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Eine Stadt auf Tour

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Mit 250.000 Besuchern rechnet die Stadt und verdoppelt so die Einwohnerzahl. Sie denkt über einen verkaufsoffenen Sonntag nach. Vorher müssen Sicherheitsaspekte überprüft werden, schränkt der Oberbürgermeister ein.

Brauchen könnte die Stadt volle Geschäfte, volle Kassen. Etwa 400.000 Euro kostet der Sonntag die Tour-bereite Stadt. Genaue Kostenkalku-lationen stehen noch aus, heißt es vorsichts-halber. Das Geld wird man irgendwie eintreiben und die Konten der Stadt auffüllen. Unnötige Festlegungen gilt es zu vermeiden. Man hat zudem Sponsoren, die garantieren, dass auf Konten, von denen Beträge abge-zweigt werden, wieder eingezahlt wird. Die Kosten so zurecht-zubiegen, dass sie in jedes Rechenschema passen, behaupten nur Bös-willige. Auch ein runzeliges Gesicht lässt sich schön schminken. Mut wird belohnt, Übermut weniger.

Auf der Haben-Seite wird man 250 Euro teure VIP-Plätze verbuchen auf der Tribüne vor der Großbildleinwand. „Very Important Persons“ werden bereitwillig für besonderes Sicht-Vergnügen zahlen. Sonstige Hotspots wie Hüpfburgen-Landschaften werden zwar nicht die Schwind-Sucht des Stadtsäckels begrenzen, aber sie sollen sicherstellen, dass sich das Tour-Fieber bis in die entferntesten Winkel der Stadt und der umliegenden Gemeinden ausbreitet.

Das kommende Ereignis hält die Stadt in Atem. Sie ist berauscht von sich, obwohl sie noch etliche Zeit ihren Vorbereitungs-Atem konstant halten muss. Neues entsteht nicht auf Komman-do, sondern aus vielen Teilen. Sie kann nicht zurückgreifen auf Erfahrungen früherer Jahre, auch nicht in vertrauten Mustern denken. Inno-vative Ideen sind gefragt. Den Markt der Mög-lichkeiten gilt es zu erkunden. Ein Ende der Machbarkeit sieht sie nicht erreicht.

Das Ereignis ist erst-malig, wird ein-malig bleiben. Ein Himmelsgeschenk. „Wenn das Glück anklopft, sollte man zu Hause sein“, empfiehlt ein Sprichwort. Dass es ein zweites Mal an die Tore der Stadt pochen wird, ist so schnell nicht zu erwarten.

Nicht der Papst hat sich angekündigt. Keine ranghohen Würdenträger der internationalen Finanzwelt wollen die Stadt beehren. Fahrrad-fahrer sind es, die auf einer Teilstrecke Rich-tung Ziel ein paar Asphalt-Kilometer der Stadt unter die Räder nehmen. Viel Zeit werden sie nicht haben, um sich zu wundern, dass sie hier sind. Sie haben es eilig. Für sie ist Tempo der Maßstab – typisch für unsere Zeit, in der es um den Austausch von Leistungen geht und alles den Gesetzen des Wettbewerbs unterworfen wird, wie Papst Franziskus beklagte. Sie werden sich keinen baumfreien Blick auf die „Gute Stube“ der Stadt gönnen. Ein nach-trägliches Argument für die umstrittene Baumfäll-Aktion geht verloren.

Es werden nicht Radfahrer erwartet, die zu normalen Tageszeiten die städtischen Radwege nutzen, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen oder um Freizeit-Müßigfahrten zu huldigen. Die Radfahrer sind Renn-Fahrer. Sie rennen nicht um ihr Leben, sondern kämpfen mit und ohne himmlisch-irdische Zuwendungen darum, nach dreitausend abgestrampelten Kilometern die Pariser Champs-Élysées zu erreichen.

Die Stadt nimmt Anteil am Tour-Spektakel. Die Image-Kampagne läuft. Es soll ein Spektakel werden, das Aufsehen erregt. Das Rahmen-programm darf unspektakulär sein, muss aber zum Spektakel passen und Stress-Tests aus-halten können.

An jenem Sonntag wird die Stadt ihren großen Auftritt haben. Sie hat den Traum, von viel mehr Menschen gemocht zu werden, als bisher geschehen. Davon wird sie sich hinreißen lassen. Sie wird sich groß fühlen, geachtet und beachtet, mag sie auch von Neidern wegen ihrer tatsächlichen Größe für klein gehalten werden und sich nicht angemessen gewürdigt fühlen.

Der magische Geruch kommender Bedeut-samkeit verleiht Flügel. Einen Sonntag lang sind die Scheinwerfer der Aufmerksamkeit auf sie gerichtet. Ohne Quarantäne-gleiche Hemm-nisse nimmt sie Überschreitungen städtischer Regeln in Kauf. Ihre Geschmeidigkeit kann grenzenlos sein. Das lustvolle Tour-Capriccio wird sie sich nicht entgehen lassen, selbst Kapriolen schlagen, wenn es ihrem Ansehen dient. Vieles kann in empörungsbereiter Gegenwart missverstanden werden – dieses Ereignis nicht. In dem Fall besteht keine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Die Stadt jagt kein Phantom, präsentiert kein Utopia, keine Illusionen, sondern die Tour – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Im Wettstreit um Aufmerksamkeit hat sie längst zugelegt.

Du lieber Himmel

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