Читать книгу UHRA - Göttlicher Auftrag - Peter Schwerthelm - Страница 11
KAPITEL 09
ОглавлениеThealea schloss mit einem kleinen silbernen Schlüssel eine eher unscheinbare Tür auf. Neben der Tür war eine kleine Tafel befestigt, auf der ein einziges Symbol zu erkennen war. Eine Hand war in feinen Linien in das blau lackierte Silber getrieben worden, waagerecht angeordnet, mit einigen Strahlen, die nach unten liefen. Offensichtlich das Zeichen eines Heilers. Die junge Frau deutete nach links.
Uhra öffnete die Tür zum Garten und blinzelte in die Sonne. Adderlin folgte als Nächster vor dem Halbelfen, Hagen und Gwen, schließlich Thealea, die ein leises Schluchzen unterdrückte. Der Kräutergarten maß gerade mal zehn auf zehn Meter, war an drei Seiten von einer drei Meter hohen Mauer umgeben. Die vierte Seite bildete die Front zu den persönlichen Räumen der Oberpriesterin. Fein säuberlich angelegte Reihen mit Pflanzen waren zu sehen, schmale Wege aus Erde trennten die Beete. Im hinteren Bereich befand sich ein kleiner Brunnen. Auf der Steinmauer stand ein Holzeimer mit Kette. Vor dem Fenster, das zu den Räumen Thealeas gehörte, stand eine Bank, daneben ein Arbeitstisch für Pflanzarbeiten, bedeckt mit Töpfen, Grabeschaufel, kleinen Schildern, Gefäßen aus Holz und Blech, Resten von Blüten und Blättern sowie ein Paar benutze Handschuhe. Neben dem Tisch stand ein kleiner Hocker, eine Gießkanne, einen Holztrog. Weitere Stühle oder Sitzgelegenheiten gab es nicht.
Nyander steuerte auf den Brunnen zu, schaute kurz hinein, setzte sich dann auf den Rand. Adderlin folgte ihm, setzte sich aber nicht. Hagen und Gwen nahmen auf einer kleinen Bank Platz. Uhra stellte sich daneben.
Die Heilerin nickte, schaute sich um, sah, dass es keinen Sitzplatz mehr gab, setzte sich auf den Boden, halb im Beet, halb auf den Weg, schien das gar nicht richtig wahrzunehmen.
»Soll ich anfangen?« Gwen straffte sich, berichtete ohne eine Antwort abzuwarten von ihren Beobachtungen. Es war nicht einfach für sie, über die Erlebnisse in der astralen Ebene zu sprechen, anderen Menschen so offen von ihrer Fähigkeit zu erzählen. Ihre Freunde besaßen wenigstens eine Ahnung von dem, was sie sah, wie sie sich dort bewegte, aber sollte die junge, ehrgeizige Frau auch davon wissen? Hagen musste ihr Unbehagen gespürt haben, denn er nahm ihre Hand, nickte ihr beruhigend zu. Gwen erzählte also von den Farben, dunkel für tote Materie, wenig oder keine astrale Energie. Helle Farben bei Menschen und Tieren, unterschiedlich, je nach Natur und Veranlagung. Sie erzählte, wie erstaunt sie war, dass ein Muster, wie ein Netz bei Geridion zu sehen war, erst dunkel, dann durch ihre Energie geweckt, sich zielstrebig in ihre Richtung ausbreitend, davon, wie schwer es war, sich von der fremden Energie zu trennen. Am Ende ihrer Erzählung blickte sie auf ihre Arme und Hände, als wollte sie sicher gehen, dass dort nicht doch noch lila Linien erschienen waren.
»Und ich weiß nicht, was diese Energie war. So etwas habe ich noch nicht gesehen.«
Gwen schüttelte mit dem Kopf.
»Sah es aus, als ob das Netz den Körper erdrückt hat?« Nyanders nüchterne Frage brachte alle wieder zurück in die Realität.
