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[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Kapitel 2 DIE GEFÄHRDETE GNADE
ОглавлениеAber du freust dich jedes Gesichts, das dient und dürstet.20
Rainer Maria Rilke
Der britische Schriftsteller Theodore Dalrymple bekennt: „Es ist nicht so einfach, wie man vermuten könnte, sich von der Vorstellung zu befreien, es gebe einen Gott.“21 Nachdem er eingeräumt hat, dass er selbst nicht gläubig ist, beschreibt er die Leere, die er in sich spürt. Zu glauben, dass es keinen Gott gibt, lässt die Leere nicht verschwinden.
Nur wenige von uns, vor allen Dingen, wenn wir älter werden, können sich mit der Vorstellung anfreunden, dass das Leben voller Schall und Wahn ist, doch ohne jegliche Bedeutung. Wie sehr uns auch die Philosophen erzählen wollen, dass es unlogisch sei, den Tod zu fürchten, dass wir im schlimmsten Fall nur den Vorgang des Sterbens fürchten sollten, so haben viele Menschen noch genauso viel Angst vor dem Tod wie eh und je. Und wie sehr auch uns die Philosophen erzählen, dass es unsere eigene Aufgabe ist, die uns niemand abnehmen kann, den Sinn des Lebens zu finden, so sehnen wir uns noch immer nach einem transzendenten Sinn und Ziel … Uns zu sagen, dass wir diese Sehnsucht nicht verspüren sollen, gleicht ein wenig dem Versuch, einem bis über beide Ohren Verliebten zu erklären, dass das Objekt seiner Zuneigung seiner nicht würdig ist. Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.
Wer sich darauf einstimmt, hört die Sehnsucht laut flüstern. Ein Teenager sitzt in seinem abgedunkelten Zimmer und fragt sich, wen es kümmert, ob er lebt oder stirbt. Eine von Schmerzmitteln abhängige Frau umklammert in einer Sitzung ihrer Therapiegruppe ihren Plastikbecher mit Kaffee und wünscht sich etwas Fassbareres als nur eine „höhere Macht“. Ein viele Jahre verheiratetes Paar blickt am Hochzeitstag aus dem Fenster des Restaurants. Sie schweigen, denn sie haben sich nichts mehr zu sagen. Ein Therapeut führt die Beschwerden auf, die er jeden Tag von seinen Klienten hört – innere Leere, ein vages Gefühl der Depression, die Sehnsucht nach persönlicher Erfüllung, Hunger nach Spiritualität – und diagnostiziert einen „Verlust der Seele“.22 Unsere zeitgenössische Kultur kann diese Leere auch mit den verlockenden Angeboten von Unterhaltung und materiellen Gütern nicht ausfüllen.
Ich bin überzeugt, dass Menschen instinktiv nach zwei Dingen suchen. Wir sehnen uns nach Sinn, dem Gefühl, dass unser Leben für die Welt um uns herum eine Rolle spielt. Und wir sehnen uns nach Gemeinschaft, dem Gefühl, geliebt zu werden.
Christen und religiös nicht gebundene Menschen sind sich in der Diagnose einig, nicht aber in der Frage der Therapie. Nicht jeder will von dem lebendigen Wasser probieren, von dem Jesus versprach, dass es den Durst löschen würde. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Tochter des berühmten Atheisten Bertrand Russell sagte einmal, das gesamte Leben ihres Vaters „sei eine Suche nach Gott“ gewesen. „Irgendwo in einem Winkel seines Denkens, auf dem Grunde seines Herzens und tief in seiner Seele war ein Ort, der einmal von Gott erfüllt war, und niemals fand er irgendetwas, das diese Stelle ausfüllte.“23
In Bertrand Russels eigenen Worten: „Draußen herrscht Dunkelheit, und wenn ich sterbe, wird drinnen Dunkelheit herrschen.“24 Was hielt den Philosophen davon ab zu glauben?
Russells Tochter nennt einen Grund. „Ich hätte meinen Vater gern davon überzeugt, dass ich gefunden hatte, wonach er suchte, dieses unauslöschliche Etwas, nach dem er sich sein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Gern hätte ich ihn überzeugt, dass die Suche nach Gott nicht vergeblich sein muss. Doch es war hoffnungslos. Er hatte zu viele blinde Christen kennengelernt, miesepetrige Moralisten, die alle Freude aus dem Leben saugten und ihre Feinde verfolgten; niemals wäre er in der Lage gewesen, die Wahrheit zu sehen, die sie versteckt hielten.“
Leider haben viele geistlich Suchende aus meinem Bekanntenkreis ähnliche Geschichten zu erzählen wie Bertrand Russell. In der Kirche finden sie weder Gemeinschaft noch eine Antwort auf ihre Suche. Die Kirche bringt sie nicht näher zu Gott, sondern führt sie weiter von ihm weg. Sie wirkt auf sie langweilig und formelhaft, die Christen dort sind engstirnig, ihre Lehre intolerant. Einer meiner Nachbarn brachte es gut auf den Punkt: „Ich habe es mit Religion versucht. Acht Jahre habe ich in katholischen Schulen verbracht, bin jeden Tag zur Messe gegangen und am Sonntag noch dazu. Die ganze Zeit über, die ich dort saß, wollte ich einfach nur weg. Soll ich wirklich glauben, dass ich für immer in der Hölle schmore, weil ich an einem Tag die Messe geschwänzt oder in der Fastenzeit einen guten Vorsatz nicht gehalten habe?“
Eine andere Bekannte von mir wütete gegen die Christen, weil sie sich aufführen, als laute ihr Motto: „Wir gegen den Rest der Welt“. Christen nehmen an, sie hätten die einzig richtige Antwort auf alle Probleme des Lebens, und diese Haltung kommt ihr arrogant und herablassend vor. Auf sie wirkt die Kirche wie ein Privatclub, der Außenseiter lediglich als potenzielle Mitglieder betrachtet. „Es untergräbt das Wachstum von echten Beziehungen, wenn man Menschen nur als ‚Bekehrungsobjekte‘ sieht“, meinte sie. Leidenschaftlich fuhr sie im selben Tonfall fort, bis sie sich plötzlich dabei ertappte, zu negativ und zu zynisch zu reden.
„Da gibt es vieles, das ich noch begreifen möchte“, fügte sie nachdenklich hinzu. „Aber ich glaube, dass ehrliche Kritik wichtig ist. … Ich bin noch dabei herauszufinden, was es bedeutet, das in Liebe zu tun.“ In dieser Bemerkung über sich selbst legte diese Frau vielleicht den Finger auf die Wunde und zeigte das eigentliche Problem der Christen auf, die von ihrem Glauben erzählen: Wir tun das nicht immer in Liebe. Doch auf diesen Ausgangspunkt können wir nicht verzichten, wenn wir den Glauben auf gnadenvolle Art darstellen wollen.