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KAPITEL 07

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Der nächste Schlag gegen seine Tür brachte ihn vollends zum Erwachen.

»Adderlin, Adderlin, mach endlich die Tür auf!« Das war die Stimme von Hagen. Schlagartig war er wach, stürzte in seine Hose und rief: »Ich komme ja, hör auf die Türe einzuschlagen.« Mit der rechten Hand schnappte er sich ein Hemd, mit der linken den Waffengurt mit den beiden Schwertern. Er schob den Riegel zurück, öffnete die Tür. Hagen stand schon halb umgedreht, ging ein paar Schritte auf die Tür zu, hinter der Nyander schlief. Hagen deutete nach unten. Adderlin schaute über das Geländer.

Unten stand ein junger Mann, gekleidet in den Farben und dem Emblem der Mondgöttin, Artemesea.

»Was zur Hölle will der hier – und warum ist Uhra nicht hier?« Neben ihm ging die Tür auf. Gwendolin, ordentlich angezogen, aber mit Ringen unter den Augen, trat aus dem Zimmer. »Nicht einmal eine Nacht kann man vernünftig schlafen!« Sie schaute verdrießlich.

»Ja, ja, das Leben ist schon schwer«, gab der Elf ironisch zur Antwort. Gwen streckte ihm die Zunge raus. »Bist wohl neidisch?« »Ich steh nicht so auf Männer.« Diese Aussage brachte ihm erneut die Zunge der Magierin ein.

Unten angekommen folgten sie Hagen in einen Nebenraum. »Hier haben wir mehr Ruhe.« Er zeigte auf den jungen Mann, der eine Robe trug, die ihn als Mönch im siebten Zirkel, der untersten Stufe des Priestertums in der Kirche der Mondgöttin, auszeichnete.

»Dies ist Leschor. Er wurde vom Hohepriester gesandt.« Nyander und Adderlin wechselten erstaunte Blicke.

Leschor räusperte sich und sagte leise:» Rashid al Degarus, unser geliebter Hohepriester, hat mich gesandt, um Euch aufzufordern, nein, Euch zu bitten, so schnell wie möglich zu ihm in den Tempel zu kommen. Euer Freund Uhra Faril wird auch dort sein.« Er sah etwas unsicher von einem zum anderen. »Was ist passiert?«, meldete sich Nyander.

»Ich kann es Euch nicht sagen, ich weiß es nicht. Als ich heute zum Frühgebet und zum Küchendienst aufgestanden bin, war es eigentlich so ruhig wie immer.«

»Und dann?« Gwen sprach mit sanfter Stimme. Adderlin bemerkte, dass sie ein wenig ihrer Magie in die Frage mit einfließen ließ, um Vertrauen zwischen ihr und dem unsicheren Priester zu schaffen.

Der junge Mann blinzelte, sagte ohne den Blick von Gwen zu nehmen: »Ich sah einige der Tempelwachen und einen Heiler aufgeregt durch die Flure eilen. Und dann bin ich gerufen worden, vom Oberpriester, der das Frühgebet im großen Saal des Tempels abhalten sollte. Er schickte mich mit der Nachricht, die ich euch überbracht habe los.«

»Danke, wir werden uns noch kurz zu Ende anziehen und dir dann folgen. Bist du zu Fuß hier?«

»Ja, ich besitze kein Reittier und so bin ich den Weg gelaufen.« »Hast du gefrühstückt? Du kannst derweil in die Küche gehen, noch etwas essen, bis wir fertig sind«, meinte Gwen freundlich. »Ich weiß nicht so recht, wir sollten eher schnell aufbrechen.« Sein Blick wanderte auffällig an den Freunden vorbei zu der Magd, die vor der offenen Tür gerade mit einem Korb Brötchen vorbei ging.

»Wir werden ein paar Minuten brauchen, geh nur in die Küche, wir sind sofort bei dir. Bestell der Köchin einen Gruß von mir, sie wird dir geben was du möchtest.«

Mit einem Nicken machte sich der junge Priester auf den Weg in Richtung Küche. »Durch die zweite Tür und dann gleich links«, rief Nyander dem Boten hinterher.

