Читать книгу UHRA - Göttlicher Auftrag - Peter Schwerthelm - Страница 10
KAPITEL 08
Оглавление»Hohepriester, gestattet mir, die Verstorbenen hier im Tempel zu sehen und sie auf Magie zu prüfen. Es wird ihnen nichts geschehen. Ihr wisst schon wie ich das meine, ihre Körper bleiben unversehrt.«
»Was habt ihr vor, wie soll das funktionieren? Wir haben mit unseren Mitteln alle Tests durchgeführt. Artemesea möge uns gnädig sein, wir haben es versucht. Wir müssen wissen, was passiert ist, wir wollen die Wahrheit und wir wollen uns schützen, wappnen vor weiteren Angriffen.«
»Dann sollten wir Gwen ihre Untersuchung durchführen lassen. Ihre Art, Dinge zu erkennen, unterscheidet sich von unserer. Wenn sie etwas entdeckt, wird es uns weiterbringen.«
Raschid dachte nach. Eigentlich war seine Entscheidung bereits getroffen. Sie brauchten alle Hilfe, die sie finden konnten. Warum also nicht eine Magierin? Ihm war nicht klar, welche Kräfte sie besaß, wie groß ihre Erfahrung war. Sie war noch jung, wie konnte sie über das nötige Wissen verfügen?
Er seufzte schwer.
»Ich werde mich beraten müssen. Die Situation ist zu prekär, als dass ich diese Entscheidung alleine fällen möchte, obwohl ich es anordnen könnte.«
»Wird das länger dauern?« Nyander stellte die Frage mit einem leicht verärgerten Ton in den Raum.
»Ihr solltet nicht voreilig über unser Vorgehen urteilen. Ihr wisst doch, große Organisationen benötigen manchmal mehr Zeit, um zu einem Entschluss zu kommen.«
Nyander schaute erstaunt auf, konnte man aus dem Gesagten doch ableiten, dass der Hohepriester um die Diebesgilde und um die Beziehung Nyanders zu ihr, wusste. Er warf einen fragenden, verärgerten Blick zu Uhra, aber Uhra schüttelte leicht den Kopf. Nyander schwieg, die Sache musste warten.
»Ich werde versuchen, noch vor Ende der zwölften Stunde eine Entscheidung zu haben. Ihr könnt hier bleiben. Ich würde es sehr begrüßen und bitte eindringlich darum, mit niemandem über das hier gesagte zu sprechen.«
Hagen nickte und auch der Elf deutete ein Nicken an.
Raschid stand auf, ging zum Schreibtisch. Er nahm ein Schriftstück in die Hand. Es war teures Pergament, es hing ein Band mit dem offiziellen Siegel des Tempels daran. Er ging zu Uhra, reichte es ihm.
»Lest!«
Uhra nahm das Papier, fing leise an zu lesen. Seine Miene war wie versteinert, er wurde rot, dann wieder fahl, der Blick wanderte zum Hohepriester.
»Das ist nicht euer Ernst!«
»Doch, ihr seid seit langem ein wichtiges Mitglied dieses Ordens. Wenn ihr auch oft nicht hier weilt, so habt ihr unserer Göttin stets gedient, ihre Sache unterstützt. Dies verfüge ich, es gilt ab sofort.«
Die anderen schauten schweigend zwischen Uhra und seinem Hohepriester hin und her.
»Wir können bereits heute zur Abendmesse eine offizielle Einführung durchführen, sollte dies euer Wunsch sein. Es würde euch zustehen.«
»Schon gut, ihr wisst, dass ich nicht nein sagen werde. Es kommt ein wenig überraschend. Die Toten sind noch nicht einmal beigesetzt.«
»Ja, aber so könnt ihr mit an den Beratungen teilnehmen«
»Könnte mir einmal jemand sagen, was hier los ist?« Hagen war der Geduldsfaden gerissen.
»Er ist ab sofort Oberpriester.« Raschid lächelte, und Uhra schaute mit einem gequälten Lächeln in die Runde.
»Ist doch toll, ich gratuliere!« Hagen hob den Becher, den er in der Hand hielt, zu einem Salut.