»Du meinst, ob die fremde Energie, die Energie von Geridion erdrückt hat?«
»Ja, so was in der Art.«
»Ich bin mir nicht sicher, es war wie eine Hülle um den ganzen Körper, das ist wahr, aber ob es die Lebensenergie eines Menschen erdrosseln kann – ich kann es nicht sagen. Es sah nicht so aus, als würde es sich in die andere Energie reinschneiden. Aber vielleicht hatte es sich auch schon wieder entspannt, nach dem Geridion verstorben war.«
»Wie würdet Ihr die Energie, wie Ihr es bezeichnet, beschreiben? Was hat die Farbe für eine Aussage in Bezug auf die Mächtigkeit oder den Verursacher?« Thealea sah immer noch abwesend aus, die Frage aber klang durchdacht.
»Ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Intensität der Farbe und der Stärke der Energie. Hell leuchtend ist stark, matte Farben bedeuten niedere Energien. Das ist aber etwas, was ich vorhin schon erwähnte. Warum aber etwas in Rot, Blau oder Orange für mich zu sehen ist, verstehe ich bis jetzt noch nicht. Ich würde kein Gut oder Böse in die Farbe hinein interpretieren. Es würde mich nicht wundern, wenn die Präsenz von Anhängern Artemeseas in einem leuchtenden, aber satten Blau zu sehen wären. Je nach Gunst der Mondgöttin heller oder blasser.«
Sie erwähnte nicht, dass sie die Heilerin bereits mit dieser Farbe in Verbindung brachte, ihre Farbintensität kannte.
»So, ich dachte man könnte die Quelle besser eingrenzen, wie hilft uns deine Erkenntnis dann weiter?« Mit einem Schulterzucken wandte sich Nyander an die Magierin.
»Ich habe nicht gesagt, es würde uns weiterhelfen, es ist aber der erste sichere Hinweis, dass es sich um einen Angriff gehandelt hat und nicht eine Verkettung unglücklicher Umstände.« Gwens Stimmung sank.
»Gab es eine richtige Obduktion? Ich habe vorhin keine Schnitte oder Nähte gesehen?«
Jetzt war es die Heilerin, die schlucken musste. Ein böser Blick in Richtung des Halbelfen, der die Frage stellte, war ein sichtbares Zeichen für ihre Verärgerung.
»Wollt ihr mir erklären, wie ich meine Aufgabe zu machen habe, Halbelf?« Das Wort Halbelf kam wie eine Beleidigung über ihre Lippen. Hätte sie Bastard gesagt, wäre es nicht schlimmer gewesen.
»Nun mal ganz ruhig – alle!« Adderlin war von seiner Position am Brunnen in die Mitte der Gruppe getreten, hatte die Arme beruhigend von sich gestreckt. Er schaute wie ein Meister strafend auf seine Schüler. »Niemandem ist geholfen, wenn wir uns jetzt beschimpfen, beleidigen oder hinter jeder Frage eine Anspielung auf des anderen Fähigkeiten vermuten. Wir befinden uns in einer ernsten Situation. Wir können es uns nicht leisten, ohne Vertrauen an eine Lösung dieser schweren Aufgabe zu gehen. Sollten wir kein Vertrauen haben, werden wir scheitern. Der Feind wird gewinnen und viele Freunde werden noch sterben. Ist es dass, was ihr wollt?« Nochmals der strenge Blick in die Runde. Schweigen war die Antwort.
»Wenn wir uns also einig sind, dann sollten wir jetzt noch einmal die Fakten zusammentragen.« Der Elf war niemand, der sich gerne in den Vordergrund spielte, doch er besaß ein sicheres Gespür für Situationen, in denen das Ego des einen nicht mit dem Ego des anderen zurechtkam, und sein Charisma konnte auch dieses Mal zur Entschärfung beizutragen. Nach dieser Ansprache entwickelte sich eine rege Unterhaltung, alle brachten ihr Wissen, aber auch ihre Vermutungen mit ein. Fragen wurden gestellt und diskutiert oder auch verworfen, mehr als eine Stunde verbrachten sie so in dem kleinen Kräutergarten, doch einer Lösung kamen sie nicht wirklich näher. Die Beobachtung der Magierin könnte dazu führen, einen neuen Versuch des Feindes rechtzeitig zu erkennen, aber wie sollte sie jederzeit in der astralen Ebene zugegen sein? Wie konnte man alle Personen in diesem Tempel bewachen?