Als er außer Hörweite war, sagte Hagen: »Was haltet ihr davon? Wieso wir und warum ist Uhra nicht hier, sondern das Milchgesicht?«

Gwen stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. »Du sollst nicht so reden, er kann doch nichts dafür.«

»Die Sache ist schon komisch, aber gerade deshalb und um zu erfahren, was Uhra macht, sollten wir hingehen. Lass uns unsere Sachen holen und dann aufbrechen.«

»Ich hatte noch nicht einmal ein Frühstück, mein Magen knurrt. Müde bin ich auch noch!« Nyander machte keinen Hehl aus seiner schlechten Stimmung.

»Ich habe auch nicht genug geschlafen! Hungrig bin ich auch, aber vielleicht sehen wir unterwegs noch einen Stand mit frischem Brot oder so etwas.« Der Elf machte sich auf den Weg in sein Zimmer, um den Rest seiner Kleidung anzulegen, seine Haare zu binden, die Stiefel anzuziehen, dann zog er los.

Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie sich in der Küche trafen. Leschor aß gerade sein drittes Spiegelei, stand verlegen auf, richtete seine Robe. Die vier Freunde schauten sich wehmütig in der so gut duftenden Küche um, machten sich aber gleich auf den Weg, niemand wollte Zeit verlieren, die Unruhe hielt alle in ihren festen Klauen.

Nyander hatte sich noch eine Orange und einen Apfel geschnappt. Hagen schaute zu ihm rüber, und Nyander warf ihm den Apfel zu. Hagen brach ihn in zwei Stücke, gab die Hälfte Gwen. Sie nickte Hagen zu, begann genüsslich zu essen. Nyander schälte mit einem Messer grob die Orange. Der Saft tropfte ihm über die Finger. Mit dem Schälen fertig, gab er einen Teil dem Elf.

»Danke.« Adderlin nahm die Orange, verspeiste sie mit zwei Bissen.

In der frischen Morgenluft waren nur wenige Leute unterwegs. Man sah die Gemüse- und Obsthändler mit ihren Wagen und ihren schiebbaren Ständen. Eine Karawane machte sich auf ihren Weg, kreuzte den Weg der Gruppe. Nyander schaute dem Zug der Wagen hinterher, erblickte am Ende der Gasse eine Gestalt. Er war sich sofort sicher, dass sie beobachtet wurden. »Wir haben einen Schatten«, raunte er so leise wie möglich in Richtung Gwen.

»Hagen, bitte stütze mich für einen Moment.«

Hagen schlang seinen Arm um die Hüfte der Magierin. Beide gingen weiter, nur wer genau hinsah, hätte bemerkt, dass Hagen Gwen trug. Ihre Beine berührten den Boden nicht mehr, Gwendolins Kopf sank nach vorne, die Augen waren geschlossen. Keine zehn Sekunden später öffnete sie ihre Augen, tippte Hagen auf die Schulter. Der ließ sie los. Gwen ging wieder alleine. »Es sind die von gestern, ich habe ihre Signatur wiedererkannt.«

Leschor drehte sich um, blickte fragend in die Runde.

»Geh weiter Junge«, tönte die raue Ansage von Nyander durch die Gasse. »Jetzt ist keine Zeit für Fragen, später kannst du fragen.«

Sie erreichten den Seiteneingang, an dem sie sich am Vorabend von Uhra, Kodasis, Geridion und den anderen Priestern verabschiedet hatten. Vor der Tür standen vier der Artemeseatiken. Ihre Rüstungen waren fein säuberlich poliert. Wachsam schauten sie in die Runde. Leschor grüßte, sprach ein paar Worte, wobei der Name des Hohepriesters fiel. Eine der Tempelwachen nickte, öffnete ihnen die Tür. Die Gruppe schlüpfte hinein, der junge Priester aber schaute sich noch einmal um und runzelte die Stirn. Adderlin fragte, ob alles in Ordnung wäre.

»Ich habe hier noch nie mehr als zwei Wachen gesehen. Ist auch kein besonderer Feiertag.« Die Freunde sahen sich an, sagten aber nichts.