»Alle Oberpriester haben hier ihre feste Aufgabe.«
»Soll das heißen, du bis jetzt hier gebunden?« Nyander schaute zu ihrem Gastgeber hinüber. »Ist es so?«
»Die Ordnung unseres Ordens, speziell hier in Calaman, sieht tatsächlich vor, dass die Brüder und Schwestern, die sich die Ehre verdient haben, als Oberpriester für unsere Göttin zu dienen, dies hier im Tempel tun!«
Uhra sackte in sich zusammen. Seine Reisen, fremde Lande, Kulturen und Menschen sowie seine Freiheit waren ihm wichtig. Für Artemesea und die Ehre. Noch nie hatte es ihn lange an einem Ort gehalten, es würde schwer, die innere Unruhe zu bezwingen – möge die Göttin im gnädig sein. Sein Herz raste. Er konnte ablehnen, weiter seine Reisen fortsetzen. Vielleicht würde er seinen jetzigen Rang verlieren, das war egal, irgendwelche Abzeichen nicht wichtig, aber würde er nicht im Ansehen von Artemesea geringer dastehen? Würde sie ihn auch weiterhin so mit ihrer Macht unterstützen, wie sie es bisher tat? Würde er noch heilen können oder ….
Jemand tippte ihm auf die Schulter »Uhra!«
Er schaute auf, sah in die amüsierten Augen seines Hohepriesters. »Du kannst jetzt mitkommen, im Rang eines Oberpriesters hast du das Recht, an wichtigen Entscheidungen teilzuhaben. Die eigentliche Zeremonie werden wir später, heute Nacht, nachholen. Wir werden die Messe für deine Ernennung ausrichten. Los komm jetzt, die anderen warten bereits!« Raschid deutete auf die Tür, erhob sich und verließ mit einer leichten Verbeugung in Richtung der Freunde sein Amtszimmer.
Uhra zuckte mit den Achseln, erhob sich ebenfalls. »Ich melde mich bei euch, sobald ich mehr weiß.« Auch er verließ den Raum.
Die vier Freunde waren allein.
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Warum ist Uhra jetzt zum Oberpriester ernannt worden und was hat das alles mit den Morden zu tun?«
»Wartet. Ich will erst sehen ob wir hier auch wirklich alleine sind!« Gwen verschränkte ihre Arme auf dem Tisch, legte den Kopf darauf, begab sich auf die Astralebene. Sie musste sich konzentrieren, ihren realen Körper verlassen. Diese Art der Magie barg immer noch kleine Schwierigkeiten. Auf der Ebene, auf der alles in Farben und Mustern zu begreifen war, besaß jedes Ding, jedes Lebewesen und natürlich auch jede Magie ihre spezielle Zeichnung, individuell und unverwechselbar.
Der Weg auf diese Ebene war nur sehr wenigen zugänglich. Gwen kannte niemanden, der diese Disziplin meistern konnte. Ihr Meister hatte auf ihre Frage nach dieser Möglichkeit bemitleidend gelächelt. Es würde ein großes Talent, noch größere Kraft und viel Konzentration bedürfen. Die Schülerin sollte sich daher doch besser auf die ihr aufgetragenen Aufgaben konzentrieren, nicht an Magie denken, die noch weit über ihren Fähigkeiten läge. Sie war erbost ob dieser Geringschätzung, verlor aber durch den täglichen Lehrplan und diverse andere Aufgaben in der Magierschule das Thema wieder aus den Augen. Erst Jahre später, sie kannte Hagen und die anderen bereits, gab es einen Moment, in dem sie unbeabsichtigt zu einem Erlebnis auf der Astralebene kam. Sie verbrachte mit Hagen einen stürmischen Nachmittag im Bett, lag ermattet, aber glücklich neben dem Nordländer. Hagen war eingeschlafen, atmete gleichmäßig. Sein verschwitzter, gut trainierter Körper lockte Gwens Vorstellungskraft. Halb am Dösen driftete sie zwischen Realität und Fantasie. In einem Moment noch neben ihm im Bett, befand sie sich plötzlich auf einer nebligen Fläche, die Wände des Zimmers aus Stein blieben dahinter. Der Fußboden und das Bett aus Holz leuchteten heller. Schrank und Kommode ebenfalls in hellen Tönen, waren durchsichtig wie die anderen nicht lebenden oder nicht mehr lebenden Dinge, eine Vase, grau, die frisch geschnittenen Blumen mit einem Rest von Leben, in Orange, Rot, Gelb. Präsenter und nicht durchscheinend blieb dagegen Hagen, seine Lebensenergie leuchtete kräftig, seine Umrisse waren verschwommen. In der Mitte ein Bereich der mehr Energie zeigte, er wuchs während sie ihn betrachtete. Leise, wie ein Flüstern hörte sie ihren Namen. Hagens leuchtender Arm berührte ihren Körper, der ebenfalls leuchtete, aber eine andere Farbe aufwies, heller, rötlich, wo hingegen die Frage von Hagen eher ein sattes gelb war. Die Fläche an seinem Körper wuchs noch ein wenig, leuchtete stärker. Oh!, sie wusste, was dies war. Konnte sie ihn hier berühren?
So plötzlich, wie sie aus ihrem Körper getreten war, so plötzlich lag sie wieder real neben Hagen. Er schaute ernst und etwas sorgenvoll, sie erklärte ihm was geschehen war, dies war der Anfang gewesen.
