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Die Neandertalerin

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Grüne Oase. Konsum-Paradies. Baden wie Kleopatra. Kosmetik-Verwöhn-Programme. Packungen in der Wasser-Schwebeliege. Will man mir etwas Gutes tun? Die Einladung weckt Neugierde. Jedoch kein Hinweis auf schöne Stunden allein oder zu zweit. Die Dame aus dem Neandertal, die zur Party einlädt, hat andere Interessen. Dass ich sie im Erlebnisbad begrüßen kann, muss andere Gründe haben.

Soziale Fürsorge zu Angehörigen und Fremden wird ihren Neandertal-Vorfahren nachgesagt. Das zeichnet auch sie aus. Aber kannten ihre Vorfahren Packungen in der Schwebeliege? Unwahrscheinlich. Sie mussten sich den harten Lebensbedingungen der Eiszeit anpassen und ihr Überleben sichern. Ob Übungen in der Schwebeliege dabei hilfreich gewesen wären – nicht vorstellbar.

Neandertaler waren kultivierter, als wir ahnen. Kunst und Musik sollen sie gepflegt haben. Dass Nachweise ihrer Kunstfertigkeit nicht überliefert sind, kann nur daran liegen, dass Forscher sie bisher nicht aufgespürt haben, auch keine Spuren von Schwebeliegen. Die Einladende hält nicht viel vom Schweben. Standvermögen und Bodenhaftung schätzt sie und zeichnet sie aus.

Knochenfunde lassen darauf schließen, dass Neandertaler klein und stämmig waren. Robus-ter Knochenbau zeichnete sie aus. Robustheit garantiert auch ihren Nachkommen ein ausge-prägtes Durchsetzungsvermögen. Das Gehirn des Neandertalers soll größer gewesen sein als das unsrige heute. Wer sich mit der Jubilarin auf einen Disput über Gott und die Welt einlässt, wird das bestätigt finden.

In der Neandertal-Welt dominierten die großen Säugetiere. Unsere Neandertalerin bevorzugt die kleinen Tiere und kümmert sich um sie. Große Tiere schätzen ihre Energie und ihren ausgeprägten Willen, Begonnenes zu Ende zu bringen. Neandertaler sind eine besondere Spezies Mensch, an Liebenswürdigkeit nicht zu übertreffen. Jedes Jammertal wird durch sie zum Sehnsucht-Ort.

Es ehrt mich, einer Neandertalerin im fest-lichen Rahmen begegnen zu dürfen. Wer das Leben genießt, sagt sie, teilt Genuss gern mit anderen. Das zeichnet sie aus. „Es ist traurig, sich allein zu freuen“, wusste schon Gotthold Ephraim Lessing. Genuss ist ein Zwilling. Unsere Neandertalerin hat viele Zwillinge. Das macht sie umso liebens-würdiger.

Da sie vertraut ist mit dem Buch der Bücher, der Bibel, weiß sie ihre Neigungen biblisch zu begründen. „Auf vollem Bauch steht ein fröh-liches Haupt“, steht im alttestamentlichen Buch der Sprüche. Feste zu feiern ist christlicher Brauch. Christentum und Kirche sind mehr als zweitausend Jahre alt. Vielleicht stimmt es, dass die vielen Feiertage das Christentum retteten.

Die Bibel erzählt von Frauen, die dem Frauen-Typ einer Neandertalerin nahe kommen. Über Debora wird berichtet, die das Amt einer Rich-terin ausübte. Es ist nicht bekannt, wie bei den Neandertalern Recht gesprochen wurde, jedoch ist nicht auszuschließen, dass Frauen auch bei ihnen richterliche Ämter bekleideten.

Von einer anderen Charaktereigenschaft und Verhaltensweise der Jubilarin kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie weit sie in die Neandertal-Geschichte zurückgreift. Denkbar ist es dennoch, wenn sich schon berühmte Vorfahren unserer Neandertalerin dieser Tätigkeit gewidmet und sie dem weiblichen Tugendkatalog zugeordnet haben: das Hunde-Verstehen. Reinhard Mey widmete ihm ein Lied, das einer Neandertalerin aus der Seele spricht: „Es gibt Tage, da wünscht‘ ich, ich wär' mein Hund.“ Von Neandertal-Hunden haben die Forscher bisher nicht berichtet. Das werden sie nachholen.

Die Neandertalerin muss ihre Beziehung zu Hunden nicht begründen. Es gibt renommierte Hundefreunde. Als Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident, eine Knieverletzung beklagte, die sein Hund ihm zugefügt hatte, soll er geäu-ßert haben: „Als Hund ist er eine Katastrophe, als Mensch unersetzbar.“

Dem wird die Neandertalerin beipflichten. Ihre Mimik verrät, dass Hunde über alle guten Eigenschaften von Menschen verfügen, ohne deren Fehler zu machen. Der möglichen Unter-stellung, Hunde kämen nicht in den Himmel, begegnet sie mit der Feststellung, dass Hunde schon vor uns dort Einlass fanden. Neandertal-Behausungen werden erst zum Heim, wenn sie Hundebeine beherbergen.

Das Neandertal ist menschheitsgeschichtlich eine Fundgrube. Viele kennen es nicht oder haben bisher nur aufgrund von Knochenfunden von dem Tal gehört. Das Leben dort besteht nicht aus gepflegter Langeweile. Dafür bürgt die aufgeschlossene, heutige Neandertalerin mit ihrer Offenheit und Erfahrungsbereitschaft, aber auch mit ihrem gesunden Misstrauen gegenüber selbst ernannten Weltenrettern, die sich mit göttlicher Autorität ausstatten. Sie schaut zurück und blickt nach vorn, verharrt jedoch nie in selbstzufriedener Isolation. Die Welt ist für sie keine Einbahnstraße.

Das Neandertal ist Kultur-Geschichte. Man lebte und lebt auf der Höhe der Zeit. Leibhafti-ger Beweis ist die Neandertalerin.

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