Uhra erzählte, dass beschlossen worden war, die Tempelwachen zu verstärken. Es würde eine Überprüfung aller Zugänge geben, und niemand sollte nach Einbruch der Dunkelheit alleine im Tempel unterwegs sein. Neue Schutzbanne wurden errichtet. »Wir schützen unsere Leute und unser Heiligtum. Wir werden es nicht …« Weiter kam Uhra nicht. Die Tür wurde aufgerissen und eine Tempelwache erschien.
Thealea erhob sich. »Was fällt Euch ein, bei mir einzudringen?«
Die Wache machte einen schnellen Schritt zur Seite, der Platz in dem kleinen Garten wurde enger. Hinter dem Artemeseatiken erschien der Hohepriester.
»Oh, Ihr seid es.« Thealea ließ sich zurück auf den Boden sinken.
Raschid machte eine finstere Miene. »Ihr könnt gehen«, sagte er in Richtung der Tempelwache. Der junge Mann drehte sich auf der Stelle um, verließ die Räume der Heilerin.
»Hier also habt Ihr Euch versteckt. Ich dachte, Ihr seid noch im Raum der Trauer. Habt Ihr etwas gefunden, was uns hilft?« Er schaute von Thealea zu Gwendolin, dann zu Uhra und zurück. Die anderen wurden ignoriert.
Uhra war der Erste, der auf die drängenden Fragen seines Tempeloberhauptes antworten konnte. »Wir haben soeben unsere Erkenntnisse zusammengetragen, haben versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. Thealea hat ihre Sicht der Geschehnisse mit den neuen Hinweisen der Magierin verglichen. Wir alle haben versucht, schlau aus der Sache zu werden.«
»Welche neuen Hinweise?« Die Augen des Hohepriesters lagen nun ausschließlich auf Gwen, daher musste die Magierin noch einmal ihre Erlebnisse berichten.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Das war der Punkt, an dem wir auch waren, aber nicht wirklich weiter gekommen sind. Sollte es ein Angriff von außen sein, wovon wir ja alle mittlerweile ausgehen, dann stellt sich die Frage, wie ist dieser Zauber, oder was immer es ist, an die Personen gekommen?«
»Gwen, kennst du eine Möglichkeit, einen Zauber auf eine Person zu sprechen, ohne ihn zu sehen? Oder ist es doch eine Krankheit, eine, die noch keiner kennt?«
Die Magierin schüttelte den Kopf. »Ich habe noch von keinem Zauber gehört, der ohne sein Gegenüber zu sehen, zielgerichtet eingesetzt wurde. Natürlich gibt es Zauber, die durch eine Person ausgelöst werden, so wie Fallen durch Personen ausgelöst werden, aber nie so, dass es eine bestimmte Person trifft. Auch haben wir ja noch keine genaue Todesursache, wenn ein Zauber gesprochen worden wäre, so hätte ich eine Wunde, Verletzung oder eine andere Schädigung erwartet. Und eine Krankheit würde ich ausschließen oder wie seht ihr das Heilerin?«
Die Angesprochene nickte, sagte dann: »Auch ich kann mir nicht vorstellen, dass dies eine uns unbekannte Krankheit ist. Ich glaube das Netz, von dem die Magierin spricht, ist etwas Beschworenes.«
Raschid dachte nach, seine Stirn lang in Falten. »Also doch ein Angriff. Ich habe gehofft, ihr würdet etwas anderes finden, etwas was wir übersehen haben, uns eine natürliche Erklärung für den schmerzlichen Verlust gibt. – Artemesea hilf uns, hilf uns zu verstehen.«
»Was werden wir jetzt tun?« Uhra blickte abwechselnd vom Hohepriester zur Heilerin. »Wir können doch nicht einfach so dasitzen und nichts tun.«
»Es ist ja nicht so als hätten wir nicht schon Maßnahmen ergriffen.« Der Hohepriester zeigte erneut eine traurige, fast düstere Miene. »Wir werden den Tempel schließen.«
Entsetzt fuhren Uhra und die Oberpriesterin auf. »Nicht für immer, nur nachts und am Tag, wenn keine Gebetsstunden sind.«
»Aber unser zentraler Gottesdienst ist am Abend, wenn der Mond scheint. Ich muss euch sicher nicht erklären, welche Wirkung dies auf unsere Anhänger haben wird. Es wird Fragen geben, Unruhe entstehen. Beides können wir im Moment nicht gebrauchen.«
»Thealea hat recht, vor allem, wenn wir noch nicht einmal wissen, wie die Angreifer in unseren Tempel gelangen konnten.«
»Was wollen sie überhaupt hier im Tempel. Ist es nur der Tod der Priester?« Nyander hatte gut zugehört und bis jetzt keine Antwort darauf erhalten, warum dies alles geschah, was das Ziel solch eines Angriffs war. Personen konnten ersetzt werden, und wenn es nur um Personen ging, hätte man sie auch durch `Unfälle´ beseitigen können. Der betriebene Aufwand war hier aber höher, subtiler, bedrohlicher.