»Alles klar, keine Zuhörer.« Gwen saß wieder aufrecht in ihrem Stuhl.
»Also noch einmal, was ist hier los und was machen wir jetzt?« Hagen und Nyander sprachen durcheinander. Die Diskussion bewegte sich hin und her, aber kein neues Ergebnis kam heraus. »Wir müssen die Toten untersuchen und hoffen, dass wir was entdecken.«
»Müssen wir das wirklich machen?« Adderlin war wie so oft der Meinung, man sollte sich nicht in die Angelegenheiten von anderen einmischen.
»Aber Uhra braucht unsere Hilfe! Willst du, dass er auch so endet, wie Geridion?« Hagen wirkte erbost.
Plötzlich klopfte es an der Tür, nur ein einziges Mal. Die Tür öffnete sich ohne weiteres Abwarten. Leschor kam langsam in den Raum. Er musste geweint haben, seine geröteten Augen waren stumme Zeugen. Offensichtlich hatte die Nachricht vom Tod des alten Oberpriesters bereits die Runde gemacht.
»Ich soll Euch bitten, mit mir zu kommen. Der Hohepriester und Euer Freund Uhra warten auf Euch.«
Die Freunde erhoben sich. Sie verließen den Sitzungsraum des Hohepriesters, folgten dem jungen Novizen. Er führte sie in den Bauch des Tempels.
Die Gänge waren hier weniger reichhaltig verziert, man konnte den Eindruck gewinnen, dieser Teil wäre eher praktischen Gesichtspunkten geschuldet und nicht zum Repräsentieren gedacht. Durch eine große Tür aus Eiche und einen Raum mit Stühlen und Pulten, ging es in einen weiteren Gang hinunter bis vor eine Doppeltür aus rötlichem Holz. Schnitzereien waren zu erkennen, wieder Szenen Artemeseas bei der Jagd.
Leschor klopfte kurz, öffnete den einen Flügel der Tür, hielt ihn fest und ließ die vier Gefährten hindurchgehen. Er folgte nicht, sondern schloss die Tür von außen.
Der Raum in den sie eingetreten waren, wurde von Dutzenden von Kerzen und Leuchtern erhellt, der hintere Teil blieb im Dunkeln. Wie groß der Raum war, konnte man so nicht sehen, ein Becken, in dem Kräuter räucherten, war in der einen Nische zu ihrer linken zu sehen, der Duft von Blumen und Frische hing in der Luft. Die düstere Stimmung wurde gelindert, der Sinneseindruck von Sonne und Wärme erhellte das Gemüt, vertrieb die dunklen Gedanken von Tod und Trauer.
Uhra stand in der Mitte des Raumes, zusammen mit Raschid und einer weiteren Person, eine junge Frau, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt. Ihre dunklen Haare waren streng nach hinten zu einem Zopf gebunden. Der Eindruck von Strenge war wohl gewollt.
Raschid drehte sich um, kam den vier Freunden einige Schritte entgegen. »Gut, dass Ihr da seid. Ich möchte Euch Thealea vorstellen. Sie ist unsere beste Heilerin und Oberpriesterin für den Bereich des Hospizes.«
Die noch sehr junge Frau deutete nur ein leichtes Nicken an, Adderlin ahnte die Unsicherheit hinter dieser abweisenden Geste, mit der sie wohl Souveränität ausdrücken wollte.
»Sie hat die Untersuchungen an den Verstorbenen vorgenommen.« Raschid sprach ernsthaft, ohne Unterton oder falschen Zungenschlag. Thealea richtete sich sichtlich stolz auf, das Lob des Hohepriesters tat ihr gut.
»Sie wird euch unterstützen. Uhra du wirst bitte helfen, wenn es nötig ist.« Raschid sprach noch einen kurzen Segen und verließ den Raum, Uhra drehte sich zu seinen Freunden um, sagte vorsichtig: »Ich habe bei der Besprechung, bei der ich soeben anwesend war, einige zusätzliche Informationen über die Umstände erhalten. Ort, Zeit und Verlauf der einzelnen Unglücke.«
Thealea schaute missbilligend zu Uhra. Es ging um interne Angelegenheiten und so sollten sie auch behandelt werden.
»Vielleicht sollten wir uns erst die Fragen anhören, die unsere Gäste haben. Sie interessieren sich bestimmt nicht für das Datum oder den Wochentag.« Es war nicht zu überhören, dass sie die Anwesenheit der Gäste für falsch hielt.
