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Gemischter Geruch

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Paulus gebraucht eine kluge Metapher, als er vom „Geruch Christi“ schreibt, der auf die Menschen je nach Nase ganz unterschiedlich wirkt: „Für die Menschen, die verloren gehen, sind wir der schreckliche Gestank von Tod und Verdammnis. Doch für die Menschen, die gerettet werden, sind wir ein Leben spendender Duft“ (2. Korinther 2,16). Meine Aufgaben als Journalist führen mich an Orte, wo Christen als Wohlgeruch wahrgenommen werden, aber auch dorthin, wo man über Christen die Nase rümpft.

In den Vereinigten Staaten ändert sich das Meinungsklima im Hinblick auf Religion gerade merklich, und Christen müssen sich auf neue Herausforderungen gefasst machen. Als der Blogger Mark Yoder über „10 überraschende Gründe, warum unsere Kinder der Gemeinde den Rücken kehren“ schrieb, entwickelte sich das zu einem viralen Beitrag. Seine Website wurde nicht nur hundert, sondern eine halbe Million Mal angeklickt. „Ich kann es niemandem schonend beibringen“,4 schrieb Yoder und traf mit seinen Worten einen Nerv: „Die amerikanischen Evangelikalen haben die Jugend verloren, verlieren sie und werden sie vermutlich auch in Zukunft verlieren.“5 Wenn wir darauf nicht reagieren, werden wir immer mehr Mitglieder verlieren und uns schließlich nur noch mit uns selbst unterhalten.

Was steht hinter diesem Abwärtstrend? Ein Freund von mir aus Chicago, der früher einmal in der Willow Creek Community Church, einer der größten Gemeinden des Landes, gearbeitet hat, brachte mich auf eine wichtige Spur. Daniel Hill nahm eine Stelle als Barista im örtlichen Starbucks an, und hier begann, wie er heute begreift, seine eigentliche Ausbildung zum Pastor.

„Wenn Christen mit dir reden, tun sie so, als seist du ein Roboter“, meinte ein Kunde einmal, als das Gespräch auf Religion kam.6 „Sie stehen für ihr Programm ein, und wenn du nicht ihrer Meinung bist, sind sie mit dir fertig.“ Häufig hörte Hill auch die Auffassung, dass irgendwie alles geht: „Ich persönlich bin kein Christ, aber wenn das jemanden glücklich macht, soll er ruhig religiös sein, finde ich.“ Ein Kunde erklärte ihm: „Sehen Sie, wir wissen doch alle, dass ‚Gott‘ irgendwo da draußen ist, doch niemand hat das Recht, einem anderen zu erzählen, wie ‚Gott‘ für ihn persönlich aussieht. Jeder Mensch hat die Freiheit, seinen Glauben so zu leben, wie er es will, aber er sollte seine Meinung dazu für sich behalten.“

Während seiner Zeit bei Starbucks begriff Hill, dass es im Wesentlichen zwei Zugänge zum Glauben gab. Menschen, die vorher kaum in Berührung mit Christen gekommen waren, wirkten offen und empfänglich, wenn das Gespräch auf Religion kam. Sie waren dem Christentum gegenüber nicht feindselig eingestellt und konnten sich vorstellen, eines Tages mit einer Gemeinde Kontakt aufzunehmen. Dann gab es auch Menschen, die ihre „christliche Phase“ schon hinter sich hatten. Manche hatten Wunden davongetragen: Gemeindespaltungen, dominante Eltern, Jugendleiter oder Priester, die sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht hatten, eine schmutzige Scheidung, mit der die Gemeinde ungeschickt umgegangen war. Andere hatten sich einfach die negativen Klischees zu eigen gemacht, die sich um wildgewordene Fundamentalisten und skandalträchtige Fernsehevangelisten drehen.

Als ich mir Hills Geschichten anhörte, fiel mir C. S. Lewis ein, der sich dazu geäußert hatte, wie man im säkularisierten Großbritannien über den Glauben reden solle.7 Er zog eine Analogie heran: Der Unterschied liegt darin, ob ein Mann um eine geschiedene Frau oder eine Jungfrau wirbt. Eine Geschiedene lässt sich vom Süßholzgeraspel eines Heiratswilligen kaum beeindrucken – das hat sie alles schon einmal gehört –, und Romantik misstraut sie grundsätzlich. Im Amerika von heute, so schätzt Hill, gehören etwa Dreiviertel der jungen „Außenstehenden“ zu den „Geschiedenen“ des Glaubens, gehörten also einmal zu einer christlichen Gemeinschaft.

Natürlich lässt sich nicht jeder Mensch so sauber in eine Schublade einordnen, doch ich finde Daniel Hills Blickwinkel hilfreich. Ich dachte an Menschen, denen ich begegnet war und die sich religiös nirgendwo zugehörig fühlen. Ich selbst habe auch in Hills Heimatstadt Chicago gelebt, und seine Einschätzung der jungen städtischen Bevölkerung dort deckt sich mit meiner. In unserem Haus mit sechs Wohnungen ging außer uns keiner zur Kirche, und die meisten der Mitbewohner begegneten Christen mit Misstrauen. Einige meiner Freunde aus dem Lesekreis in Colorado lassen sich ebenfalls in die „postchristliche“ Kategorie einordnen.

