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4. Teil Soziale Entschädigung, Soziale Hilfe und Soziale Förderung › § 13 Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden

§ 13 Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden

Inhaltsverzeichnis

I. Grundsätzliches

II. Entschädigungstatbestände

III. Leistungen nach dem BVG

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Schrifttum: Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, 2. Aufl., 1998; Hase, Soziales Entschädigungsrecht, in: SRH, § 26; Kessler, Die gesetzlichen Grundlagen des sozialen Entschädigungsrechts, ZfS 2001, 235; Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012; Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, Opferentschädigungsgesetz, 6. Aufl., 2015; Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Loseblattwerk; Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, 1981; Voß, Das Bundesversorgungsgesetz als Leitgesetz für das soziale Entschädigungsrecht – Vorschläge für eine Strukturreform, ZfS 2003, 161.

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Wer einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht, hat gemäß § 5 S. 1 SGB I ein soziales Recht auf (1) die notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit und (2) angemessene wirtschaftliche Versorgung. Ein Recht auf wirtschaftliche Versorgung haben auch die Hinterbliebenen, § 5 S. 2 SGB I. Die Einweisungsvorschrift des § 24 SGB I benennt die vorgesehenen Versorgungsleistungen und die zuständigen Träger. Die Einzelheiten des Entschädigungsrechts regeln Spezialgesetze, hauptsächlich und für das Recht der sozialen Entschädigung grundlegend das Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das am 12. Dezember 2019 erlassene SGB XIV[1] fasst das Recht der Sozialen Entschädigung neu. Nachdem die Jahrzehnte lang dominierende Kriegsopferentschädigung die praktische Bedeutung fast verloren hat, weil nur noch wenige Opfer des Zweiten Weltkriegs leben, bestimmt neben der Einordnung in das Sozialgesetzbuch die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten das Regelungsprogramm[2]. Das SGB XIV tritt 2024 in Kraft.

4. Teil Soziale Entschädigung, Soziale Hilfe und Soziale Förderung§ 13 Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden › I. Grundsätzliches

I. Grundsätzliches

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Das Recht der sozialen Entschädigung wegen Gesundheitsschäden beruht auf dem Gedanken, dass eine Abgeltung persönlicher Gesundheitsschäden durch die staatliche Gemeinschaft in bestimmten Fällen wegen einer besonderen Opfersituation des betroffenen Bürgers oder auf Grund anderer Umstände angemessen erscheint. Das Entschädigungsrecht folgt dem Kausalprinzip (Rn 81). Seine Leistungen werden aus Steuermitteln finanziert.

Leistungen der Kriegsopferversorgung in Form von Renten, Heilbehandlung usw erhielten zum 31. Dezember 2018 noch knapp über 23 000 Personen, die Ausgaben für diese Leistungen betrugen 2018 rund 312,4 Millionen Euro[3].

4. Teil Soziale Entschädigung, Soziale Hilfe und Soziale Förderung§ 13 Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden › II. Entschädigungstatbestände

II. Entschädigungstatbestände

1. Kriegsopferversorgung als Grundfall

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Der klassische Fall der sozialen Entschädigung wegen Gesundheitsschäden auf Grund einer besonderen Opfersituation des Geschädigten ist die Kriegsopferversorgung. Das Recht der Kriegsopferversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bildet den Kern des sozialen Entschädigungsrechts, das Bundesversorgungsgesetz hat für das Entschädigungsrecht grundsätzlichen Charakter[4]. Auf seine Regelungen, insbesondere auf die Vorschriften des Leistungsrechts, wird in anderen Entschädigungsgesetzen verwiesen.

Die staatliche Sorge für die Opfer des Kriegs ist nicht erst eine Folge der Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Bereits im Anschluss an die Einführung der Wehrpflicht im 19. Jahrhundert wurden in Deutschland Systeme der Kriegsopferfürsorge geschaffen[5]. Nach Beendigung des Ersten Weltkriegs wurde die Kriegsopferversorgung mit der Verabschiedung des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) sozialrechtlich geregelt. Das Bundesversorgungsgesetz normiert die Anspruchsvoraussetzungen und regelt in den §§ 9–53a BVG Art und Umfang der in der Einweisungsvorschrift des § 24 SGB I und in § 9 BVG aufgezählten Leistungen.

