Читать книгу Zurück zur Gnade - Philip Yancey - Страница 25

Tod

Оглавление

Die Soldaten, die Dachau befreiten, reagierten schockiert und angewidert. Das ist die normale Reaktion eines Menschen, der mit einem Leichnam konfrontiert wird. Menschen tun alles, um einen Toten zu identifizieren und ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Warum? Ich sehe häufig tote Füchse am Straßenrand oder tote Rehe und Elche im Wald hinter unserem Haus. Einen Augenblick lang bin ich traurig, doch das ist nichts im Vergleich mit der Reaktion, wenn ich auf einen menschlichen Leichnam stoße. Christen glauben, dass wir nicht nur darum so reagieren, weil jemand aus unserer eigenen Spezies gestorben ist, sondern weil uns irgendetwas von anderen Spezies unterscheidet. Unsere instinktive Reaktion weist darauf hin, dass das menschliche Leben heilig ist. „Es gibt keinen Niemand“, wie der Pastor es formulierte.

Unsere Vorfahren fürchteten Gott, wir Heutigen fürchten den Tod. Als meine Frau als Seelsorgerin im Hospiz arbeitete, besuchte sie jeden Patienten, der das wünschte, egal welchen religiösen Hintergrund er hatte. Sie alle lagen im Sterben, und nur wenige in diesem Hospiz verbrachten dort mehr als ein paar Wochen. Manche wollten nichts mit einer Seelsorgerin zu tun haben, doch sie waren in der Minderheit. Fragen, die wir im Alltag ignorieren, drängen an die Oberfläche, wenn der Tod uns ins Gesicht schaut.

Auch Janets Einfluss hatte Anteil daran, dass Susan, eine ihrer Bekannten, einen Kurs in Krankenhausseelsorge belegte. Sie schrieb ihre Gedanken in einem Tagebuch auf und entdeckte dabei, dass ihre eigene Theologie im Umgang mit Menschen, die eine andere oder gar keine Religion hatten, auf die Probe gestellt und geprägt wurde. Sie glaubte, dass Gott der Gott allen Trostes ist (1. Korinther 1,3), und darum konnte sie ein Krankenzimmer betreten und auch Patienten, die nicht dasselbe glaubten, echtes Mitgefühl und Trost bieten. „Gott lehrt mich offenbar, ein weites Herz zu haben, während ich meine Augen auf ihn gerichtet halte“, sagt sie. Ihre Gedanken könnten Modellcharakter dafür haben, wie man Menschen in ihrer postchristlichen Phase Glauben vermittelt, gerade in Lebenskrisen.

Wenn Susan ein Zimmer betritt, geht sie davon aus, dass Gott schon da ist, ob man ihn nun eingeladen hat oder nicht. „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“, zitiert sie Johannes (1. Johannes 4,19; ELB), „und ich stelle mir vor, wie Gott aus einem Krug Liebe in mich hineingießt, damit ich sie anderen weitergeben kann. Und dann lasse ich mich von Gottes Liebe neu erfüllen. Ich betrete den Raum mit einem Lächeln. Es ist ein Vorrecht, den heiligen Boden mit jemandem zu teilen, auf dem sich jemand ans Leben klammert. Wenn ich vergesse, dass Gott mir vorausgeht, und stattdessen denke, dass ich Gott in den Raum mit hineinbringe, kann das selbstgefällig wirken. Dann stehe ich unter dem Druck, die richtigen Worte zu sagen, ich versuche Patient und Mitarbeiter zu beeindrucken, kurz, ich nehme mich selbst zu ernst. Ich muss andauernd daran erinnert werden, dass Gott mir in dieses Zimmer vorausgeht, und dass der Mensch, der dort im Bett liegt, eine Geschichte zu erzählen hat, von der ich etwas lernen kann.“

Susan hilft es, wenn sie in Gedanken die Rollen tauscht: Sie selbst liegt im Bett und stellt sich vor, ein Fremder betritt mit ernstem Gesichtsausdruck – gerunzelte Augenbrauen, gefaltete Hände – den Raum. Er will ihr einen Rat geben. Solch einem Seelsorger ist sie einmal begegnet, als ihre Tochter nach einem schweren Unfall im Krankenhaus lag. Das brachte ihr keinen Trost. Sie wünscht sich vielmehr jemanden, der Aufmerksamkeit und Respekt zeigt, der Augenkontakt hält, ein Gefühl der Gelassenheit verbreitet und nicht wirkt, als hätte nur er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Als christliche Seelsorgerin hat sie gelernt, den Patienten entscheiden zu lassen, welche Richtung das Gespräch nimmt. Fast jeder Mensch weiß es zu schätzen, wenn man in einer Lebenskrise für ihn betet, doch auch in dieser Situation muss sie aufpassen, dass in ihren Gebeten Liebe und Mitgefühl zum Ausdruck kommen und keine versteckte Botschaft.

Sie erinnert sich: „Ich war bei Muslimen und New-Age-Anhängern, die förmlich darauf warteten, dass ich einen Bekehrungsversuch unternehme. Wenn ich das nicht tue, öffnen sie sich. Es liegt eine gewisse Ironie darin: Je weniger ich mich bemühe, anderen meinen Glauben aufzudrängen, desto mehr interessieren sich die Leute für das, was ich glaube.“ Dasselbe Prinzip gilt auch außerhalb eines Krankenzimmers.

Zurück zur Gnade

Подняться наверх