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b) Die Krankenbehandlung
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aa) Gemäß §§ 27 ff SGB V wird Versicherten Krankenbehandlung gewährt. Anspruch auf Krankenbehandlung besteht, wenn sie notwendig[62] ist, und zwar zu dem Zweck, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß §§ 27 ff SGB V:
– | Einholung einer Zweitmeinung (§ 27b SGB V); |
– | ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1 SGB V); |
– | zahnärztliche Behandlung einschließlich der kieferorthopädischen Behandlung und der Versorgung mit Zahnersatz (§§ 28 Abs. 2, 29, 55 SGB V); |
– | psychotherapeutische Behandlung (§ 28 Abs. 3 SGB V); |
– | Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§§ 31–36 SGB V); |
– | häusliche Krankenpflege, Soziotherapie, spezialisierte ambulante Palliativversorgung und Haushaltshilfe (§§ 37, 37a, 37b, 38 SGB V), Kurzzeitpflege (§ 39c SGB V); |
– | Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V), Zuschüsse und Beratung zu stationären und ambulanten Hospizleistungen (§ 39a, b SGB V); |
– | medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie Belastungserprobung und Arbeitstherapie (§§ 40–43 SGB V); |
– | nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen für Kinder (§ 43a SGB V); |
– | Leistungen zur künstlichen Befruchtung (§ 27a SGB V). |
Die ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1 SGB V) umfasst alle vertragsärztlichen Tätigkeiten, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind. Einzelheiten zur Sicherstellung der Versorgung bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien (§ 92 SGB V)[63]. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung nur aufgenommen werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss deren Anerkennung empfohlen hat (siehe § 135 Abs. 1 SGB V)[64]. Die Zulässigkeit sog. Außenseitermethoden im Einzelfall wird dadurch allerdings nicht ausgeschlossen. Leistungen der Krankenbehandlung müssen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V). Wie bei allen Leistungen ist gemäß § 12 SGB V das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. § 70 Abs. 2 SGB V verpflichtet Krankenkassen und Leistungserbringer, durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung hinzuwirken. Eine Einschränkung des Leistungsumfangs ergibt sich gemäß § 52 Abs. 2 SGB V bei Krankheiten, die durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme, wie zB eine Schönheitsoperation, eine Tätowierung oder ein Piercing, entstanden sind; bei dieser Sachlage muss die Krankenkasse die Versicherten an den Kosten beteiligen.
Beispiel: Nach ästhetisch begründeter operativer Brustvergrößerung wird die Entfernung der fehlerhaften Implantate erforderlich. Nur in Bezug auf die Höhe der Beteiligung besteht ein Ausübungsermessen der Krankenkasse[65].
Neue Behandlungsmethoden[66] sind vielfach (noch) nicht vom Spektrum der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Im Anschluss an den sog. Nikolaus-Beschluss des BVerfG[67] bestimmt § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer dem wertungsmäßig vergleichbaren Krankheit dem Leistungsspektrum nicht mehr unterfallende Behandlungen beanspruchen können[68]. Allgemein geht das BSG von folgenden Voraussetzungen aus[69]: (1) Es darf keine ablehnende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 135 SGB V vorliegen[70]; (2) Das Ausbleiben einer Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses muss ohne sachlichen Grund erfolgen; (3) Die Wirksamkeit der Methode muss objektiv festgestellt werden, wenn dies nicht möglich ist, muss sich die Methode in Praxis und Fachdiskussion durchgesetzt haben[71].
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bb) Die Einzelheiten der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung ergeben sich aus § 28 SGB V. Hervorzuheben ist: Die Versicherten können gemäß § 76 Abs. 1 SGB V grundsätzlich unter allen als Vertragsarzt zugelassenen Ärzten (Vertragsärzten) und unter den zugelassenen medizinischen Versorgungszentren im Sinn von § 95 Abs. 1 SGB V wählen. Haben sich Versicherte für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V entschieden, verpflichten sie sich, ambulante fachärztliche Leistungen nur nach Überweisung durch ihren Hausarzt in Anspruch zu nehmen. Ärztliche und zahnärztliche Behandlung darf gemäß § 15 Abs. 1 SGB V nur von approbierten Ärzten und Zahnärzten geleistet werden (§§ 39, 40 AppOÄ; §§ 1 ff Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde). Hilfeleistungen (zB Krankengymnastik, Logopädie) können, wenn sie gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V von approbierten Ärzten oder Zahnärzten angeordnet sind oder verantwortet werden, von anderen Personen erbracht werden. Kieferorthopädische Behandlung wird nach Maßgabe von § 29 SGB V als Sachleistung in medizinisch begründeten Fällen geleistet, wobei die Versicherten einen Kostenanteil tragen. Für die medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz erhalten die Versicherten befundbezogene Festzuschüsse (siehe im Einzelnen §§ 55 ff SGB V).