»Ihr seid ein guter Beobachter, werter Nyander.«
»Was haben wir getan, dass wir uns einen solchen Feind geschaffen haben?«, fragte Uhra. Die Sonne konnte ihre wärmenden Strahlen bis in den Kräutergarten werfen, die Luft war angenehm warm. Trotzdem überlief ihn ein kalter Schauer, eine dunkle Vorahnung bemächtigte sich seiner. Er sah sich an einem anderen Ort, wusste nicht, ob er sterben würde oder irgendwie überlebte, er wusste nur, dass er verändert aus der Sache heraus kommen würde.
Es klopfte an der Tür. Uhra erschrak, hatte er durch die Bilder, die seinen Kopf durchfluteten, seine Umgebung nicht wahrgenommen. Es klopfte erneut. Hagen ging zur Tür, öffnete sie vorsichtig. Die Tempelwache stand ihm gegenüber, sagte etwas zum Nordländer. Hagen trat zur Seite und die Wache begab sich zu Raschid. In der Hand hielt der junge Mann ein kleines Röhrchen, silbern mit einem Tuchstreifen umwickelt.
Raschid öffnete den kleinen Behälter, zog eine Rolle aus Pergament heraus, ein sehr kleines Siegel prangte darauf. Mit einer sanften Handbewegung strich das Tempeloberhaupt über die Nachricht. Unter seinen betagten Fingern konnte man ein schwaches blaues Leuchten erahnen. Man konnte den Eindruck erhalten, er würde das Licht von der Pergamentrolle schieben.
Die Freunde schauten diskret zur Seite. Hagen und Gwen tauschten einige aufmunternde Blicke aus, Gwen berührte Hagen an der Hand, streichelte sie. Uhra stand seiner jungen Glaubensschwester zugewandt, fragte nach den Pflichten eines Oberpriesters. Aufgaben, von denen er im Detail noch keine Vorstellung besaß. Er machte sich einige Sorgen. Ob er wirklich diese neue Herausforderung erfüllen konnte, ja wollte? Wer konnte ahnen, dass er schon heute zum Oberpriester ernannt werden würde. Welches Schicksal würde seine Göttin sich für ihn überlegen. Oh Artemesea hilf!
Es verging einige Zeit, der alte Mann schien die Nachricht mehr als einmal lesen zu müssen, um zu glauben, was dort geschrieben stand. Ein Seufzen verließ seine Lippen. Es war wie ein Zeichen, denn alle verstummten in ihren Gesprächen. »Artemesea prüft uns hart! Ich erhalte gerade die Nachricht, dass auch im Tempel in Thyasis ungewöhnliche Todesfälle zu beklagen sind.«
»Oh nein, nicht auch noch ein weiterer Tempel.« Empörung und Zorn klangen in der Stimme Thealeas mit.