Lampen, von Öl gespeist, vertrieben die Dunkelheit in dem Gang, den Leschor nahm. Er führte sie durch eine Reihe von Gängen, durch den Innenhof in einen Bereich, dessen Zutritt offensichtlich nicht allen Angehörigen des Ordens erlaubt war. Die Gänge waren verziert, sie zeigten Szenen aus dem Leben von Artemesea. Die Göttin auf der Jagd, die Göttin beim Gebet, sie, die den Mond repräsentierte mit Jüngern auf einer Lichtung bei Nacht. Szenen, in denen die Heilung von Verletzen im Vordergrund stand. Wände geziert mit Symbolen, die ihre Insignien waren. Der Mond in all seinen Facetten. Der Bogen, der sie begleitete, auf der Jagd und im Kampf. Bilder mit ihren Auserwählten, die wie Engel mit ihrem Licht strahlten, die zur Rechten und Linken der Göttin in ihrem Saal der Freunde saßen. Texte, Gebete und Lobeslieder, fein säuberlich in Silber und Blau aufgezeichnet. Der dezente Prunk wurde weniger, je weiter sie in die Tiefen des Tempels gelangten.

Vor einer großen zweiflügeligen Tür standen erneut zwei Wachen. Offensichtlich erkannten sie den jungen Priester und waren über die Anwesenheit der Gäste keineswegs überrascht. Einer der beiden Flügel wurde geöffnet. Sie betraten einen Vorraum. Es gab natürliches Licht, welches durch drei große Fenster zu ihrer Linken in den Raum fiel. Der Boden war mit dunkelblauen Teppichen belegt. Bänke standen vor den Fenstern und an der gegenüberliegenden Wand. Auf dieser Wand war in Übergröße Artemesea mit einem Bogen gezeichnet, schlicht und elegant. Der Bogen leuchtete im einfallenden Licht silbern.

»Setzt Euch bitte. Ich werde Euch anmelden.« Leschor deutete auf die Bänke. »Ihr könnt etwas essen, wenn Ihr wollt.« Zwischen den Bänken standen kleine Tische mit Schalen voller Obst. Der junge Mann ging zu der anderen großen Pforte, die genau so aussah, wie die, durch die sie eingetreten waren. Er klopfte leise, und obwohl keine Antwort zu hören war, öffnete sich einer der Flügel, Leschor trat ein. Man konnte nur einen knappen Blick in den nächsten Raum erhaschen. Die Tür schloss sich wieder. Die vier Freunde waren allein.

»Kommt euch das hier nicht auch mehr als ein wenig seltsam vor?« Nyander schaute aus dem Fenster, ging anschließend zur Tür, durch die sie gekommen waren. »Wieso holen die uns so eilig hierher. Und nochmal, warum ist Uhra nicht hier?«

Wie aufs Stichwort öffnete sich der erste Zugang. Ein mürrisch aussehender Uhra betrat den Raum. Alle sprangen auf, begrüßten ihren Freund.

»Was ist hier los?«, fragte Hagen.

»Was macht ihr hier?«, lautete die gleichzeitig gestellte Gegenfrage von Uhra. Seine Robe war nicht ganz geschlossen, sah aus, als ob Uhra sie hastig anziehen musste. Die Haare hatten heute auch noch keinen Kamm gesehen, leicht zerzaust machte er einen wilden Eindruck.

Hagen berichtete von ihrem frühen Boten und der Eile, mit der sie hergekommen waren. Er deutete auf die zweite Tür, wollte wissen, was dahinter verborgen wäre.

»Das ist das offizielle Empfangszimmer des Hohepriesters.«

»So was habe ich mir schon gedacht. Aber warum die Eile? Hast Du nicht bereits gestern einen Bericht abgeben müssen?«, vermutete Gwen.

»Ja, ich habe zusammen mit Geridion und den anderen einen mündlichen Bericht gegeben. Nichts hat auf ein erneutes Treffen schon heute, schon gar nicht so früh hingedeutet.«

»Wir wurden verfolgt! Auf dem Weg hierher.« Gwen sprach absichtlich leise, man konnte nicht wissen, ob die Wände Ohren besaßen.

»Verfolgt?« Uhra war sichtlich überrascht.

»Nicht so laut.«

»Wir wissen nicht, wer dahintersteckt, nur, dass es einer von denen war, die uns auch schon gestern begleitet haben.« »Woher weißt du das Gwen?« Uhra schaute erwartungsvoll zur Magierin hinüber.

