Читать книгу Sozialrecht - Raimund Waltermann - Страница 96

3. Entwicklung

Оглавление

157

Die gesetzliche Krankenversicherung geht zurück auf das Bismarcksche Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883, sie bildet also den ältesten Zweig der Sozialversicherung. Die damals normierten Grundstrukturen sind in der Krankenversicherung (genauso wie in den anderen Sozialversicherungszweigen) bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. 1911 wurden in der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Gesetze der damals bestehenden Versicherungszweige Krankenversicherung, Unfallversicherung und Invaliditäts- und Altersversicherung zusammengefasst. Zu diesem Zeitpunkt war die Krankenversicherung bereits über den ursprünglichen Personenkreis hinaus ausgedehnt, die Leistungen waren ausgeweitet worden. In der Zeit von 1945 bis heute kam es zu einer weiteren Ausdehnung des versicherten Personenkreises und zu weiteren Leistungsverbesserungen.

158

1972 wurden durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KLVG)[9] auch Landwirte der Versicherungspflicht unterstellt, 1975 wurden Behinderte in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen (SVBG)[10], im selben Jahr auch Studenten und bestimmte Praktikanten (KVSG)[11], 1981 wurden selbstständige Künstler und Publizisten der gesetzlichen Krankenversicherung (KSVG)[12] unterstellt. In den Siebzigerjahren hat man Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, die Gewährung einer Haushaltshilfe, die Leistung von Krankengeld und Sonderurlaub im Zusammenhang mit der Pflege eines erkrankten Kindes sowie Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen. Leistungskürzungen mit dem Ziel einer Kostendämpfung erfolgten nach mehreren Kostendämpfungsgesetzen der Siebziger- und Achtzigerjahre dann durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988[13], mit dem das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung als SGB V in das Sozialgesetzbuch eingegliedert worden ist. Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992[14] hat gemessen an vorhergehenden Reformen zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Seine Schwerpunkte waren im Krankenhausbereich die Ablösung der Selbstkostenerstattung durch eine prinzipiell leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung und ab 1995 die Umstellung von allgemeinen tagesgleichen Pflegesätzen auf Fallpauschalen und Sonderentgelte. Das Krankenkassenwesen wurde reformiert und die Möglichkeit der Kassenwahl erweitert. Die Bedingungen für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wurden verschärft. Als Sofortmaßnahme wurden die wichtigsten Ausgabenbereiche für eine bestimmte Zeit an die Einnahmeentwicklung angebunden (Budgetierung).

159

Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lassen im Gesundheitswesen mit zunehmendem Abstand zum Inkrafttreten von Kostendämpfungsgesetzen deren ausgabenbegrenzende Wirkung und die Ausgabendisziplin der Beteiligten wieder nach. Seit dem Inkrafttreten des SGB V hat der Gesetzgeber mit zahlreichen Reformgesetzen (auch auf diesen Umstand) reagiert, von denen einige hervorgehoben seien[15]. Eine größere Strukturreform der letzten Jahre mit dem Ziel einer Senkung der Beiträge verwirklicht das mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14. November 2003[16]. Im Vordergrund von dessen Änderungen standen die stärkere Kostenbeteiligung der Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen (Zuzahlungen, die später wieder abgeschaffte Praxisgebühr), eine Kürzung des Leistungskatalogs (Sterbegeld, Zahnersatz) sowie Veränderungen des Rechts der Leistungserbringung (Erleichterungen für Leistungserbringung im Rahmen der besonderen Versorgung gemäß § 140a SGB V; Angebot einer hausarztzentrierten Versorgung, § 73b SGB V; Erweiterung der Teilnahme von Krankenhäusern an der ambulanten Versorgung, § 116b SGB V; Teilnahme medizinischer Versorgungszentren an der Versorgung, § 95 Abs. 1 SGB V). Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26. März 2007[17] sind tief greifende Strukturveränderungen in der gesetzlichen wie auch in der privaten Krankenversicherung verbunden. Es wurde ein neuer Spitzenverband Bund der Krankenkassen geschaffen (§ 217a SGB V), und mit Wirkung vom 1. Januar 2009 ist der sog. „Gesundheitsfonds“ als neuer Weg der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 271 SGB V) entstanden. Es besteht nunmehr ferner eine (Kranken-)Versicherungspflicht für alle Personen mit Wohnsitz im Inland, verbunden mit einem Kontrahierungszwang der privaten Versicherungsunternehmen[18]. Das Tarifsystem der gesetzlichen Krankenversicherung wurde durch die Einführung sog. „Wahltarife“ verändert (§ 53 SGB V). Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15. Dezember 2008[19] wurde die Insolvenzfähigkeit aller Krankenkassen zum 1. Januar 2010 begründet. Weitere Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG)[20] und das Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz – GKV-FinG)[21] vom 22. Dezember 2010 zielen auf Kostendämpfung und mehr noch auf Einnahmenstabilisierung im Gesundheitswesen ab. Mit der Etablierung einkommensunabhängiger Zusatzbeiträge für Mitglieder bei angestrebter Fixierung der Arbeitgeberbeiträge wird dabei der Weg der grundsätzlich paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer verlassen. Mit dem Patientenrechtegesetz vom 20. Februar 2013[22] hat der Gesetzgeber in den §§ 630a bis 630h BGB den Behandlungsvertrag als neuen bürgerlichrechtlichen Vertragstyp kodifiziert (Rn 227). Präventionsleistungen und Palliativversorgung wurden 2015 durch das Präventionsgesetz (PrävG)[23] und das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG)[24] weiterentwickelt, durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 6. Mai 2019[25] sollen im Interesse der Patienten Abläufe verbessert werden, und durch das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG)[26] wird der Weg zu digitalen Gesundheitsanwendungen eingeschlagen. Eine Reihe von kurzfristigen Gesetzesänderungen erfolgte 2020 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie[27].

Sozialrecht

Подняться наверх