»Damit ist endgültig klar, dass wir uns nichts eingebildet haben. Es ist tatsächlich ein Angriff. Wir müssen die anderen warnen. Sofort wenn es möglich ist!«
»Ja, wir sollten die anderen Hohepriester informieren. Ich werde in meine Gemächer gehen und die Nachricht verfassen.«
Raschid steuerte bereits auf die Tür zu. »Kein Wort zu irgendjemanden! Wir dürfen keine Panik verursachen, ist dies jedem klar?« Alle nickten, und der Hohepriester entschwand in Richtung seiner Räume. Die Tempelwache folgte ihm.
»Was machen wir jetzt?«
»Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber ich habe Hunger!« »Ja, ist schon klar, dass du ans Essen denkst!« Uhra lächelte Hagen freundlich an.
»Na, wenn wir doch im Moment nicht so richtig wissen, wie unser nächster Schritt aussieht, dann können wir uns auch beim Essen besprechen, oder nicht?«
»Stimmt. Ich werde euch führen. Thealea, hast du eine Idee, wo wir ungestört, besonders ungehört sind?«
»Ich glaube schon, es ist nur ein kleiner Raum für Gäste, da können wir uns hinbegeben.«
Sie folgten der jungen Frau, die zurück in der Öffentlichkeit des Tempelalltags wieder ihre starre Maske aufgesetzte. Kein Zeichen der Unsicherheit, zu oft wurde ihre Hilfsbereitschaft als Schwäche ausgelegt. Sie mussten durch einen langen Gang laufen, stiegen anschließend zwei Treppen nach oben, gingen durch einen Torbogen, einem weiteren Gang folgend, links durch eine helle Eichentür in einen Raum, der mit einem schlichten, aber soliden Tisch und acht Stühlen möbliert war. Eine Anrichte war die einzige Ergänzung zum Mobiliar. Was den Raum aber besonders machte, war die halb offene Decke. Die Decke hörte einfach in der Mitte des Raumes auf, und bei Sonne wurde ein Sonnensegel gespannt, Licht und Schatten standen so in einem angenehmen Verhältnis. Der leichte Wind machte den Aufenthalt erträglich. In der Ferne konnte man den Lärm der Stadt hören.
»Nehmt Platz, ich werde in die Küche gehen und Essen ordern – irgendetwas Besonderes?«
»Nein, wir vertrauen eurem Geschmack und der guten Küche.« Adderlin deutete ein anerkennendes Nicken an.
Die Heilerin verschwand aus dem Raum.
»Woher kennst du unsere Küche?«
»Oder den Geschmack der Heilerin?« Hagen und Uhra hatten fast gleichzeitig gesprochen.
»Ich wollte ihr nur ein wenig Selbstbewusstsein zurückgeben, sie hat es dringend nötig!«
»Adderlin hat recht, wir brauchen sie als Verbündete, nicht als jemanden, der uns als lästig empfindet.« Gwens Stimme bekam einen ernsten Tonfall, Besorgnis war ihr anzumerken. Keiner widersprach und so machten sie es sich auf den Stühlen bequem.
Es vergingen weniger als fünf Minuten bis Thealea mit drei Novizen im Schlepptau zurückkam. Das Mädchen und die Jungen trugen je ein Tablett auf dem Arm. Beladen mit allerlei Köstlichkeiten, hatten die Novizen mit dem Gewicht zu kämpfen. Hagen und Adderlin kamen ihnen zur Hilfe. Die Speisen wurden auf dem Tisch verteilt, Teller machten die Runde.
Die Oberpriesterin trug zwei Flaschen unter dem Arm, eine zusätzlich in der linken Hand und in der rechten einen Stapel Becher aus Ton. Ohne weitere Anweisungen verließen die drei jungen Novizen den Raum.
»So, ich hoffe das reicht! Ich wünsche allen einen guten Appetit, möge Artemesea über uns wachen!« Uhra hatte den letzten Teil des Satzes automatisch mitgesprochen, machte das Zeichen des Mondes. Thealea reichte eine Flasche dem Halbelf, eine weitere Hagen.
»Könnt Ihr die bitte öffnen?« Es handelte sich um Wein, welcher auf den Weingütern außerhalb der Stadt von den Priestern gekeltert wurde, leicht zu genießen, passend zu einem Mittagsmal. Adderlin reichte einen Krug mit frischem Wasser herum, den ihm Uhra von der Anrichte brachte.