»Ich kann verstehen, dass Euch, werte Dame, diese Angelegenheit berührt. Der Verlust von nahestehenden Personen ist nie eine einfache Angelegenheit. Wir sind Freunde von Uhra, und als solche sind wir gebeten worden, unsere Meinung zu den bedauerlichen Vorfällen zu äußern.« Adderlin sprach ruhig, mit Überzeugung. »Wir sind nicht hier, um jemandem die Schuld für irgendetwas zu geben, wir wollen helfen, wenn wir können und es gewünscht ist.«
Thealea war unsicher, ob der Elf ihr Vertrauen verdiente, doch eine innere Stimme flüsterte ihr, dass dies nicht der Feind war, sie kein böses Spiel oder eine Intrige erwarten musste.
»Gut, ich entschuldige mich für meine abweisenden Worte. Wir sind es nicht gewohnt, dass Außenstehende in die inneren Angelegenheiten einbezogen werden. Uhra hat von Euch erzählt und gesagt, dass ihr dabei gewesen seid, als Geridion im Kampf verletzt wurde?«
Hagen und Nyander nickten zustimmend, Thealea riss sich zusammen, hatte ihre Emotionen besser im Griff.
»Gab es Verfärbungen, üble Gerüche oder Bläschen an Schnitten?«
»Gab es so etwas bei den Fällen, die du untersucht hast?« Gwen war wie immer direkt.
Thealea musste sich kurz sammeln, ehe sie mit klarer, präziser Stimme ihre Erfahrungen schilderte.
Da gab es zum einen den Bibliothekar, Feschaar, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen, keine Wunde, kein Schnitt oder Blessur, die auf ein äußeres Einwirken hindeuteten. Ja eine Beule am Kopf, die aber, so war sie sich sicher, vom Sturz stammte. Sie hatte das Blut auf die ihr bekannten Gifte, auf Kräuter getestet – nichts. Einiges Zeit später untersuchte sie Geradiana, die oberste Führerin der Tempelwachen, ihr Blut aus Nase und Mund wurde ebenfalls untersucht, leider ergebnislos. Das Blut an dem Streithammer, den sie noch umklammert hielt, stammte von keinem Menschen, auch nicht von einem Elf oder einem Zwerg. Selbst Orkblut wurde untersucht und verglichen – negativ.
»Was ist mit feinen Nadeln oder kleinen Pfeilen, wie sie aus Blasrohren verschossen werden können?« Nyander schaute fragend in Richtung der schönen Priesterin.
»Naja, ich kenne mich da nicht so gut aus, aber die Untersuchung hat keine Nadeln oder Ähnliches zu Tage gefördert.«
»Dürfen wir sie sehen?« Gwen wurde ungeduldig, die junge Frau nickte kurz und stand auf. Sie ging in den hinteren Teil des Raums, Fackeln hingen dort an der Wand, entflammten, als Thealea an ihnen vorbeiging.
Der neu beleuchtete Teil des Raumes zeigte Tische, bedeckt mit weiß-blauen Decken. Verziert mit Runen, silbern und blau, die Farben von Artemesea. Darauf lagen die Leichname der Getöteten. Sie waren mit einem seidigen Tuch bedeckt, ein blauer Schimmer umhüllte ihre Körper.
Thealea ging zu Geradiana, sprach einige Worte »Artemesea heleas dryn sun« und der Schein erlosch. Mit Ehrfurcht blieb sie stehen, wartete auf die anderen, die sich nach und nach vor der Glaubenskriegerin versammelten, die auch im Tode noch eine stolze Erscheinung war.
Die Männer schauten sich unsicher an, niemand von ihnen wollte diese Ruhe stören. Gwen räusperte sich leise und sagte: »Darf ich sie berühren?«
Uhra und die Heilerin nickten nur. Sie hofften, Gwen würde sich angemessen verhalten. Gwen trat bis an den Tisch heran, berührte die Tote aber nicht. Mit den Augen untersuchte sie das Gesicht, suchte nach Spuren, die einen Hinweis darauf geben würden, was passiert war.
Die Züge der obersten Tempelwächterin waren ebenmäßig, unversehrt. Keine Spur einer Wunde, das Blut, von dem gesprochen wurde, war säuberlich weggewischt worden. Gwen stützte eine Hand auf die Unterlage, legte den Zeige- und Mittelfinger vorsichtig an die Hand der Toten. Der Schutzzauber, den Thealea über die Verstorbenen gelegt hatte, hatte zur Folge, dass die Haut sich leicht warm anfühlte, so als ob der Tod erst vor wenigen Minuten eingetreten wäre.
Gwen schloss die Augen, atmete regelmäßig, sie würde auf die Astralebene wechseln, fühlte aber großen Respekt, sogar etwas Angst vor dem, was sie dort erwartete. Einen Toten auf der Ebene der Energie zu untersuchen, das hatte die Magierin noch nie gebraucht. Zur Vorsicht setzte Gwendolin sich auf den Boden, lehnte sich gegen den Tisch auf dem Geradiana lag.