»Ich habe sie im astralen Raum gesehen. Du weißt schon, astrale Signatur, man kann sehen, wie ihre Energie aussieht.« »Richtig, du hast mir davon erzählt. Kann man da nicht auch Magie sehen?«

»Ja, aber da war keine, sie waren nicht verzaubert oder magisch aktiv.«

»Wer sollte uns …«

Die Tür durch die Leschor gegangen war, wurde geöffnet, Kodasis grüßte sie. »Bitte kommt herein. Ich freue mich, euch zu sehen.« Seine Stimme klang belegt, seine Augen waren traurig.

Sie folgten der Aufforderung, betraten einen großen, hellen Raum, reich ausgestaltet, es gab erlesene Stühle und einen zentralen Tisch. Große Fenster ließen genügend Licht hinein, um das Silber auf dem Tisch zum Leuchten zu bringen. Am anderen Ende des Raumes stand ein Schreibtisch, auf dem diverse Briefe, Schriftrollen und Pergamente lagen. Ein Teller mit den Überresten eines Essens und ein Kelch mit dunkler Flüssigkeit waren ebenfalls zu sehen.

Rashid al Degarus, der Hohepriester, erhob sich, als er die Freunde erblickte. Mit einem Wink entließ er Kodasis, der überrascht den Raum verließ.

Der Hohepriester war ein Mann, der im sechsten oder siebten Jahrzehnt seines Lebens stand. Seine Bewegungen waren ruhig, aber nicht langsam. Er war kein gebrechlicher Mann, er war alt, aber nicht eingefallen oder senil. Seine blauen Augen musterten die fünf Neuankömmlinge eindringlich, während er auf sie zuschritt, in eine prächtige Robe gekleidet. Sie war, wie nicht anders zu erwarten, dunkelblau, mit Silber abgesetzt. Symbole der Göttin waren mit feinem Faden aufgestickt und über die gesamte Robe verteilt.

Er lächelte, das Lächeln aber erreichte nicht seine Augen, verstärke eher den Eindruck eines geistigen Führers. Die Absicht, Vertrauen bei seinen Gästen hervorzurufen, schlug fehl.

»Willkommen und Entschuldigung für die Art, euch hierher zu holen.« Rashid zeigte mit seiner Hand auf die Stühle. »Ich habe etwas zu essen für euch bestellt. Es sollte gleich hier sein.«

Der Tisch war groß genug für zwanzig oder mehr Personen. Am oberen Ende war für die Freunde gedeckt. Eine Karaffe mit Saft und ein Krug mit Milch standen auf dem Tisch.

»Bitte setzt euch. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden. Uhra hat mir gestern zusammen mit den anderen von eurer Reise erzählt. Und obwohl es eine von uns geplante und getriebene Reise war, möchten wir gerne auch eure Version der Dinge erfahren, die auf so schreckliche Weise das Leben vier meiner jungen Priester gekostet hat.« Er machte eine kurze Pause, man konnte sehen, dass einige Sorgen ihm zu schaffen machten. »Bitte, erzählt mir, ich möchte speziell eure Eindrücke und Erfahrungen, die mit den Kämpfen und den Kreaturen verbunden sind hören. – Wollt ihr anfangen werte Dame?«

Er machte eine Geste in Gwens Richtung.

»Lasst das, alter Mann! Versucht es gar nicht erst.« Gwen hatte sich halb erhoben, schaute böse auf den Hohepriester. Ihre Finger zeichneten unbewusst komplizierte Muster in die Luft.

»Was ist?«, wollte Hagen wissen.

Uhra schaute erschrocken ob des ungebührlichen Tons, den die Magierin gegenüber seinem Hohepriester anschlug.

»Er hat versucht mir mit seiner Macht einen Bann aufzuerlegen.«

»Was?«

Spannung lag in der Luft.

»Ich entschuldige mich! Ich wollte nur sicher gehen, dass Ihr mir alle Einzelheiten berichtet.«

Uhra wollte etwas sagen, bekam aber kein Wort heraus.