Schweigsam aßen sie, genossen den Moment der Ruhe, das gereichte Essen war wirklich ausgezeichnet.
Offensichtlich war Uhra nicht mit viel Appetit gesegnet, etwas Obst und frisches Brot waren alles, was er aß. Ähnlich ging es der Heilerin, auch sie nahm nur ein paar Trauben und etwas Käse zu sich. Wein tranken sie alle. Verdünnt mit Wasser oder pur war er köstlich.
Irgendwann war es Uhra, der die Ruhe unterbrach: »Haben wir die Fakten anders zu bewerten, nachdem wir wissen, dass offensichtlich noch ein Tempel, vielleicht alle, angegriffen werden?«
Noch ehe einer der anderen Anwesenden antworten konnte, klopfte es leise an der Tür.
»Oh nein, nicht schon wieder!«, sagte die Heilerin eher gedämpft, dann lauter: »Herein.«
Vorsichtig wurde die Tür geöffnet. Ein Mann mittleren Alters stand im Türrahmen, auf seiner Robe war in Höhe des linken Oberarms ein Symbol aus Blatt und Hand zu erkennen, es war grün im Gegensatz zu dem üblichen Blau des Gewandes und zeichnete ihn als Mitglied der Heilerfraktion innerhalb des Tempels aus. Er war einer von Thealeas Kollegen.
Für die Bevölkerung gab es öffentliche Bereiche, dort wurde jedem eine medizinische Versorgung zuteil, auch wenn er oder sie kein Geld geben konnten.
Hygada war verantwortlich für den Einsatz der Medikamente, Kräuter und Salben, die aus der hauseigenen Apotheke stammten, er war einer der wenigen Vertrauten der Oberpriesterin, ihre Verbindung aber war rein spiritueller Natur.
»Hygada, was machst du hier?« Thealea hatte sich erhoben und war bis zur Tür gegangen. Dort gab es eine leise Unterhaltung, in deren Verlauf die junge Frau erbleichte. Ein Nicken war alles, was sie als Bestätigung für ihren Kollegen übrig hatte.
Immer noch ein wenig blass im Gesicht drehte die junge Frau sich um, ging zurück zum Stuhl, ließ sich schwer darauf nieder. Ihre Hände verbargen das Gesicht. »Es ist wieder jemand krank«, kam es gedämpft durch ihre Hände.
»Wer ist es?«
»Es ist einer der Ehrenwachen, die, die vor dem Heiligtum stehen, er ist zusammengebrochen. Ich muss zu ihm, sehen, wie es ihm geht.«
»Können wir helfen?« Nyanders frage klang ehrlich besorgt. »Nein, ich denke nicht. Ich muss erst einmal sehen, was ihm fehlt, ich…. Aber vielleicht sollte Gwendolin mich begleiten, wenn sie etwas auf der astralen Ebene sehen kann, wissen wir vielleicht mehr, können ihm besser helfen.«
»Gute Idee, nehmen wir Uhra noch mit, dann haben wir jemanden, der sich hier auskennt und die anderen informieren kann.«
»Gut, ist in Ordnung. Dann schnell, wir sollten keine weitere Zeit verschwenden.«
Die Drei verließen den Raum. Hagen, Nyander und Adderlin waren alleine.
