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[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Kapitel 1 DER GROSSE GRABEN
ОглавлениеAls Christ mache ich mir viele Gedanken darüber, wie wir anderen von unserem Glauben erzählen. Wir sind berufen, die gute Nachricht von Vergebung und Hoffnung weiterzugeben, und doch höre ich immer wieder, dass viele Menschen das, was wir zu sagen haben, gar nicht als eine gute Nachricht wahrnehmen.
Der Entschluss, dieses Buch zu schreiben, reifte in mir, nachdem ich die Ergebnisse einer von der George Barna Group durchgeführten Umfrage las. Mir sprangen einige erstaunliche Statistiken ins Auge.2 1996 verhielten sich noch 85 Prozent der religionsfernen Amerikaner den Christen gegenüber wohlwollend. 2009, dreizehn Jahre später, hatten nur noch 16 Prozent der jungen „Außenstehenden“ einen positiven Eindruck von der Christenheit insgesamt, und lediglich 3 Prozent fanden Evangelikale gut. Ich möchte untersuchen, warum es in relativ kurzer Zeit zu einem solchen Absturz kam. Warum rufen Christen solche Abneigung hervor – und was sollten wir dagegen tun, wenn wir überhaupt etwas tun können?
Seit über zehn Jahren gehöre ich zu einem Lesekreis, der mir zeigt, wie moderne säkular eingestellte Menschen heute die Christen sehen. Zu diesen gut informierten und weitgereisten Lesern gehören ein Anwalt, der sich mit Umweltschutz beschäftigt, ein Philosoph, der wegen seiner marxistischen Ansichten von einer staatlichen Universität entlassen wurde, ein Experte für kindliche Entwicklung, ein in der Forschung tätiger Pharmakologe, die Rechnungsprüferin meines Bundesstaates, ein Insolvenzanwalt, ein Bibliothekar und ein Neurologe. Unsere unterschiedlichen Berufe und Überzeugungen sorgen für angeregte Diskussionen.
Wenn wir uns über das Buch ausgetauscht haben, das wir gerade lesen, kommen wir im Allgemeinen wieder auf Politik zu sprechen – das ist offenbar eine Art Ersatzreligion. Fast alle meine Bücherfreunde sind stark links orientiert. Es gibt nur einen, der anders denkt, einen Libertären, der praktisch jede Form von Regierung überhaupt ablehnt. Die Gruppenmitglieder betrachten mich als ihre Informationsquelle zu einem Paralleluniversum, das außerhalb ihrer Umlaufbahn liegt. „Du kennst doch die Evangelikalen, oder?“ Ich nicke. Dann kommt zum Beispiel eine Frage wie: „Kannst du uns erklären, wieso sie so sehr gegen Homo- und Lesbenehen sind?“ Ich gebe mein Bestes, doch wenn ich die Argumente wiederhole, die ich von führenden Evangelikalen gehört habe, stößt das auf völliges Unverständnis.
Als George W. Bush 2004 wiedergewählt wurde, erging sich der marxistische Professor in einer Tirade gegen rechte Evangelikale. „Sie werden vom Hass getrieben, dem reinen Hass!“, sagte er. Ich brachte Furcht als mögliches Motiv ins Spiel, Furcht davor, dass sich die Gesellschaft in eine Richtung bewegen könnte, die sie als problematisch ansahen. Doch er bestand darauf: „Nein, es ist Hass!“ Dabei wurde seine Stimme lauter, und das Blut schoss ihm ins Gesicht, was völlig untypisch für ihn war. „Kennst du denn einen politisch rechtsstehenden Evangelikalen persönlich?“, fragte ich nach. „Eigentlich nicht“, räumte er kleinlaut ein. Als Jugendlicher allerdings hatte er viele gekannt. Wie die meisten Mitglieder meines Lesekreises war er in einer Gemeinde aufgewachsen, in seinem Fall bei den Siebten-Tags-Adventisten.
Viele ähnliche Unterhaltungen haben mir gezeigt, dass sich Menschen, die sich als agnostische Minderheit in einem Land voller gläubiger Leute verstehen, von Religion massiv bedroht fühlen. Nichtgläubige Menschen neigen dazu, Evangelikale als Moralpolizei zu verstehen, die einer ganzen Nation ihre Vorstellung von Gut und Böse aufzwingt. Für sie sind Christen gegen Abtreibung, gegen Schwule, gegen Frauenrechte – und wo wir gerade darüber reden, vermutlich auch gegen Sex –, und die meisten unterrichten ihre Kinder zu Hause, um sie vor unreinen Einflüssen zu schützen. Manchmal helfen Christen mit, um soziale Probleme zu lindern, betreiben zum Beispiel Suppenküchen oder Obdachlosenheime, aber davon abgesehen unterscheiden sie sich kaum von muslimischen Fanatikern, die ihrer Gesellschaft die Scharia aufzwingen wollen.
Eine Forschungsgruppe aus Phoenix war überrascht, in welchem Maß Christen beschimpft werden. Das ging weit über die Frage nach unterschiedlichen Auffassungen hinaus. Der Direktor des Meinungsforschungsinstituts merkt dazu an: „Evangelikale wurden Analphabeten, gierig, psychotisch, rassistisch, dumm, engstirnig, Heuchler, Idioten, Fanatiker, völlig Verrückte, unter Wahnvorstellungen Leidende, Einfaltspinsel, aufgeblasen, Idioten, grausam, Dummköpfe und Freaks genannt, und die Liste ist noch nicht vollständig. … Manche Leute haben überhaupt keine Vorstellung, wie Evangelikale überhaupt sind oder was sie glauben – sie wissen nur, dass sie Evangelikale nicht ausstehen können.“3
Die gute Nachricht klingt heute nicht mehr so gut, zumindest für manche Menschen.