»Wir sind als Freunde gekommen, nicht als Eure Feinde, die Ihr verhören müsst.« Adderlin hatte ruhig, aber deutlich zum Ausdruck gebracht, was alle dachten.

»Ich entschuldige mich, ich habe mich vergessen – bitte nehmt meine Entschuldigung an, es wird nicht wieder vorkommen.«

In dieser Minute wurde warmes Essen gebracht. Sie warteten, bis sie erneut unter sich waren. Gwen hob den Kopf, setzte sich gerade hin, erzählte trotz Unbehagen ihre Variante des Geschehens. Zwischendurch trank sie etwas Saft, aß ein paar Weintrauben. Raschid unterbrach sie ein paar Mal, stellte Fragen, die ihm halfen, die Aussage der Magierin richtig zu verstehen. Gwen war keine Geschichtenerzählerin und so war ihr Bericht kurz und knapp, sachlich und ohne Schnörkel. Sie berichtete von den Orks, den Ogern und der Beharrlichkeit, mit der sie verfolgt und immer wieder angegriffen wurden. Sie lobte den Einsatz von Kodasis und Geridion. Wie sie geholfen hatten, den Feind zu vertreiben, die Verwundeten zu heilen.

»So, so.« Eine Welle der Trauer rollte über das Gesicht des Hohepriesters. »Das ist gut zu hören, ich wusste, unsere Göttin würde ihre treuesten Anhänger nicht im Stich lassen. Bitte, ich wollte Euch nicht unterbrechen, erzählt weiter.«

»Ich war eigentlich fertig.« Gwen schaute Hagen an, zuckte mit den Schultern.

Hagen nickte, warf ihr einen liebevollen Blick zu und fragte: »Wo ist eigentlich euer Oberpriester – ich meine Geridion, warum ist er nicht hier?« Es entstand eine Pause, keiner sagte ein Wort. Sie warteten auf die Antwort des Hohepriesters.

Durch ein offenes Fenster konnte man die ersten Vögel zwitschern hören. Die Sonne schob sich über die Dächer, ein Sonnenstrahl fiel durch das mittlere Fenster, beleuchtete eine silberne Statue der Göttin bei der Jagd, die auf dem Tisch stand.

Uhra konnte, genau wie die anderen, das Zeichen sehen, verstand es, zog scharf die Luft ein. »Er ist tot, ist es nicht so? Artemesea hat ihn zu sich geholt – möge sie ihn wohlwollend empfangen und er durch ihre Hallen wandeln.« Seine Gesichtsfarbe war aschgrau, seine Augen füllten sich mit Tränen. Sie liefen ihm über die Wangen, er ließ es geschehen.

Raschid nickte. »Ja, Geridion ist heute Nacht zu Artemesea gegangen. Wir werden ihn lobpreisen und um ihn trauern.«

Niemand sagte ein Wort. War es nicht erst gestern, dass man sich von dem Oberpriester vor dem Tempel verabschiedete? Er war erschöpft, aber nicht verletzt oder krank. Alle hatten sie erwartet, ihn in den nächsten Tagen wieder zu sehen, gemeinsam etwas zu essen oder zu trinken.

»Was ist passiert?« Nyander stützte sich auf den Tisch, schaute Raschid fragend an.

»Wir wissen es nicht genau, es… wir werden es in den nächsten Stunden bestimmt erfahren. Sie untersuchen ihn gerade.« »Warum untersuchen sie ihn? Gab es einen Einfluss von außen?«

»Nein, wir glauben nicht, wir denken…. Ach es ist jetzt doch egal, ihr seid schon mitten drin. Ich werde euch jetzt einige Dinge erzählen, die diesen Raum nicht verlassen dürfen!«

Raschid stand auf, begann vor dem Tisch auf und ab zu gehen. Seine Hände waren ineinander verkrampft, die Knöchel traten weiß hervor. »Wir wissen tatsächlich nicht genau, was passiert ist. Klar ist aber, dass mein guter, alter Freund nicht eines normalen Todes gestorben ist.« Er hob abwehrend die Hand, als Nyander zu einer Frage ansetzten wollte. »Später könnt Ihr Fragen stellen, jetzt hört bitte erst zu.«

Eine Hand wischte über das Gesicht, ein erschöpftes Gesicht, um mindestens zwanzig Jahre gealtert, die Sorgen bildeten Falten auf seiner Stirn.

