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Zeichen des Durstes

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Manche Menschen, die den Glauben ablehnen, tragen ihren Atheismus stolz und demonstrativ zur Schau. („Was mir an den Atheisten nicht gefällt“, merkte Heinrich Böll dazu an, „sie reden ständig von Gott.“)17 Andere legen ihren Glauben zögerlicher ab oder suchen Alternativen im New Age oder anderen Religionen. Wieder andere lehnen die Kirche ab, aber nicht Jesus. Sie alle reagieren auf einen Glauben, der für sie nicht mehr nach einer guten Nachricht klingt.

Dieselben Umfragen, die eine immer größere Anzahl von Menschen belegen, die keine religiöse Bindung mehr aufweisen, zeigen auch, dass sich nur eine kleine Minderheit von ihnen als Atheisten bezeichnet. Viele bezeichnen sich noch als religiös, obwohl sie keine geistliche Heimat mehr haben. Ich habe versucht, diesen Menschen zuzuhören und sie dabei nicht als Gegner zu betrachten, sondern als Suchende. Warum haben sie die Kirche verlassen und vielleicht auch dem Glauben den Rücken gekehrt? Was können wir von ihnen lernen und wie können wir sie wieder einladen? Kann die gute Nachricht für sie wieder gut klingen, nachdem sie diese Eigenschaft für sie erst einmal verloren hat?

Jesus wurde Mensch und lebte unter uns. Er war voll Gnade und Wahrheit, schreibt Johannes im Prolog seines Evangeliums (Johannes 1,14). An dem Begriff „Wahrheit“ arbeitete sich die Kirche unermüdlich ab: Man denke nur an die Konzile, Glaubensbekenntnisse, theologischen Wälzer und Spaltungen aufgrund von unbedeutenden Unterschieden in der Lehre. Ich wünsche mir, dass die Kirche sich auch in demselben Maß bemüht, den Menschen den „Reichtum seiner Gnade“, wie Paulus es in Epheser 2,7 nennt, zu vermitteln. Häufig werden wir so wahrgenommen, dass wir Schuldgefühle austeilen, keine Gnade.

Johannes erzählt von einer Begegnung zwischen Jesus und einer Samaritanerin (Johannes 4,1-42). Sie kannte die gegenseitige Abneigung zwischen diesen beiden Gruppen genau und wunderte sich, dass ein jüdischer Rabbi überhaupt mit ihr sprach. Irgendwann brachte sie das Gespräch auf eine strittige dogmatische Frage: Wer betete Gott am richtigen Ort an, die Juden oder die Samaritaner? Jesus ließ sich nicht auf ein Streitgespräch ein, sondern schnitt ein viel wichtigeres Thema an: ihren ungestillten Durst. Er verurteilte sie nicht, sondern bot ihr eine Lösung für die Schuld an, die sie mit ihrem ruhelosen Leben auf sich geladen hatte. Ihr allein zeigt er sich offen als der Messias, sie wählte er aus, um seine Gnade weiterzugeben. Dass sie sich verändert hatte, fiel der ganzen Stadt auf. Zwei Tage blieb Jesus bei den „Irrlehrern“, und viele Menschen bekehrten sich.

Als ich Henri Nouwen einmal einen Tag in Toronto besuchte, kamen wir auf diese Szene mit Jesus und der samaritanischen Frau zu sprechen.18 Er war gerade aus San Francisco zurückgekehrt, wo er eine Woche in einer AIDS-Klinik verbracht hatte. Zu der Zeit gab es noch keine antiretroviralen Medikamente, und die Patienten hatten einen langsamen und sicheren Tod vor Augen. „Ich bin Priester, und es gehört zu meinem Beruf, mir die Geschichten dieser Menschen anzuhören“, erklärte er mir. „Also ging ich die Station auf und ab und fragte die Patienten, die meisten von ihnen junge Männer, ob sie reden wollten.“

Nouwen erzählte mir, dass sich seine Gebete nach dieser Woche verändert hatten. Als er sich Geschichten von häufigem Partnerwechsel, von Drogenabhängigkeit und selbstzerstörerischem Verhalten anhörte, merkte er, dass diese Menschen nach Liebe dürsteten, und dieser Durst war nie gelöscht worden. Seit dieser Zeit betete er: „Gott, hilf mir, andere nicht als meine Feinde oder Gottlose zu sehen, sondern als dürstende Menschen. Und gib mir den Mut und das Mitleid, ihnen das lebendige Wasser anzubieten, das allein diesen Durst löschen kann.“

Diesen Tag mit dem sanften Priester habe ich niemals vergessen. Wenn ich heute auf bissige Skeptiker stoße, die meinen Glauben verspotten, oder auf Menschen, die mir zuwider sind, erinnere ich mich an Henri Nouwens Gebet. Ich bitte Gott, mich davor zu bewahren, vorschnell zu urteilen oder um mich zu schlagen, weil ich mich verteidigen will. Lass sie mich als dürstende Menschen sehen, bete ich, und lehre mich, wie ich ihnen am besten das lebendige Wasser zeigen kann.

Ein ausgebrannter Fall, ein Roman von Graham Greene mit autobiografischen Anklängen, handelt von einem bekannten Kirchenarchitekten, der zu dem Schluss kommt, dass seine Gebäude von den Gottesdienstbesuchern geschändet würden. Er findet keinen Lebenssinn mehr in der Kunst, keinen Gefallen mehr am Leben, und der Selbstmord seiner Geliebten stürzt ihn in die Verzweiflung. Er reist in den Kongo, um eine Lepraklinik zu besuchen, die von katholischen Missionaren betrieben wird, und beaufsichtigt dort den Bau einer neuen Klinik für Leprapatienten. Daraus schöpft er neue Kraft.

Mittlerweile ist Deo Gratias, der Diener des Architekten, im Dschungel verschwunden. Eine ergreifende Szene zeigt den Architekten, wie er sich durch das Dickicht kämpft und nach seinem leprakranken und verstümmelten Diener ruft: „Deo Gratias, Deo Gratias …“19.

Er rief ganz buchstäblich nach Gottes Gnade. Auf unterschiedliche Weise tun wir das alle in irgendeiner Form – wir Christen genauso wie Menschen in der prächristlichen und in der postchristlichen Phase. Uns dürstet.

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