»Ich hätte gerne eure ehrliche Meinung, jetzt wo wir unter uns sind!« Nyander schaute seine beiden Freunde eindringlich an. »Ich denke wir sind hier in etwas hineingeraten, das schnell eine Nummer zu groß für uns werden kann.«
»Ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll. Gwen wird da ganz schön reingezogen. Wenn der Hohepriester meint, er will diese Fähigkeit für sich nutzen, dann stecken wir tiefer drin, als uns lieb sein kann.« Hagen hieb mit seiner flachen Hand auf den Tisch. »Sie hätte nie von ihrer Fähigkeit erzählen dürfen. Es bringt sie und uns in unnötige Gefahr!«
»Du solltest nicht so einseitig denken. Hagen, was würde passieren, wenn Gwen krank oder verzaubert wäre? Was wenn die Familie bedroht, sogar getötet wird?« Adderlin lehnte sich etwas nach vorne, schaute dem Nordländer direkt in die Augen. »Wir kennen uns jetzt schon eine Weile, wir achten und vertrauen einander. Jetzt wo Uhra, und der Tempel ist seine Heimat, irgendwie auch Familie, vor allem aber die Wurzel seines Glaubens, in Gefahr ist, denke ich, auch er wird bedroht sein. Jetzt, wo er uns braucht, einer Gefahr zu trotzen, welche wir noch nicht kennen, da willst du aussteigen, einfach gehen und dem hier…« Adderlin beschrieb einen flachen Kreis mit der rechten Hand. »…den Rücken zuwenden? Was ist, wenn die Bedrohung nicht an den Toren des Tempels halt macht? Willst du das wirklich?«
Sie diskutierten noch eine Weile, kamen aber nicht wirklich weiter. Es fehlten so viele Informationen, Fakten, viele Teile des Puzzles, am Ende der größere Überblick.
Eine halbe Stunde später war es Uhra, der die Drei unterbrach. »Wir wissen noch nicht genau was es ist, aber es scheint so, als ob es sich um eine Krankheit handelt, selten aber nicht magisch.«
»Hat Gwen ihn sich angeschaut?«
»Sie hat etwas gefunden, aber diesmal ist das Bild anders, nicht so, wie sie es erwartet oder vermutet hat. Sie wird gleich zurückkommen, dann wird sie uns selber berichten.«
Uhra wirkte niedergeschlagen. Er stand wieder auf, lief unruhig auf und ab, aber es dauerte noch einige Minuten, bis die Frauen zurückkamen, nicht besonders glücklich dreinschauend. Nach einem größeren Schluck Wein und ein paar Weintrauben, berichtete Thealea von ihren Beobachtungen und Vermutungen. »Es ist keine Krankheit, die ich kenne. Sieht eher aus wie eine Art von allgemeiner Erschöpfung.«
Schulterzuckend schaute die junge Frau in die Runde. »Also bringt uns das auch nicht weiter. Keine offensichtliche Spur. Zu Schade.«
Hagen schaute Gwen an, sagte weiter: »Und was hast du gefunden? Irgendetwas, was uns eine bessere Erklärung erlaubt, für das, was hier passiert?«
»Ich kenne mich mit Krankheiten bestimmt nicht so gut aus wie Thealea, aber es gibt keine Pusteln, keine Rötungen, keine Einstiche, keine Eiterpickel oder ähnliches. Schwerer Atem, ja, Schweiß auf der Haut, etwas erhöhte Temperatur, sonst nichts. So, und auf der astralen Ebene habe ich auch keine große Erfahrung mit Krankheiten. Ich weiß nicht ob Fieber mehr oder weniger Farbe bedeutet, heller oder dunkler, rot oder grün aussieht, ich weiß es nicht! Wenn ich Zeit hätte, wenn wir Zeit hätten….«, sie deutete auf die Heilerin. »Dann könnte ich bei ihr lernen, mir die Kranken und Verletzten anschauen, real und astral. Dann könnte ich Unterschiede sehen, könnte dir genau sagen, ob dies eine verdammte Krankheit ist oder der Angriff eines Magiers oder einer anderen Kreatur!«
Gwen hatte sich in Rage geredet. Hagen legte den Arm um ihre Taille, um sie zu beruhigen. Mit ihrer eigenen Wut unzufrieden, lehnte sie sich an den Nordländer und versuchte, mit tiefen Atemzügen wieder zur Ruhe zu kommen. »Entschuldigung, aber es ist nicht einfach, sich so ohnmächtig zu fühlen.«
„Ich werde mit Raschid sprechen. Jetzt sofort.“ Uhra wirkte entschlossen. Er wies seine Freunde an, sich in die Gemächer führen zu lassen, in denen Gäste nächtigen konnten. Niemand widersprach, und Uhra machte sich auf den Weg zu seinem Hohepriester, während die anderen sich von einer Novizin durch den Tempel führen ließen.