Der Übergang kam spontan, gerade noch war sie in ihrem Körper, den Raum mit seinen Geräuschen vernehmend, die Personen mit ihrem Atem hörend und jetzt auf einer Ebene aus Licht, Farbe und dunklen Bereichen. Es dauerte ein paar Sekunden, um diese andere Form ihres Seins zu akzeptieren. Manchmal fühlte sie sich nackt, der Versuch, sich hier zu schützen, sich mit einer Hülle zu umgeben, war ihr bis jetzt nicht gelungen. Gwendolin schaute sich um. Ihr Körper zeigte die Farbmuster, wie sie sie kannte. Ein Pulsieren von Rot und Gelb. Daneben ihre Freunde, so wie sie sie erwartet, verschiedene Abstufungen in Farbe und Helligkeit. Thealea besaß viel Energie, ihre Präsenz leuchtete hell, die Farbe Blau dominierte.
Vor ihr aber befand sich ein dunkles Schema, dessen Konturen nicht so recht zu erkennen waren. Keine Farbe war zu sehen, der Körper der Priesterin war bar aller Energie. Das Leben war von ihr gewichen. Sollte die Seele eine Farbe und Energie besessen haben, so waren sie nicht mehr zu finden. Sie schwebte näher an die dunkle Präsenz von Geradiana heran, wollte versuchen, Unterschiede zu erkennen, Unregelmäßigkeiten, eine Spur, die ihr verraten würde, wie der Tod diese Frau ereilen konnte. Vorsichtig versuchte sie mit ihrer Hand die Oberfläche zu ertasten. Ihre Astralfinger konnten aber keine Struktur ertasten, stattdessen versank die Hand in der dunklen Sphäre. Erschrocken zog sie ihre Finger zurück. Es hatte nicht wehgetan oder geschmerzt, sie war nur überrascht. Noch nie war sie in den Körper eines anderen Menschen eingedrungen, zumindest nicht auf dieser Ebene. Sie zögerte noch einige Augenblicke, doch die Neugierde gewann die Oberhand. Gwen versuchte es erneut. Sie spürte einen Widerstand, sie musste etwas mehr Kraft aufwenden, um ihre Hand im Körper der Priesterin zu bewegen, es gelang, doch nirgendwo fand sie ein besonderes Muster, eine Zerstörung oder Anzeichen von Auflösung. Nichts. Es war enttäuschend. Sie hatte gehofft, etwas zu finden.
Gwen konzentrierte sich, fiel zurück in ihren realen Körper. Wieder musste sie blinzeln, um den Fokus ihrer Augen korrekt einzustellen. Die Magierin löste sich vom Tisch der Toten, richtete sich auf und drehte sich zu den anderen um. Erwartungsvolle Blicke von allen Seiten. Hagen kam einen Schritt auf sie zu. »Und, hast du etwas gesehen?«
»Ja, ich meine Nein. Ihre Energie hat den Körper verlassen.« »Was habt ihr getan? Ich konnte es nicht verfolgen. Welche Art von Magie habt ihr benutzt, so etwas habe ich noch nicht gespürt!« Theleas Stimme schwankte zwischen Bestürzung und Neugierde. »Bitte, erklärt mir, was ihr gemacht habt!«
»Ja, ich werde es euch erklären. Macht es euch etwas aus, zu warten, bis ich die anderen auch untersucht habe?«
»Nein, ich werde meine Neugierde zügeln. Ich bitte Euch nur, vorsichtig zu sein, stört ihre Ruhe nicht«
»Ich werde vorsichtig sein, dessen könnt Ihr gewiss sein.«
Die Sorgen von Thealea waren echt und Gwen wollte die junge Frau nicht verärgern oder kränken.
Alle begaben sich zum Tisch auf dem Feschaar lag. Gwen konzentrierte sich, brauchte aber länger, es kostete sie mehr Kraft, den Übergang zu schaffen. Je öfter sie es versuchte, umso schwächer wurde sie. Ihre Finger lagen auf dem Unterarm des Bibliothekars. Astral gesehen war er dunkel, wie die Kämpferin vor einigen Minuten. Nur eine Stelle in der Mitte zeigte eine Verfärbung, dort war das Grau mit Braun vermischt, näheres Betrachten zeigte eine chaotische Struktur, wie ein Wollknäuel. Der Rest war ohne Auffälligkeiten, sie kehrte zurück zu den Freunden, zu den fragenden Blicken, die sie erzählen ließen.
»Es gibt eine ungewöhnliche Stelle, etwa hier.« Gwen zeigte auf den Unterbauch des Priesters. »Eine Veränderung im Gefüge.« Thealea konnte ihr Erstaunen nicht vollständig verbergen.
