Читать книгу UHRA - Göttlicher Auftrag - Peter Schwerthelm - Страница 12
KAPITEL 10
ОглавлениеEine leise Glocke war zu hören, nicht mehr als ein Hauch von einem hellen Ton. Uhra nahm ihn nur am Rande wahr, Thealea gar nicht.
Raschid hob den Kopf, lauschte kurz. »Entschuldigt mich einen Moment.« Mit diesen Worten unterbrach er die Diskussion, stand ohne eine Antwort abzuwarten auf. Er durchschritt sein Amtszimmer mit schnellen Schritten, verschwand auf der Terrasse.
Die beiden zurück gelassenen schauten sich ratlos an. Thealea wollte sich erheben und nachsehen, ob der Hohepriester irgendeine Art von Hilfe benötige. Sie wollte nicht, dass auch ihm etwas zustieß.
»Lass ihn.« Uhra legte leicht seine Hand auf den Arm der Heilerin. »Er wird schon zurückkommen. Hätte er unserer Hilfe bedurft, er hätte uns mit einer Geste ermutigt, mitzukommen.«
Die junge Frau sank zurück auf ihren Stuhl am langen Esstisch, nahm sich eine Banane, schälte sie. Ein kleines silbernes Messer teilte die reife Frucht in kleine Scheiben.
Die erste Scheibe der Banane war gerade im Mund der Heilerin angekommen, als der Hohepriester zurückkam. In seiner Hand hielt er einen kleinen Zettel. Sein Blick war verschleiert, der alte Mann war so bleich, man hätte ihn für einen wandelnden Toten halten können. Thealea rannte ihrem Mentor entgegen, Raschid stütze sich schwer auf den angebotenen Arm. Uhra bekam schon die Befürchtung, beide könnten stürzen. Langsam kamen beide Priester zurück zum Tisch.
»Danke, es geht schon wieder.« Die Worte des Hohepriesters klangen matt.
Die Heilerin hatte einen Tonbecher von Tisch genommen und mit etwas Wein und viel Wasser gefüllt. Mit beiden Händen umfangen, sprach sie ein kurzes Gebet, dessen Macht in den Wein floss und ihn erwärmte.
»Hier, trinkt dies, es wird euch beruhigen.« Thealea reichte den Becher an den Hohepriester, der ihn dankend nahm. Mit kleinen Schlucken trank er den ganzen Becher aus, hielt kurz inne, nachdenklich, fast in Trance versunken. Er blickte auf und sagte: »Ihr Lieben, es ist schlimmer, noch schlimmer als wir, als ich es mir vorstellen konnte.«
Langsam legte er die Nachricht auf den Tisch. Sie war stark gewölbt, an der Seite konnte man das Siegel erkennen. Sie hatten es heute schon mal gesehen, anders gefertigt, aber trotzdem unverkennbar. Das Siegel eines Hohepriesters Artemeseas.
Also noch ein Tempel, der eine Nachricht schickte.
»Darf ich?« Uhra deutete auf den kleinen Zettel.
»Ja, natürlich.«
Vorsichtig strich Uhra das Pergament mit den Händen glatt. Leise begann er die wenigen Zeilen zu lesen, die in enger Handschrift dort standen.
»Raschid, Freund, wir wurden angegriffen. Viele sind tot. Die Angreifer waren vom dunklen Orden. Sie hatten es auf den Akashi-Yari-Tsukino abgesehen. Er wurde zerstört. Wir haben sie geschlagen. Schütze dich und die deinen. Möge Artemesea über dich leuchten. Rufuson Gerdesan«
Er gab Thealea den Zettel. Die Heilerin las den Brief. Ihre Augen weiteten sich. »Was soll das heißen?«
»Was ist der Akashi-Yari-Tsukino?«
»Und wer ist der dunkle Orden?« Die Anspannung der letzten Stunden gipfelte in einer fast hysterischen Aneinanderreihung von Fragen an ihren hohen Führer. Die Gedanken rasten, Bilder und Fragmente der vergangenen Stunden flogen im Geiste durcheinander, ergaben die bizarrsten Gebilde, die jeder Logik widersprachen.