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a) Den Grundtatbestand für eine Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz regelt § 1 Abs. 1 BVG. Voraussetzung ist, dass jemand durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung, durch einen Unfall während der Ausübung eines militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. In § 1 Abs. 2 BVG werden unter anderem gesundheitliche Schädigungen durch Kriegsgefangenschaft, Internierung oder durch unmittelbare Kriegseinwirkungen gleichgestellt.

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b) Wie in der gesetzlichen Unfallversicherung (Rn 308 ff) muss es im Entschädigungsrecht, damit ein Versorgungsfall (zB Wehrdienstbeschädigung iSv § 1 Abs. 1 BVG) vorliegt, bei einer entschädigungsrelevanten Tätigkeit zu einem Schadensereignis gekommen sein, und dieses Schadensereignis muss zu einem Gesundheitsschaden oder zu einem wirtschaftlichen Nachteil (oder zu beidem) geführt haben. Zwischen der entschädigungsrelevanten Tätigkeit und dem Schadensereignis und zwischen dem Schadensereignis und dem Gesundheitsschaden bzw dem wirtschaftlichen Nachteil müssen, wie in der Gesetzlichen Unfallversicherung, jeweils ein Kausalzusammenhang und bei wertender Betrachtung ein Zurechnungszusammenhang bestehen (Rn 317 ff).

2. Weitere Entschädigungstatbestände

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Ausgehend von der Kriegsopferversorgung als dem klassischen Fall sozialer Entschädigung wegen Gesundheitsschäden hat der Gesetzgeber im Lauf der Zeit das Recht der sozialen Entschädigung durch weitere Tatbestände ergänzt. Dabei geht es zum einen um Tatbestände sozialer Entschädigung, mit denen weitere kriegsbedingte oder verteidigungsbedingte Sonderopfer abgegolten werden sollen; der Gesetzgeber hat darüber hinaus auch Tatbestände geschaffen, die in keinem Zusammenhang mit kriegs- oder verteidigungsbedingten Sonderopfern stehen, zB die soziale Entschädigung für Impfschäden.

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a) In einem gewissen sachlichen Zusammenhang mit dem Recht der Kriegsopferversorgung steht die soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden, welche Soldaten der Bundeswehr oder Dienst Leistende beim Zivildienst im Rahmen ihres Dienstes erleiden (§§ 80 ff SVG; §§ 47 ff ZDG). Soziale Entschädigung nach dem Häftlingshilfegesetz erhalten Deutsche, die außerhalb der Bundesrepublik aus politischen Gründen in Gewahrsam genommen wurden. Opfer staatlichen Unrechts in der ehemaligen DDR, zB Opfer politisch motivierter Strafverfolgungsmaßnahmen, können auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes (StrRehaG) vom 29. Oktober 1992[6] und des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) vom 23. Juni 1994[7] soziale Entschädigung erhalten.

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b) Auf Grund der §§ 60 ff Infektionsschutzgesetz (IfSG) können Personen Versorgungsleistungen erhalten, die bei einer staatlich veranlassten Impfung (Einzelheiten § 60 Abs. 1–3 IfSG) einen Impfschaden erlitten haben. Schon Impfschäden, die auf Grund einer nur behördlich empfohlenen Impfung eintreten, können Ansprüche auslösen (§ 60 Abs. 1 S. 1 Nr 1 IfSG). Der Grund für die Entschädigung liegt darin, dass Impfungen auch dem Interesse der Allgemeinheit dienen, weil sie ansteckende Krankheiten eindämmen können. Opfern von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen gegen die Person und von anderen Gewalttaten wie Terroranschlägen ist im Hinblick auf die erlittenen Gesundheitsschäden auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes (OEG)[8] soziale Entschädigung zu leisten.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind – mit dem Recht der sozialen Entschädigung nicht in Zusammenhang stehende – gesundheitspolitische Eingriffsbefugnisse im IfSG ausgeweitet worden[9].

3. Unechte Unfallversicherung

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Einige soziale Leistungen, die systematisch dem Recht der sozialen Entschädigung iSd § 5 SGB I zuzuordnen sind, werden von der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der sog. unechten Unfallversicherung (Rn 277 f, 291 ff, 355) abgedeckt. So werden von der Unfallversicherung beispielsweise Leistungen für Schäden erbracht, die Nothelfern, Blut- und Transplantatspendern, ehrenamtlich Tätigen, Zeugen usw erwachsen.