»Ja, ihr habt Recht! Bruder Feschaar litt an einer Erkrankung der Prostata, ein Leiden, das ihn seit seinen Kindheitstagen plagte. Eine Heilung war seit langem überfällig. Doch erst Jahre später bekam ich die Chance, etwas dagegen zu versuchen. Es war weit fortgeschritten und eine vollständige Widerherstellung gelang nicht.«
»Oh, ja ich verstehe. Also hat es nichts mit seinem schrecklichen Tod zu tun?« Uhra schaute fragend zu seiner Ordensschwester.
»Nein, es hat nichts damit zu tun.«
»Du solltest Geridion noch anschauen und dann lieber in anderer Umgebung über die Dinge sprechen, die ihr gefunden habt.« Nyander fühlte sich sichtlich unwohl.
Gwen schaute für eine Bestätigung zur jungen Heilerin. »Ja, wir sollten hier nicht länger bleiben als nötig, es drückt sehr auf mein Gemüt. Meine Trauer kann hier keine Ruhe finden.« Sie drehte sich zu Geridion um, fuhr sachte mit ihren schlanken Händen über das Seidentuch. Ein leichtes Zittern war zu erkennen. Schon fast zärtlich hob sie das Tuch, enthüllte das Gesicht des Priesters, welches ihnen nur allzu bekannt war. Es strahlte eine Ruhe aus, die in den letzten Tagen ihrer Reise dort nicht zu finden war. Kein Zweifel, keine Sorgen waren geblieben, aber auch das Lächeln, dass er ihnen geschenkt hatte, wann immer sie mit ihm sprachen oder auch kontrovers diskutierten, war verschwunden.
Gwendolin verspürte eine innere Hürde, fühlte ein Kribbeln. Hier lag ein Mann vor ihr, mit dem sie gestern – ja, es war erst gestern gewesen - noch sprach. Ihre Hand legte sich vorsichtig auf sein Handgelenk, ein seltsames Prickeln war an ihren Fingerspitzen zu fühlen. Nur sehr kurz, unangenehm, fremdartig. Behalt die Nerven, schalt sich Gwen selber. Er ist tot, versuch etwas zu finden!
Sie konzentrierte sich und befand sich augenblicklich auf der Astralebene. Vor ihr der dunkle Umriss des Toten. Auf den ersten Blick kein Unterschied, dunkel, keine Energie mehr da, die Leben verhieß. Trauer wollte sich ihrer bemächtigen, Gwen brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln, zu konzentrieren. Sie näherte sich Geridions Hülle. Keine schwarzen oder braunen Knoten, kein Loch in der Struktur. Wieder nichts – aber halt, was war dies? Hier gab es Linien, sehr schwach, aber vorhanden. Oder nicht? Sie zweifelte, ob sie wirklich da waren. Hoffte sie nur etwas zu finden und ihr Geist spielte ihr einen Streich? Ihre Hand glitt langsam in die Hülle, konnte aber die Situation nicht verbessern. Die Linien verwischten. Überlege, was du tun kannst – denk nach – es muss doch mehr geben, was du machen kannst, sie fühlte Wut in sich aufsteigen. Noch hatte sie keine Idee, was sie machen sollte, aber Gwen wollte nicht aufgeben, schaute sich um. Zum ersten Mal schaute sie sich hier auf dieser Ebene um, besah sich ihre Umgebung genauer, bewegte sich von der Hülle Geridions weg, schwebte in einem Kreis um die leuchtenden Gestalten, die ihre Freunde waren, herum. Der Raum, in dem sie standen, war durch ein blasses Leuchten beschrieben, ein Zeichen dafür, dass ein Bann oder Zauber über dem Raum lag. Sollte dies vielleicht ein Schutz sein?
Ein winziger leuchtender Faden ging von Thealea aus, verband sie mit dem Bann, den der Raum umgab. Sie speiste mit ihrer Macht den Zauberbann seitdem sie in diesem Raum waren. Man konnte die Energie leicht pulsieren sehen. Blau als Basisfarbe – das wunderte sie nicht besonders, musste es doch irgendwie die Essenz von Artemesea sein. Blau und Silber – immer! Konnte sie auch Energie bündeln, zusammenfügen und abgeben? Würde ihre Fähigkeit, eine reale Illusion zu zaubern (sehr witzig Gwen), auch hier anwendbar sein?
Ihr Zeitgefühl verschwand. Sie machte sich keine Gedanken, wie lange sie schon hier war oder noch hier bleiben müsste.