Hohepriester wischte sich erschöpft über die Augen. Sein mit Trauer, aber auch mit Wut gefüllter Blick suchte die Augen seiner beiden Begleiter. Langsam faltete er seine Hände zum Zeichen des Mondes. »Ihr Lieben, es ist noch schlimmer als wir alle gedacht haben. Noch ein Tempel, der einem Angriff ausgesetzt ist. Der stärkste Angriff, von dem wir wissen. Vier Tage entfernt, wenn eine Taube fliegt.« Er holte Luft, seufzte, fuhr schließlich fort. »Ihr seht, die Information ist vier Tage alt.«
»Aber wieso dieses Kloster?« Uhra konnte sich als Erster von der beunruhigenden Nachricht erholen, erlangte seine Sprache wieder. »Es gibt dort nichts, nichts dass sich lohnt, diesen Angriff durchzuführen. Es sind doch nur Mönche, die Feldarbeit leisten und ein wenig Bier brauen.« Uhra packte der Zorn. So sinnloses Sterben.
»Doch, es gibt etwas.« Leise sprach Raschid diese wenigen Worte, die alles veränderten. »Nur wenige wissen davon und wenige sollen es wissen. Es gibt etwas sehr Wichtiges in diesem Kloster. Kennt ihr noch seinen Namen?« Er schaute Uhra an. »Irgendetwas mit erleuchtetem Stab, oder erleuchtetem Streitkolben glaube ich.«
»Ja, fast richtig, das Kloster nennt sich Dey Lumonos Abieskas – der erleuchtete Speer. Oder in der alten Sprache von vor dem Kataklysmus: Akashi-Yari-Tsukino.«
»Ich habe davon gehört, es ist eine Legende, eine, die man den Novizen erzählt.« Uhra war sichtlich nervös, er rieb sich die Hände, die Knöchel traten weiß hervor.
»Ja, die Geschichte kenne ich auch«, sagte Thealea. »Aber die ich erzählt bekommen habe, besagt auch, dass der Speer später verschwunden ist, in den Wirren des Kataklysmus, höchstwahrscheinlich zerstört.«
»Richtig, jetzt wo du es sagst, erinnere ich mich auch. Er soll von Artemesea geworfen worden sein, irgendein anderer Gott als Ziel glaube ich. Niemand hat ihn danach gesehen.«
Beide blickten den Hohepriester an. »Ja, über diesen Speer sprechen wir. Es ist eines der wichtigsten Artefakte, die wir als Kirche besitzen, aber er war nie verschwunden, eher gut verborgen. Einer ihrer ersten Jünger gründete einen geheimen Orden, dessen alleinige Aufgabe es war, den Speer zu schützen, unsere Göttin zu ehren. Der Speer ist einer der ältesten göttlichen Artefakte, die wir besitzen. Sollte er verloren sein oder in die falschen Hände gelangen…. Es wäre eine Katastrophe und eine bedeutende Schwächung von Artemesea.«
»Ist es das, was die Überfälle zum Zwecke haben? Die Schwächung unserer Göttin? Aber was wollen sie damit erreichen, wer will einen Gott erzürnen, ihr ihre Heiligtümer stehlen und Priester töten?«
Thealea schwankte zwischen Besorgnis und Wut. Ihr Gesicht war gerötet, die rechte Hand zu einer Faust geballt.
»Deshalb sind sie also hier, deshalb die Morde an Geridion und den anderen!«
Thealea schaute Uhra verwirrt an. »Was meinst du?«
»Ist es nicht offensichtlich? Der andere Tempel, die Nachricht heute Morgen, jeder Gläubige kennt den Ort als Pilgerstätte für ein anderes Artefakt, das Gewand der Artemesea, jenes, welches sie trug, als sie gegen die Drachen gekämpft hat. Ihr Blut ist auf dem Wams, genauso wie auf dem Speer.«
»Aber was hat das dann mit uns zu tun?« Thealea verstand noch immer nicht, wollte sich nicht eingestehen, was in ihrem Innern bereits Formen angenommen hatte.