4. Teil Soziale Entschädigung, Soziale Hilfe und Soziale Förderung§ 13 Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden › III. Leistungen nach dem BVG

III. Leistungen nach dem BVG

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Das Bundesversorgungsgesetz sieht ein ganzes Bündel von Leistungen vor, um gesundheitlichen Schädigungen zu begegnen und Folgeschäden auszugleichen. Die Versorgung umfasst (1) Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung einschließlich Versorgungskrankengeld und anderer spezieller Leistungen (§§ 10–24a BVG), (2) Leistungen der Kriegsopferfürsorge (§§ 25–27e BVG), (3) Beschädigtenrente (§§ 29–34 BVG), (4) Pflegezulage (§ 35 BVG), (5) Bestattungs- und Sterbegeld (§§ 36 f BVG), (6) Hinterbliebenenrente (§§ 38–52 BVG), (7) Bestattungsgeld beim Tod von Hinterbliebenen (§ 53 BVG) und (8) Erstattung von Beiträgen zur Pflegeversicherung (§ 53a BVG).

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1. Heilbehandlung (§ 11 BVG) wird Beschädigten für Gesundheitsstörungen gewährt, die als Folge einer (kriegsbedingten oder gleichgestellten) Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind (§ 10 Abs. 1 S. 1 BVG).

Die Heilbehandlung entspricht im Wesentlichen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Schwerbeschädigte haben Anspruch auf Heilbehandlung auch für andere Gesundheitsstörungen. Neben der Heilbehandlung wird Krankenbehandlung (§ 12 BVG) gewährt, durch deren Leistungen vor allem Ehegatten, Kinder und andere Angehörige eines Schwerbeschädigten – ähnlich wie mit der Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung – im Krankheitsfall versorgt werden (zu den Einzelheiten der medizinischen Versorgung siehe § 10 BVG). Die Leistungen werden grundsätzlich durch die Krankenkassen nach dem Sachleistungsprinzip gewährt (§ 18 BVG), wobei der Krankenkasse Erstattungsansprüche gegen die zuständige Verwaltungsbehörde zustehen.

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2. Die Nachteile, die der Beschädigte durch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit erleidet, sollen durch die Beschädigtenrente bewältigt werden. Sie wird ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30% in Form einer Grundrente (§ 31 BVG) gewährt, deren Höhe vom Grad der Schädigungsfolgen abhängt; sie ist unabhängig vom sonstigen Einkommen des Beschädigten. Unter besonderen Voraussetzungen kann die Grundrente durch eine einkommensabhängige Ausgleichsrente (§ 32 BVG), zur Sicherung der sozialen Stellung durch einen Berufsschadensausgleich (§ 30 Abs. 3 und 4 BVG) und durch Ehegatten- und Kinderzuschläge (§§ 33a, 33b BVG) ergänzt werden.

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3. Ist der Beschädigte an den Folgen einer Schädigung gestorben, haben Witwen, der hinterbliebene Lebenspartner, Waisen, Eltern und Voreltern Anspruch auf Hinterbliebenenrente (§ 38 Abs. 1 S. 1 BVG) in Form von Witwenrente, Waisenrente oder Elternrente (§§ 38–47, 49–51 BVG). Ist der Beschädigte nicht an den Folgen einer Schädigung gestorben und war der Beschädigte schädigungsbedingt nicht in der Lage, für die Versorgung der Hinterbliebenen zu sorgen, kommt für Witwen, den hinterbliebenen Lebenspartner und Waisen eine Witwen- und Waisenbeihilfe in Betracht (§ 48 BVG).

505

4. Durch die Kriegsopferfürsorge (§§ 25–27e BVG) werden Leistungen nach Grundsätzen wie bei der Sozialhilfe gewährt. Beschädigte und Hinterbliebene, die einen gesetzlich fixierten Mindestbedarf trotz der übrigen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und auch aus ihrem übrigen Einkommen nicht decken können, erhalten Leistungen als besondere Hilfen im Einzelfall (siehe insbes. § 25b Abs. 1 S. 1 BVG).

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