Ihre astralen Hände formten eine Kugel. Sie wollte eine Kugel aus Energie bilden, sie wie eine Laterne benutzen, aber in den hohlen Händen war nichts zu sehen. Nicht einmal ein Funke. Wie also anders machen? Gut, nochmal konzentrieren, die innere Mitte finden, sie klang für sich selbst schon wie ihr alter Mentor. Aber sei es drum, sie musste sich konzentrieren, sie musste lernen, verstehen, wie sie ihre eigene Kraft hier auf dieser Ebene bündeln konnte. Erneut versuchte Gwen, ihre Kraft zu einer Kugel zu ballen, aber das Resultat blieb negativ. Frust stieg in ihr auf, ihr Fokus ließ nach. Nein, nein, sie würde es schaffen, sie hatte bis jetzt alles irgendwie geschafft. Der Zorn wurde größer und vermengte sich mit dem Frust, bildete eine Quelle der Macht, die sich als unkontrollierter Blitz entlud.
Hände rüttelten an ihr, riefen ihren Namen. »Gwen, Gwen, was ist mit dir?«
Sie musste sich zusätzlich konzentrieren, damit sie die Macht beherrschte, nicht umgekehrt. Das Rütteln wurde stärker, Gwen verlor die Kontrolle, fiel in ihren realen Körper zurück. Sie lag auf dem Boden, Hagen kniete neben ihr. »Gwen, was ist passiert? Geht es dir gut, sag was!«
Im Raum roch es nicht mehr nach Blumen und Wiese, es roch nach Rauch und Staub.
»Alles in Ordnung, ich habe doch nur versucht, das Muster deutlicher zu sehen. Ich wollte es mit Magie hervorheben.« »Welches Muster? Wo ist ein Muster?«
»Aber wieso hast du dann mit einem Blitz um dich geschossen, du hast uns zu Tode erschreckt.«
»Ich habe keinen…. Oh, doch, es muss wohl so passiert sein. Entschuldigung, ich habe versucht meine Kraft zu bündeln, eigentlich wollte ich nur sehr wenig davon nutzen, aber es hat nicht geklappt und dann war da zu viel, ich habe die Konzentration verloren.«
»Klingt irgendwie nicht gut, wir sollten aufhören und eine Pause machen. Lasst uns etwas trinken, wir können dann besprechen, was wir gefunden haben, was weiter zu tun ist.«
»Nein, ich muss jetzt noch mal den Versuch starten. Ich glaube, wenn wir noch warten, werden wir nichts mehr finden.«
»Was finden? Was hast du gesehen?« Thealea und Hagen sprachen durcheinander.
»Ich weiß es nicht genau, aber nur bei Geridion habe ich den Eindruck, es gäbe etwas, eine Veränderung. Aber sie war so schwach, deshalb wollte ich mit meiner Magie versuchen, es deutlicher zu sehen.«
»Bist du dir sicher, dass du das schaffst?«
»Nein, doch ja, ich glaube ich werde es schaffen, ich brauche nur noch ein wenig Zeit. Bitte lasst mich das machen, ich weiß, dass es der richtige Weg ist.«
»Thealea?« Uhra wollte nicht, dass die Heilerin wieder in ihre Position der Ablehnung verfiel.
»Ich bin mir nicht sicher, es ist ja zum Glück niemandem etwas passiert. Ich kann es nicht zulassen, dass Ihnen noch etwas passiert. Aber wenn es die Möglichkeit gibt, nur so mehr zu erfahren, soll die Magierin es noch einmal versuchen.«
»Ich bin bei dir.« Hagen berührte kurz die Hand von Gwen. »Können wir dir irgendwie helfen?« Adderlin hob fragend die Augenbrauen.
»Nein, passt nur ein wenig auf, dass ich nicht wieder so hart zu Boden gehe. An meinem Hinterkopf bildet sich bereits eine Beule.«
»Lass mich mal sehen.« Thealea und Uhra wollten gleichzeitig an den Kopf von Gwen. Die Magierin musste unwillkürlich grinsen.
