtung Küchenfenster.

Zuerst entschwand die Tante hinter den Vor-hang. Diese Spanische Wand der Katholiken verbarg Wesentliches. Nur an hellen Sommer-tagen ermöglichte uns das dahinter liegende Küchenfenster bescheidene Anatomie-Studien. Sobald die Tante ihren Baderitus absolviert hatte, erscholl Richtung Küchenbank das Kommando „umdrehen“. Sie entschwand dann wieder unseren Blicken.

Die Badestube war aber längst nicht für uns beide frei. Jetzt kam Mutter an die Reihe. Das Badewasser war schon ziemlich eingetrübt. Mama fand das nicht schlimm. Sie nahm den großen Schöpflöffel, schöpfte den Seifen-Schmand von der Oberfläche ab und füllte einen Eimer heißes Wasser nach. Die gleiche Prozedur stand an, wenn der hierarchischen Ordnung nach ich in die Wanne steigen durfte.

Das Badewasser hatte inzwischen deutliche Ähnlichkeit mit der Rindfleischbrühe auf dem Küchenherd angenommen, nur wesentlich trüber und mit diversen Einlagen versehen. Mutter hatte sich wieder angezogen und wusch mir den Kopf. Mit dem Handtuch, das zuvor mit verschiedenen anderen Körperteilen der Badefamilie Bekanntschaft gemacht hatte, trocknete sie mich ab. Dann konnte endlich auch mein Bruder in die Wanne steigen.

In einem kostengünstig geführten Haushalt war Wasser sehr kostbar. Die Wanne inzwischen einem undurchdringlichen Tümpel, was den Reinigungszeremonien keinen Abbruch tat. Wenn wir am nächsten Morgen über dem Küchenherd die Wäscheleine mit den Socken baumeln sahen, ahnten wir, dass auch sie noch in der Brühe gewaschen worden waren.

Es war ein spannender Samstag-Nachmittag daheim. Von Allergien oder Staubmilben, von Desinfektionsmitteln oder Fußpilz habe ich nie gehört. Wahrscheinlich gab es das nicht. Und krank geworden bin ich auch nicht.

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