»Er starb unter Qualen. In der Nacht fanden ihn zwei Priester. Er war nicht bei Bewusstsein, redete unverständliche Dinge, wälzte sich in seinem Bett. Keine Hilfe, die wir aufzubieten hatten, konnte ihn erreichen. Keine Heilung zeigte Wirkung. Die Zuckungen wurden stärker und… und wenig später hörte sein Herz auf zu schlagen, einfach so. Von einer Sekunde auf die andere. Unsere besten Heiler sind immer noch bei ihm, um zu ergründen, wie es dazu kommen konnte. Es ist schlimm, wenn die Macht unserer Göttin uns nicht hilft. Eine traurige Tatsache, zeigt sie uns doch, wie klein wir sind. Jederzeit kann der Weg, der klar vor uns lag, sich verändert haben, ins Dunkle führen.« Raschid hatte sich sein Glas mit Saft genommen, trank einige Schlucke.

»Dies ist aber noch nicht alles, oder?«

Uhra, der in Trauer gefangen, in sich zusammengesunken am Tisch saß, hob bei diesen Worten ruckartig den Kopf, malte ein Zeichen in die Luft. Die Freunde kannten diese Angewohnheit, es war ein Schutzbann, der als Fürbitte an seine Göttin gerichtet war. Möge sie ihn schützen!

»Ja, es gibt noch mehr. Leider ist seit eurer Abreise mehr passiert. Geridion ist nicht der erste Priester, der auf ungewöhnliche, unerklärliche Weise zu Tode gekommen ist. Da ist Feschaar, der Bibliothekar. Wir fanden ihn vor zwölf Tagen. Er lag mit aufgerissenen Augen und einem Buch vor die Brust gepresst in einem nur für Priester höherer Weihen zugänglichen Teil der Bibliothek. Der Teil unserer Sammlung, der die heiligen Schriften, die Originale und ähnliches enthält. Wir haben einen Schutz vor Eindringlingen aktiviert, einen sehr guten Schutz, wie wir glaubten. Es ist nicht klar, was ihn befallen hat. Er war Oberpriester wie Geridion.«

Der Hohepriester setzte sich an den Tisch, schaute Uhra lange an. »Wir haben offensichtlich einen Feind. Einen Feind, der die mächtigsten Priester in diesem Tempel angreift.« Er schüttelte seinen Kopf. »Ich kann es selbst kaum glauben. Zwei Tage später wurde die Leiche unserer Schwester Geradiana gefunden. Sie war die Mentorin für die Tempelwachen. Ihr oblagen die Ausbildung, das Training der Artemeseatiken und die Erarbeitung der Dienstpläne. Sie, die unsere beste Kämpferin war, hatte in einem den Übungsräume gelegen. Keine offensichtliche Wunde, wohl aber lief Blut aus Nase und Mund. Ihre Hände umklammerten noch einen Streithammer, an dem ebenfalls Blut klebte, das aber nicht von ihr stammte. Wir haben es untersucht, wissen aber nichts Genaues.«

»Sind dies alle Brüder und Schwestern, die wir zu beklagen haben?« Uhra fragte leise, seine Stimme versagte ihm fast den Dienst. Niemand rührte sich, nur das Atmen war zu hören. Uhras Frage tönte viel zu laut in dieser Stille und traf doch die Empfindung der Anwesenden. Wo solche Taten möglich waren, war es wahrscheinlich, dass noch mehr Opfer zu beklagen waren.