»Es muss bei uns im Tempel auch etwas Wichtiges geben!« Sein Blick lag auf Raschid.
Der Hohepriester schwieg, nach einer schmerzlich langen Pause sagte er: » Ja, es gibt auch in diesem Tempel ein Artefakt unserer Göttin.«
Die Beiden waren so perplex, konnten nichts sagen. Was für eine Offenbarung. Ein von Artemesea berührter, gesegneter Gegenstand. Hier in Calaman, hier im Tempel. Was für eine Macht! Aber warum war sie geheim?
»Ihr dürft über das, was ich euch jetzt sage, mit niemanden sprechen. Wirklich mit niemanden - ihr müsst schwören, im Namen von Artemesea!«
Thealea und Uhra nickten unabhängig voneinander, leisteten ohne zu zögern den Schwur, niemanden etwas zu erzählen.
»Wo fang ich an? Vor langer Zeit, sehr langer Zeit, als die Götter, die wir heute kennen und anbeten, angefangen haben, ihre Reiche zu bilden, ihre Macht unsterblich wurde, da besaß jeder einen Gegenstand, der zu seinem Symbol geworden ist. Die Symbole, die in Schriften, Büchern, Zeichnungen oder Roben immer und immer wieder zu finden sind. All diese Objekte sind Artefakte. Mächtige, magische Gegenstände. Sie repräsentieren ihren Gott, ihre Macht, ihre Unsterblichkeit.« »Aber was hat das mit dem Speer und dem Gewand zu tun – es sind nicht die Symbole Artemeseas.« Thealea erwartete schon eine erneute scharfe Zurechtweisung, aber es entstand nur eine unwirkliche kurze Spanne des Schweigens.
»Liebe Thea, du hast natürlich recht, aber ich denke Uhra hat bereits verstanden, worauf es hinausläuft. Die beiden genannten Artefakte sind wichtig, wichtig wie alles, was Artemesea repräsentiert, ihre Macht demonstriert und uns ihre Fähigkeiten ausüben lässt.«
»Und der Bogen ist hier bei uns im Tempel verborgen seit Zeiten. Und ihr seid so etwas wie der geheime Hüter, so wie euer Priesterfreund aus der Nachricht Hüter des Speers ist.« Uhra hatte ruhig, ja besonnen gesprochen, kein Vorwurf war zu hören. Trotzdem zuckte die junge Frau bei diesen Worten, die gegen ihren Mentor gerichtet waren, zusammen.
»Ja.«
»Aber warum die Geheimhaltung? Warum nicht preisen, was uns so wertvoll erscheint? Es ist damit doch wohl das wichtigste Heiligtum, welches wir besitzen, abgesehen von ihrer Locke, die im Haupttempel in Baskyton ausgestellt ist.«
»Sie wollte es so!« Raschids feste Stimme ließ keinen Platz für Zweifel. »Artemesea wollte, dass ein Teil ihrer Macht nicht für alle zugänglich, ja ersichtlich ist. Sie wollte verhindern, dass nur ihre Artefakte gesehen und angebetet werden, die Gläubigen sollten durch ihre Taten und ihre Gabe überzeugt sein, nicht eine Locke oder ein Speer sind es, die es anzubeten gilt.«
»Also sind sie, ist die dunkle Bruderschaft hinter dem Bogen her?«
»Ja, es sieht so aus.«
»Aber warum diese Artefakte zerstören? Artemesea wird nicht durch den Verlust der Sachen zu bezwingen sein!« Thealea war sichtlich erregt. Die Vorstellung, dass ein Angriff auf ihre Göttin im Gange war, hatte sie in ihren Grundfesten erschüttert.
»Wir werden den Schutz verbessern, zusätzliche Wache aufstellen. Jetzt wo wir wissen, was wir zu erwarten haben, werden sie nie eine Chance haben, das Artefakt zu zerstören. Wir werden kämpfen, wir werden siegen!« Die Oberpriesterin war aufgesprungen, hatte laut und mit viel Überzeugung kämpferisch gesprochen, ja fast schon geschrien.