»Einer reicht, es ist nur eine kleine Beule.«
Thealea ließ ihre Hände sinken, überließ Uhra das Feld. Vorsichtig betastete er den Bereich, auf den Gwen deutete und sprach ein paar leise Worte. »Artemesea heleas sun perm.« Ein leichtes Prickeln lief über die Kopfhaut von Gwen, die aufkommenden Schmerzen waren sofort verschwunden. »Danke.«
»Schon gut, sei bitte vorsichtig.«
Gwen konzentrierte sich, stand erneut neben dem dunklen Schema, welches die tote Materie Geridions darstellte. Starke Emotionen waren also eine Möglichkeit, ihre Magie auf dieser Ebene zu generieren, wie ein Katalysator. Sie würde etwas Ähnliches hervorrufen müssen, weniger machtvoll, eher eine Brise denn ein Sturm. Sie dachte an Sonne und Wärme, Lachen und Freude, ein gutes Fest, ein romantischer Spaziergang, die Berührung von Haut auf Haut (oh, sei vorsichtig Gwen, nicht zu viel, nicht zu viel). Langsam konnte sie fühlen, wie sich diese kraftvolle Energie in ihrer Bauchgegend sammelte. Ihre linke Hand lang auf ihrem Bauch, wurde warm. Vorsichtig hob sie die Hand von der Bauchdecke, stellte sich trotzdem vor, es gäbe eine Verbindung zwischen den beiden. Weiter und weiter entfernte sich ihre Hand, beschrieb einen kleinen Bogen in Richtung Geridion. Sie öffnete ihre Augen, konnte einen Faden aus gelbem und orangem Licht sehen, der von ihrem Körper zu ihrer Hand verlief. Als sie den Körper des Toten berührte, sprang der Lichtfaden über und ein Teil der Macht strömte in den leblosen Körper. Licht breitete sich aus, langsam, sehr langsam, Gwen versuchte mehr Energie entlang des Fadens zu schicken, aber es gelang nicht.
Das Muster, welches Gwen meinte gesehen zu haben, war nun deutlicher zu erkennen. Wie ein Netz lag es über dem Körper des toten Priesters. Was war das? Plötzlich erschien eine andere Farbe, sie kam aus dem Netz. Dunkler, violett oder dunkles Blau, so dunkel wie ein See bei Nacht. Gwen war fasziniert, beobachtete das Spiel der Farben. Violett lief ihrer eigenen Farbe entgegen, erreichte den Lichtfaden, schlängelte sich an ihm empor. Was war das? Gwens Geist fing wieder an zu arbeiten. Jede Farbe bedeutete Energie, sie kannte ihre, Rot und Orange, kannte die von Uhra, leuchtendes Blau, sie hatte die Farben von Pflanzen und Tieren gesehen, aber noch nie eine so dunkle Farbe. Ein Schauer überlief sie. Was wenn diese Macht Auslöser für den Tod er Priester war? Sie riss ihre Hand von dem Leichnam und sprang nach hinten. Eine Reaktion, die Ihr in der realen Welt geholfen hätte, hier aber im Astralraum war dies nicht genug. Der Faden dehnte sich, blieb aber bestehen. Der dunkle Teil war jetzt bereits angeschwollen, nährte sich von ihrer Kraft. Die Geschwindigkeit, mit der sich die fremde Macht fortbewegte, wurde schneller. Gwen griff nach dem Faden mit beiden Händen und zerriss ihn mit einer machtvollen Bewegung. Dabei kam es unvermeidlich zu einer Berührung mit der dunkelblauen Energie. Kälte durchfuhr sie, so als würde ihre Körperwärme ausgesaugt. Schnell schaute sie an sich herunter, um zu sehen ob das Violett an ihr haften würde, ob sie sich infiziert hatte. Ein Schauder voller Abneigung und Ekel durchlief sie, löste eine Welle reinigenden Licht aus, die durch ihren Körper lief, vom dunklen Purpur war nichts mehr zu sehen.
Sie öffnete die Augen, schaute besorgt in die Runde.
»Was hast du gemacht? Der Körper von Geridion hat kurz geleuchtet, aber nicht blau, wie von Artemesea berührt, sondern orange, dann lila.«
Gwen schaute erneut an sich herunter, untersuchte ihre Hände, schob die Ärmel ihrer Bluse hoch, prüfte, ob sich etwas verändert hatte, stellte erleichtert fest, dass keine Veränderung erkennbar war.
»Sag schon, was ist passiert? Hast du etwas gesehen, etwas mit deiner Magie erreicht?« Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Gwen richtete sich vollständig auf, ging zu dem Tisch, an dem sie eben noch lehnte. Sie nahm einen Becher, trank einen guten Schluck und antwortete: »Ja, ich habe etwas entdeckt, und nein, ich habe keine Ahnung was es ist - noch nicht, ich hoffe bald mehr zu verstehen.«
»Was?« Die Aufregung war zu spüren.
»Ja, ich erzähle es euch genau. Können wir aber bitte woanders hingehen? Hier ist kein Sonnenlicht und die Luft ist, sie ist irgendwie belastend.«
»Ja, wir gehen in einen der kleinen Gärten. Thealea wie ist es mit deinem Kräutergarten, deinem persönlichen meine ich?« »Gut, es soll mir recht sein, dann können wir wenigstens sicher sein, dass uns keiner stört – hoffentlich!«
Vorsichtig ging sie von Leichnam zu Leichnam, deckte sie wieder zu, sprach den Bann. Uhra half ihr.
»Artemesea sun heleas dryn.«
Ein bläulicher Schein hüllte die Verstorbenen erneut ein.