»Nein.« Raschid schüttelte leicht den Kopf »Nicht in den letzten Wochen.«

»Was heißt, nicht in den letzten Wochen?« Adderlin hatte den Eindruck, der Hohepriester habe dies nicht ohne Grund gesagt. »Ihr habt den gleichen Gedanken wie ich, werter Elf. Wann hat es angefangen, das habe ich mich auch gefragt. Ich habe mir daher heute Nacht die Listen aller Verstorbenen der letzten Jahre bringen lassen. Sie liegen hinter mir auf dem Schreibtisch. Noch fand ich keine Zeit, sie zu lesen, geschweige denn sie zu bewerten. Aber nochmal, niemand darf dies wissen, ich kann und werde eine Panik im Tempel nicht dulden. Außerdem würde es unserem Feind zeigen, dass wir von ihm wissen.«

»So geht ihr tatsächlich von einem Angriff aus?«

Hagen schaute sich unwillkürlich um, sagte leise zu Gwen »Kannst du sehen ob jemand lauscht? Ich meine astral, ist das möglich?«

»Nicht jetzt«, zischte Gwen in Richtung Hagen. »Es muss nicht jeder wissen, dass so etwas möglich ist – auch nicht der Hohepriester!«

Hagen nickte und wandte sich wieder der Diskussion zu, die sich zu einer Frage nach möglichen Tätern entwickelte.

»Es gab immer Rivalitäten zwischen einzelnen Orden. Wir liegen in einem Dauerstreit mit den Anhängern von Freyasa, aber ein Wettkampf im Glauben, ausgetragen mit Argumenten und Überzeugung. Niemals mit Waffen oder so hinterhältig, wie das, was wir jetzt gerade erleben. Oh ja, der Disput ist heftig, führt manchmal sogar zu derber Beschimpfung, auch in der Öffentlichkeit. Nie aber floss Blut, mal ein blaues Auge, mehr nicht.«

»Mehr nicht?« Gwen hatte einen fast arroganten Ton angeschlagen.

»Ihr müsst nicht herablassend werden, junge Dame, es liegt nun mal nicht in meiner Natur, Fremden, auch wenn sie die Freunde eines Ordensbruders sind, nicht öffentliche oder auch gefährliche Informationen zu geben. Ich, wir als Diener von Artemesea haben uns auch wegen unserer Art nicht mit allem und jedem zu paktieren, einen Ruf als aufrechte und vertrauenswürdige Partner erarbeitet. Intrigen gibt es und gab es immer, auch innerhalb des Ordens. Ja, sogar hier innerhalb dieser Mauern. Neid und Missgunst, Macht und Ehre sind für manchen Antrieb genug, sich über die Regeln und Tradition, die uns die Göttin persönlich vorgegeben hat, hinwegzusetzen. Bis heute ist dies im Orden, im Tempel oder unter Hinzuziehung des inneren Zirkels immer gelungen, solche Angelegenheit ohne Blutvergießen zu beenden. Zweifelt nicht an unserer Aufrichtigkeit, wir sind zu tiefst bestürzt. Ein so massiver Eingriff ist etwas Unvorstellbares. Während wir hier sitzen, wird bereits versucht, die Lösung für unser Problem zu finden. « Raschid räusperte sich. »Aber um auf Eure Frage zurückzukommen. Vor hundertneunzig Jahren gab es tatsächlich eine blutige Auseinandersetzung. Die Anhänger von Kali, Göttin der Grausamkeit, überfielen Priester unseres Ordens, meist außerhalb der Tempelmauern. Sie töteten sie, opferten sie ihrer Göttin.«

Nyander zuckte unwillkürlich zusammen, bei der Nennung der Göttin der Grausamkeit.

»Wir mussten einschreiten, haben ihren Tempel angegriffen und vernichtet.« Der Hohepriester machte eine Pause.

»Wir wollten nicht, dass der Angriff als reine Aggression von unserer Seite aus in der Öffentlichkeit gesehen wird. Konnten wir doch die Morde an unseren Brüdern und Schwestern nicht beweisen. Ja, wir wussten wer es war, aber in der Öffentlichkeit, vor dem Rat der Stadt, konnten wir dies nicht beweisen. Wir wären als Mörder und Unruhestifter gebrandmarkt worden.« Er trank ein Schluck Wasser, um die Kehle zu befeuchten.

»So entschloss sich der damalige Hohepriester Wernherr van Blate, die gezielte Aktion im Verborgenen durchzuführen.“

Uhra musste über das Gehörte nachdenken.

Raschid hatte erneut angefangen, zu sprechen. »Und deshalb müssen wir uns vorbereiten. Es war der Grund, warum ich Euch hergebeten habe. Alle Details der Geschehnisse können wichtig sein, Eure andere Sichtweise der Ereignisse birgt wohlmöglich Hinweise, die für uns wichtig sind.«

Er nahm abermals das Glas, trank. Seine Miene war angestrengt, die Sorgen standen ihm ins Gesicht geschrieben.