Der Bereich, der für Gäste vorgesehen war, lag in entgegengesetzter Richtung zum Bereich der Heiler. Ihre Führerin war nun schweigsam, grüßte nur die Priester, denen sie begegnete. Offensichtlich war der Spott des Halbelfen nicht an ihr abgeperlt.
Die Novizin klopfte an die silberne Doppeltür. Diese war keine massive Tür, sondern aus durchbrochenem Holz. Die fehlenden Teile bildeten Blüten und Ranken, ein wahrer Meister musste dieses Kunstwerk geschaffen haben. Bronzene Scharniere und Riegel hielten die Tür an Ort und Stelle.
Das Klopfen beförderte eine Priesterin zutage. Sie war etwa fünfzig Jahre alt, besaß ein eher rundes Gesicht, mittelblondes schulterlanges Haar, helle Haut. Sie stammte bestimmt nicht hier aus der Gegend, eher aus dem Norden, so wie Hagen. Unter ihrer Robe zeigte sich eine schlanke Figur, ihre Bewegungen waren kraftvoll und selbstsicher.
»Auch von mir ein herzliches Willkommen in unserem Tempel. Möge Artemesea ihr Licht über euch leuchten lassen.«
»Wir danken Euch für Eure Freundlichkeit« Adderlin hatte sich ebenfalls verneigt.
»Mein Name ist Realonin. Der Gästebereich unterliegt meiner Verantwortung. Ich werde Euch für Eure Zeit hier im Tempel zur Verfügung stehen. Bitte tretet ein.«
Sie begaben sich in den Bereich hinter der Tür, die Novizin verschwand.
»Darf ich fragen, wo euer Gepäck ist? Steht es noch im Eingangsbereich unseres Tempels?« Ihr Blick machte fragend die Runde.
»Wir sind ein wenig überraschend zu der Einladung gekommen. Unser Gepäck ist noch in dem Gasthof in dem wir übernachtet haben.« Hagen fand auf die Schnelle keine bessere Antwort, so sagte er die schlichte Wahrheit.
»Oh, ich verstehe. Dann werde ich nachher einen Wagen zu dem Gasthof schicken und Eure Sachen holen lassen. Wenn Ihr mir jetzt folgen wollt, Eure Zimmer sind bereit und ich möchte sie Euch zeigen.«
Realonin ging den Flur hinunter. Auf der rechten Seite gab es einen offenen Bereich, der in einen kleinen Garten mündete. Ein Art Wandelgang umschloss den Garten. Zentral war eine Fläche mit Rasen und ein paar Bänken angelegt, es gab ein kleines Bassin aus Alabaster, Wasser plätscherte beruhigend aus einem Hahn an der Wand in das Becken. Der Flur machte am Ende einen Knick nach rechts, auf der Seite, auf der sie gerade standen, lagen zwei Türen. Schlichtes Holz, kein Silber oder Gold, nur einige blaue Ranken als Zierde. Auf halbem Weg den Flur entlang blieb die Quartiermeisterin stehen, schaute auf Nyander.
»Hier ist Euer Zimmer.« Sie deutete auf die linke Tür. »Und dies ist Eures.« Die rechte Hand zeigte auf die rechte Tür. Adderlin, der angesprochen war, nickte kurz.
»Es gibt eine Kordel in jedem Zimmer, wenn Ihr daran zieht, wird jemand zu Euch kommen, nach Euren Wünschen fragen. Auf der gegenüberliegenden Seite sind Räume, in denen Ihr ein warmes Bad nehmen könnt. Bitte gebt uns Bescheid, wenn Euer Verlangen danach ist, es wird nur ein wenig Zeit in Anspruch nehmen, alles vorzubereiten. Ich wünsche den Herren einen angenehmen Aufenthalt.« Sie drehte sich zu Hagen und Gwendolin um und sagte: »Bitte folgt mir, Euer Zimmer ist um die Ecke.«
Rechts um die Ecke gab es nur eine Tür. Außerdem war ein Durchgang zu sehen. Realonin öffnete die Tür für die beiden und verabschiedete sich.