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b) Wirkung

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Wenn § 15 I HGB davon spricht, dass die nicht eingetragene und/oder nicht bekanntgemachte Tatsache dem Dritten „nicht entgegengesetzt“ werden kann, so meint er damit, dass die Nichteintragung/-bekanntmachung nur zugunsten des Dritten und (spiegelbildlich) zulasten des Anmeldepflichtigen wirkt.[45] Beispielsweise kann sich der Anmeldepflichtige also nicht darauf berufen, dass die Prokura erloschen ist, wenn dies entgegen § 53 II, I HGB nicht im Handelsregister eingetragen wurde. Des Weiteren kann er z. B. nicht geltend machen, dass es sich um einen Handelskauf handelt und daher die Rügeobliegenheit des § 377 HGB eingreift oder der Zinssatz statt 4 % (§ 246 BGB) gemäß § 352 I HGB 5 % beträgt, wenn er nicht als (Ist- oder Kann-)Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist.

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In Fall 8 liegen die Voraussetzungen von § 15 I HGB vor, entsprechend kann sich V nicht auf die wahre Rechtslage berufen. Daher kann er nicht verlangen, so gestellt zu werden, als sei § 377 HGB anwendbar. Weil K mithin keine Rügeobliegenheit traf, sind seine Mängelrechte nicht nach § 377 II HGB ausgeschlossen und er kann Reparatur des Außenspiegels verlangen.

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Fraglich ist, ob die sich durch Anwendung von § 15 I HGB ergebende Rechtslage zwingend ist, oder ob der Dritte wählen kann, ob er sich auf § 15 I HGB beruft (und damit verlangt, so gestellt zu werden, als würde die nicht eingetragene und/oder nicht bekanntgemachte Tatsache nicht existieren, s. die Beispiele unter Rn. 143), oder ob er auch auf den Schutz des § 15 I HGB verzichten und sich stattdessen auf die wahre Rechtslage berufen kann. Ein derartiges Wahlrecht wird man zumindest dann annehmen können, wenn er sich insgesamt für die eine oder andere Option entscheidet oder wenn er sich jedenfalls hinsichtlich mehrerer eintragungspflichtiger Tatsachen, die nicht eingetragen und/oder nicht bekanntgemacht wurden, für jede einzelne isoliert für die wahre Rechtslage oder die Anwendung von § 15 I HGB entscheidet.[46] Denn es wäre vom Zweck des § 15 I HGB nicht gedeckt, dem Dritten die Berufung auf die wahre Rechtslage abzuschneiden. Fraglich ist aber, ob er sich auch in Bezug auf eine einzige eintragungspflichtige Tatsache in unterschiedlichen rechtlichen Zusammenhängen einmal für die wahre Rechtslage und einmal für § 15 I HGB entscheiden kann.

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Relevant wird dies in folgendem klassischen Beispiel: Die X-OHG besteht aus den drei Gesellschaftern A, B und C. A und B waren – wie auch im Handelsregister eingetragen war – nur gemeinsam zur Vertretung der X-OHG berechtigt. A scheidet aus der Gesellschaft aus, was aber (entgegen § 143 II, I HGB) nicht im Handelsregister eingetragen wird. In der Folge schließt B mit D einen Kaufvertrag für die X-OHG ab, wobei D vom Ausscheiden des A keine Kenntnis hat. Da weder die Gesellschaft noch B und C zahlungskräftig sind, will sich D über § 128 S. 1 HGB an A halten. Zu Recht?

Materiell-rechtlich besteht im Grundsatz kein Anspruch von D gegen A aus §§ 433 II Alt. 1 BGB, 128 S. 1 HGB: A war bei Vertragsschluss nicht mehr Gesellschafter (§ 128 HGB), eine Nachhaftung nach § 160 HGB scheidet aus, weil die Verbindlichkeit nicht vor seinem Ausscheiden begründet war. Hier scheint nun § 15 I HGB zu helfen, kann sich danach A gegenüber D doch wegen Verletzung von § 143 II, I HGB nicht auf sein Ausscheiden berufen. Allerdings: Legt man die von D angenommene Rechtslage (Nicht-Ausscheiden des A) zugrunde, bestünde im Ergebnis doch kein Anspruch, und zwar, weil es angesichts des Erfordernisses einer Gesamtvertretung von A und B und dem Alleinhandeln des B schon an einem wirksamen Vertragsschluss zwischen D und der X-OHG fehlte. Dementsprechend hat D gegen A nur dann einen Anspruch, wenn er sich in Bezug auf die Gesellschafterstellung des A auf die „Buchlage“ und damit § 15 I HGB (= A ist noch Gesellschafter), in Bezug auf die Vertretungsmacht des B aber auf die wahre Rechtslage (= A ist nicht mehr Gesellschafter) berufen und daher insoweit § 15 I HGB unangewendet lassen kann.

Ob sich D in Bezug auf ein und dieselbe Tatsache (= Gesellschafterstellung des A) einmal auf die wahre Rechtslage und einmal auf die „Buchlage“ berufen kann, ist hoch umstritten. Wendet man das „nackte“ Gesetz an, so ist das zu bejahen. Denn materiell-rechtlich wurde die X-OHG durch das Handeln des nunmehr alleinvertretungsberechtigten B verpflichtet und die Tatsache, dass er nicht mehr Gesellschafter ist und daher nicht mehr nach § 128 HGB haftet, kann A dem D wegen § 15 I HGB nicht entgegenhalten. Entsprechend hat der BGH zugunsten von D entschieden.[47] Die Gegenansicht hält ein derartiges „Rosinenpicken“ für ein widersprüchliches Verhalten und gibt dem Dritten – immer in Bezug auf eine einzelne, nicht eingetragene/bekanntgemachte, eintragungspflichtige Tatsache – nur ein Totalwahlrecht.[48] Das überzeugt nicht, vielmehr ist der h.M. zu folgen. Denn auch wenn die h.M. den Dritten sehr weitgehend und – rechtspolitisch betrachtet vielleicht sogar zu weitgehend – schützt, lässt sich ein anderes Ergebnis de lege lata methodisch nicht begründen. Die Mindermeinung läuft auf eine teleologische Reduktion der Norm hinaus. Eine solche ist nur zulässig, wenn der Wortlaut zu weitgehend formuliert ist und deshalb auch Fälle erfasst, die nach dem Willen des Gesetzgebers nicht hätten erfasst werden sollen.[49] Die „Beweislast“ für diesen überschießenden Wortlaut trägt derjenige, der die teleologische Reduktion befürwortet. Dem wird die Mindermeinung nicht gerecht, weil sie keinen Nachweis aus den Gesetzgebungsmaterialien erbringen kann, dass der Gesetzgeber § 15 I HGB in diesen Konstellationen nicht angewandt wissen will. Schon deshalb ist ihr Argument, der Dritte verhalte sich widersprüchlich, wenn er sich gleichzeitig auf die wahre und die „Buch-“Rechtslage berufe, unbeachtlich. Es überzeugt auch in der Sache nicht, weil der Dritte nichts anderes tut, als sich – wie oben dargelegt – buchstabengetreu an die Vorgaben des Gesetzes zu halten. Mit der h.M. kann sich der Dritte daher auch in Bezug auf eine einzige eintragungspflichtige Tatsache in unterschiedlichen rechtlichen Zusammenhängen gleichzeitig auf die wahre Rechtslage und auf § 15 I HGB berufen.

Im obigen Beispielsfall kann sich D demnach gemäß §§ 433 II Alt. 1 BGB, 128 S. 1 HGB an A halten.

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