»Wollt ihr Eure Sicht der letzten Tage erzählen?« Raschid schaute Nyander an, wartete.

Der Halbelf räusperte sich, begann mit den Eindrücken, die er während der Reise gewinnen konnte. Ernüchternd war dabei die Schilderung der Fähigkeiten der mitgereisten Priester im Kampf. Seine Auswertung dazu war schonungslos. »Wir waren mit keinerlei Fernwaffen ausgestattet. Einmal war die Situation wirklich brenzlig.«

Hagen hob die linke Augenbraue.

»Wann soll das gewesen sein?«, wollte auch Gwen wissen.

»Als Nyander den Angriff des Lykanthropen abgewehrt hat«, antwortete Adderlin knapp.

Alle Blicke waren schlagartig auf den Elfen gerichtet.

»Wenn ihr mich reden lasst, werde ich es erzählen.« Nyander musste die Stimme heben, um gegen das Geraune anzukommen. »In der einen Nacht, als wir angegriffen wurden. Ich spürte eine seltsame Präsenz, bin ihr in die Nacht gefolgt. Es war ein Werwesen, groß und, so glaube ich, von Wahnsinn oder einem Zauber umnachtet. Ich habe ein paar Erfahrungen mit Werwesen sammeln müssen, habe gewusst, dass Silber oder Magie die besten Mittel sind, so einen Gegner wirksam zu bekämpfen. Ich hatte Glück, meine Zweililie ist aus einer Legierung, welche auch Silber enthält«

Erneut gab es einen Moment der Stille, das Gesagte wurde überdacht, aber die Überlegungen führten zu keinem Ergebnis. Raschid schaute von Hagen zu Adderlin, um zu sehen, welcher der beiden zuerst seine Sicht der Reise schildern wollte. Hagen aber hob abwehrend die Hand. »Ich habe dem, was Gwen und Nyander gesagt haben, nichts hinzuzufügen. Nichts was nicht schon gesagt oder vermutet wurde.«

»Was ist mit dir Adderlin? Hast Du noch etwas gesehen oder gehört, was wir noch nicht besprochen haben?« Uhra war anzusehen, dass er unzufrieden mit der sich entwickelnden Geschichte war. Viele lose Enden, noch mehr Fragen, und es schien, als ob ihnen die Zeit davonlaufen würde. Noch mehr Tote wären eine Katastrophe.

»Ich habe nicht viel dazu zu sagen. Sie waren weder gut ausgerüstet, noch besonders gute Kämpfer. Keine Magie half ihnen – wobei… es stimmt so wohl nicht. Es wurde ihnen mit Magie geholfen, sie waren sehr leise – ungewöhnlich für Orks. Was noch viel auffälliger war, ich habe sie im Vorfeld der Kämpfe, als sie uns aufgelauert haben, nicht gerochen, Orks stinken doch immer!«

Adderlins Stimme nahm eine verbissene Note an. Der Hass, den er auf die Orks hatte, war unverkennbar. Es gab nur eine Spezies, der noch mehr Verachtung und Hass entgegengebracht wurde. Die Drow, die dunklen Brüder, vor vielen tausend Jahren verstoßen aus der eigenen Sippe, geflüchtet in das Innere der Erde, wo sie ihre Spinnengöttin anbeteten. Sie wurden gejagt und ohne zu fragen, getötet. Kein Ruhm und keine Ehre, für niemanden.

»Seltsam, jetzt wo du es erwähnst, es stimmt, sie waren sehr leise und ihr Gestank war erst zu riechen, als der Kampf losging. Es muss Magie gewesen sein, eine Art, die ich nicht kenne. Hätte ich mehr Zeit gehabt, dann würde ich jetzt besser wissen, welche Art von Magie es war. Zu schade, dass ich nicht früher auf die Idee gekommen bin. …aber vielleicht ist es noch nicht zu spät!«

»Was meinst du?« Hagen hatte nicht sofort verstanden, auf was Gwen hinauswollte.

UHRA - Göttlicher Auftrag

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