Auf der anderen Seite sind große Teile der Bevölkerung im Süden und Mittleren Westen der USA als „prächristlich“ einzustufen und stehen dem Glauben offen gegenüber. Ich wuchs im tiefreligiösen Süden auf, und wenn ich heute dort zu Besuch bin, fällt mir immer wieder auf, dass man dort eine völlig andere Haltung im Hinblick auf Religion hat. Im sogenannten Bible Belt akzeptiert man das Evangelium im Großen und Ganzen. Es gibt einen Gott – sogar auf unseren Münzen sind die Worte In God We Trust („Wir vertrauen auf Gott“, Anm. d. Übers.) eingeprägt. Wir haben alle gesündigt – Countrysongs erzählen die pikanten Details. Jesus zeigt uns einen Weg, wie unsere Sünden vergeben werden können – auf manchen Scheunen und Plakatwänden in den Südstaaten sieht man manchmal noch die Aufforderung „Bereue!“ oder den Slogan „Jesus rettet“. Wer in den Südstaaten beim Autofahren durch die Sender zappt, hat gute Chancen, ein Zeugnis von jemandem zu hören, der einst ein sündhaftes Leben führte, sich nun aber bekehrt hat und wiedergeboren ist.

Auch bei meinen Reisen in andere Teile der Welt – Afrika, Lateinamerika und einige Gegenden in Asien – sehe ich, dass die christliche Botschaft Menschen anspricht. Sie bringen das Christentum mit Missionaren in Verbindung, die als Pastoren, Lehrer, Ärzte, Pfleger, Landwirtschaftsexperten und Katastrophenhelfer zu ihnen kamen. Das Evangelium beantwortet für sie die Frage nach dem Sinn des Lebens, verspricht ihnen ein Leben nach dem Tod und schenkt ihnen eine Gemeinschaft, die Menschen in Not unterstützt. Für viele Menschen auf der Welt ist es wirklich noch die gute Nachricht, die den Bann, der seinen dunklen Schatten auf ihr Leben wirft, bricht.

Wenn ich von solchen Reisen wieder nach Hause komme, trifft es mich wie ein Schock, wenn die Menschen hier von den Christen in düsterem Ton reden. Wer sich im „postchristlichen Stadium“ befindet, hört dieselbe Musik, doch wie durch einen kaputten Lautsprecher verzerrt. Evangelisten, die von Sünde sprechen, gelten als aggressive Miesmacher: Was gibt ihnen das Recht, mein Verhalten zu verurteilen, vor allen Dingen, wenn so viele von ihnen ihr eigenes Leben vor die Wand fahren? Lehren wie Dreieinigkeit, der Versöhnungstod Christi, Erbsünde und Hölle klingen rätselhaft, ja sogar unverständlich, und wer kann denn allen Ernstes behaupten, im Besitz der Wahrheit zu sein? Wer in einem reichen Land wohnt und dieses Leben genießen will, schert sich oft nicht um die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod. Und manche der sogenannten „Neuen Atheisten“ betrachten jede Form von Religion als schlechte Nachricht, die Kriege schürt und für Fanatismus verantwortlich ist – einer nannte die Anschläge vom 11. September eine „Glaubensinitiative“. Sie sehnen den Tag herbei, an dem die menschliche Rasse das Bedürfnis nach Religion endlich überwindet.

In Europa, dessen Geschichte jahrhundertelang vom christlichen Glauben geprägt war, verschwenden viele Menschen keinen Gedanken mehr an Religion. In Frankreich und Großbritannien glaubt Umfragen zufolge kaum noch ein Drittel an die Existenz Gottes. Während eines Frankreichbesuchs unterhielt ich mich mit einem Mitarbeiter von Campus für Christus, der auch schon in Florida evangelisiert hatte, bevor er nach Europa ging. Normalerweise ging er mit einem Klemmbrett auf Fremde zu und stellte ihnen dann die Frage: „Wenn Sie heute sterben und Gott würde Sie fragen, warum er Sie in den Himmel lassen soll, was würden Sie dann antworten?“ In Florida fielen die Reaktionen darauf sehr durchwachsen aus. In Frankreich aber starrten ihn die Leute verständnislos an. Er hätte auch Urdu sprechen können. Heute beginnt er das Gespräch mit der Frage: „Glauben Sie an Gott?“, und die typische Antwort in Frankreich lautet in etwa so: „Was für eine faszinierende Frage! Lassen Sie mich überlegen. Ich habe noch nie so richtig darüber nachgedacht.“

Auf meinen internationalen Reisen fühle ich mich wie ein Pendler zwischen prächristlichen und postchristlichen Gesellschaften. Diesen kulturellen Graben kann man in den USA kaum übersehen. Hier sind die Christen eine gesellschaftliche Kraft, mit der man rechnen muss. Manche Christen reagieren auf diese gesellschaftliche Kluft, indem sie Menschen, mit denen sie nicht einer Meinung sind, mit harschen Worten kritisieren – einer der Hauptgründe, weshalb Evangelikale keinen guten Ruf genießen. Ich zucke innerlich zusammen, wenn ich so etwas höre, und halte dann lieber selbst meinen Mund. Beide Ansätze sind nicht gesund.

Jesus gab seinen Nachfolgern das ungeheure Vorrecht, Gottes Gnade einer Welt weiterzugeben, die danach dürstet. Ich bin jemand, der einen tiefen Schluck dieser Gnade getrunken hat und sie einer Welt, die ins Trudeln geraten ist, anbieten möchte. Wie können wir diese wahrhaft gute Nachricht einer Kultur vermitteln, die davor wegrennt?

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