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cc) Die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln wird in ihren Einzelheiten durch §§ 31–36 SGB V geregelt. Heil- und Hilfsmittel unterscheiden sich von Arzneimitteln dadurch, dass Erstere überwiegend von außen auf den Organismus wirken. Heilmittel und Hilfsmittel sind grundsätzlich nach dem Zweck ihres Einsatzes zu unterscheiden. Heilmittel sind Sachmittel und Dienstleistungen, die der Krankheitsbekämpfung dienen (zB Stützapparaturen, Krankengymnastik, Massagen). Hilfsmittel dienen der Kompensation von verbliebenen Defiziten nach Abschluss der Behandlung (zB Rollstühle, Prothesen oder sonstige orthopädische Hilfsmittel)[72].
One-Page-Fälle: LSG Nordrhein-Westfalen, NZS 2019, 831 (Gerlach); SG Nürnberg, NZS 2019, 832 (Niedermeyer); LSG Niedersachsen, NZS 2020, 33 (Diehm).
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen setzt gemäß § 35 Abs. 3 SGB V von der Krankenkasse zu tragende Festbeträge für Arznei- oder Hilfsmittel fest. Diese Festbeträge sind verfassungsgemäß[73] und verstoßen nicht gegen europäisches Unionsrecht[74]. § 35a SGB V bestimmt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen bewertet. Hierzu gehört insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens, den das neue Arzneimittel im Vergleich zu bereits erhältlichen Arzneimitteln hat. Die pharmazeutischen Unternehmen müssen spätestens bei der Markteinführung entsprechende Nachweise über den Zusatznutzen vorlegen. Stellt der Gemeinsame Bundesausschuss für ein Arzneimittel keine therapeutische Verbesserung bzw keinen Zusatznutzen fest, wird es in die entsprechende Festbetragsgruppe bereits erhältlicher Arzneimittel eingeordnet; ist dies mangels vergleichbarer Arzneimittel nicht möglich, ist ein Erstattungspreis zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten als die Vergleichstherapie führen darf (vgl §§ 35a Abs. 4 S. 1, 130b Abs. 3 S. 1 SGB V). Außerhalb der zugelassenen Indikation dürfen Arzneimittel nur unter engen Voraussetzungen verordnet werden (§ 35c SGB V, „Off-Label-Use“). Brillengläser gehören nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 2–4 SGB V zur Versorgung. Zu Arzneimitteln, Heilmitteln und Hilfsmitteln müssen die Versicherten nach Maßgabe der §§ 31 Abs. 3, 32 Abs. 2, 33 Abs. 8 SGB V Zuzahlungen leisten. Die Zuzahlungen betragen grundsätzlich 10% des Abgabepreises, mindestens jedoch fünf Euro und höchstens zehn Euro, begrenzt durch die tatsächlichen Kosten des Mittels (siehe näher § 61 SGB V; die jeweilige Belastungsgrenze ergibt sich aus § 62 SGB V). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kann Arzneimittel von der Zuzahlung freistellen, wenn diese mindestens 30% günstiger sind als der jeweils gültige Festbetrag (§ 31 Abs. 3 S. 4 SGB V). Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gemäß § 34 Abs. 1 SGB V von der Versorgung grundsätzlich ausgeschlossen; Ausnahmen legt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien gemäß § 92 SGB V fest[75]. Bei Arzneimitteln, für die Rabattverträge nach Maßgabe des § 130a Abs. 8 SGB V geschlossen worden sind, kann die Krankenkasse die Zuzahlung um die Hälfte reduzieren oder aufheben (§ 31 Abs. 3 S. 5 SGB V).
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dd) Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht unter den Voraussetzungen des § 37 SGB V, Anspruch auf eine Haushaltshilfe unter den Voraussetzungen des § 38 SGB V. Gemäß § 39c SGB V besteht bei schwerer oder akut verschlimmerter Krankheit ein Anspruch auf Kurzzeitpflege. Soziotherapie (§ 37a SGB V) können Versicherte beanspruchen, wenn sie wegen einer schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage sind, Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen. Auch zu diesen Leistungen müssen Versicherte Zuzahlungen leisten (vgl §§ 37 Abs. 5, 38 Abs. 5, 37a Abs. 3 SGB V).
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ee) Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses gemäß § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Sie wird dabei vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V) sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht[76]; die Möglichkeit der ambulanten Behandlung im Krankenhaus wurde durch die §§ 116a und 116b SGB V erweitert. Auch die Krankenhausbehandlung wird in der Regel als Sachleistung gewährt und ist eine Gesamtleistung, welche Krankenbehandlung, Unterbringung und Verpflegung umfasst. Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, zahlen von Beginn der Krankenhausbehandlung an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 28 Tage zehn Euro je Kalendertag an das Krankenhaus (§ 39 Abs. 4 SGB V).
Die vollstationäre Krankenhausbehandlung setzt im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot voraus, dass die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB V)[77].
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ff) Die Einzelheiten zu weiteren Maßnahmen der Krankenbehandlung, wie Rehabilitationsleistungen, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, regeln die §§ 40–43b SGB V. Nach Maßgabe des § 39a SGB V besteht Anspruch auf einen Zuschuss zur Versorgung in Hospizen, in denen unheilbar Kranken ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod ermöglicht werden soll.