»Thea, bitte setz dich hin. … Jetzt! Es wäre wohl nicht so gut, wenn der ganze Tempel so von der Sache erfahren würde.« Raschid sprach wie zu einem kleinen Mädchen, das mit einem Tadel zur Vernunft gebracht werden musste. Wieder zuckte die junge Frau, diesmal durch die Zurechtweisung, zusammen. »Entschuldigt bitte Hohepriester, ich habe mich vergessen.« »Schon gut, auch ich bin über die Situation, wie sie sich uns stellt, mehr als bestürzt. Wir müssen tatsächlich über unsere Möglichkeiten zur Verteidigung sprechen. Geradiana wird uns in dieser Angelegenheit sehr fehlen. Sie war in solchen taktischen Angelegenheiten einfach die Beste.« Seine Augen füllten sich mit Feuchtigkeit. Die erste sichtbare Regung seit dem Beginn der Unterhaltung.
»Ich werde die anderen Oberpriester hinzuziehen und sie darum bitten, achtsam zu sein und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ich denke, dass uns die Zeit davonläuft. Sie werden nicht aufgeben.«
»Wer ist die dunkle Bruderschaft? Wenn ihr es wisst, dann müsst ihr es uns sagen. Wir sollten wissen, wer unser Feind ist. Artemesea muss verteidigt werden.« Jetzt war es Uhra, der erregt gesprochen hatte und in seiner Anspannung im Raum umherlief.
Der Hohepriester erhob sich, ging ein paar Schritte auf Uhra zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Ja, ich werde es erklären, euch allen. Thealea, bitte geh und finde die anderen Oberpriester, damit ich mich mit ihnen beraten kann. Beeile dich, bringe sie in die Krypta. Versuche nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Es wird uns zwar nichts anderes übrig bleiben, als den Tempel stärker zu bewachen, aber ich will keine Panik. Ich will vermeiden, dass unsere Feinde die Situation ausnutzen und frühzeitig angreifen. Bitte geh jetzt, suche die verbliebenen Vier. Rasch! Ich folge dir. Ich werde Uhra zu den Wachen schicken und die Eingänge besser sichern lassen.«
»Ja, Hohepriester, ich werde mich beeilen. Ich schicke euch einen Novizen, sobald wir versammelt sind.«
»So soll es sein. Möge Artemesea deine Schritte leiten.« Es klang wie ein Abschied.
Die junge Heilerin hob beunruhigt zu ein paar fragenden Worten an.
»Geh, geh und beeil dich!« Raschid schnitt ihr die Worte ab, scheuchte sie förmlich aus seinem Audienzzimmer.
An Uhra gewandt sagte er: »Kommt, lasst uns gehen, wir müssen noch etwas anderes besprechen.« Mit diesen Worten schob der Hohepriester Uhra ebenfalls aus dem Raum, wies ihm mit der Hand, den Weg nach links zu nehmen. »Wir gehen hier lang. Wir müssen noch kurz in meine privaten Gemächer. Ich habe dort Aufzeichnungen, die Vieles erklären werden.« Schnellen Schrittes gingen beide den Gang entlang.
Uhra war noch nie in den privaten Gemächern des Hohepriesters gewesen. Dies würden die zweiten privaten Räumlichkeiten sein, die er heute sah, nachdem er schon die von Thealea betreten durfte. Manche Ereignisse führten zu seltsamen Begebenheiten.
Sie benötigten nur wenige Minuten, gingen in einen der älteren Bereiche. Dort, wo die Ursprünge des Tempels lagen, lagen auch die Räume des jeweiligen Hohepriesters, immer schon.
Seit der Gründung des Tempels der Mondgöttin vor 2900 Jahren gab es einhundertsiebenundzwanzig Hohepriester. Manche blieben nur wenige Jahre im Amt, waren jung gestoben, wurden getötet oder verschwanden. Diese Chronik war eine abenteuerliche Geschichte für sich. Die Legende erzählte, dass es einige geschafft hatten, in der Gunst von Artemesea so weit zu steigen, dass sie die unsterblichen Hallen bewohnten, immer noch im Dienst der Göttin, beschenkt mit dem ewigen Leben.