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21. Juni 1978

Die Schmach von Córdoba

Am 3. Juli 1866 kam die deutsche Reichsgründung einen entscheidenden Schritt voran. Im Deutschen Krieg trafen im tschechischen Dorf Sadowa die preußischen Truppen auf Österreich und Sachsen und landeten in der »Schlacht bei Königgrätz« einen verlustreichen, aber folgenreichen Sieg, der die Habsburgermonarchie außenpolitisch in die Enge trieb.

Dass sich die Niederlage von Königgrätz tief in das österreichische Bewusstsein eingrub, zeigt sich auch auf sportlicher Ebene, wo das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich bis heute ein besonders prekäres ist. Als bei der Fußball-WM 1954 das starke Österreich im Halbfinale gegen Deutschland mit 1:6 hilflos die Waffen streckte, saß das zwischen Innsbruck und Graz tief. Friedrich TorbergTorberg, Friedrich (Die Tante Jolesch), ein mit Wasser- und Fußball vertrauter Autor, sprach in kühnen Superlativen von einem »katastrophalsten Debakel«, von der »vernichtendsten Niederlage seit Königgrätz«. So blühte der Deutschland-Komplex der Österreicher damals kräftig auf. Nahrung hatte dieser bereits zwanzig Jahre zuvor erhalten, als Österreich bei der WM 1934 im Spiel um den dritten Platz 2:3 gegen Deutschland verlor – das besiegelte Ende des österreichischen »Wunderteams« um HidenHiden, Rudolf, GschweidlGschweidl, Friedrich »Fritz«, ZischekZischek, Karl, SchallSchall, Anton und »Mozart« Matthias SindelarSindelar, Matthias. Dieses hatte noch kurz zuvor auf geniale Weise den europäischen Fußball aufgemischt und Deutschland 1931 zwei herbe Niederlagen (0:6 und 0:5) bereitet. Dass ausgerechnet der deutsche Kraftfußball 1934 über die Leichtigkeit des (schon im Verfall begriffenen) »Wunderteams« obsiegte, schmerzte doppelt.

Siebenundvierzig Jahre lang musste das gebeutelte Österreich seit 1931 auf einen Sieg gegen Deutschland warten – bis es in der argentinischen Millionenstadt Córdoba, der »Stadt der Glocken«, zum großen, nein, zum größten Sieg kam. Im letzten Vorrundenspiel der zweiten Gruppe 2 traf das bereits ausgeschiedene Österreich auf Deutschland, das seinen Zenit längst überschritten hatte – unter der Leitung des Israeli Abraham KleinKlein, Abraham. Bald stand es in einer munteren Partie, an der sich Berti VogtsVogts, Hans-Hubert »Berti« in seinem letzten Länderspiel rege mit einem Eigentor beteiligte, 2:2. Zur »Schmach« gedieh das Spiel in der 87. Minute, als sich der Österreicher Hans KranklKrankl, Johann »Hans«, der schon den Führungstreffer zum 2:1 erzielt hatte, durchtankte und Sepp MaierMaier, Josef »Sepp« keine Chance ließ. Dass dieser den Sieg der Mannschaft von Helmut SenekowitschSenekowitsch, Helmut besiegelnde Augenblick derart stark in Erinnerung blieb, lag vor allem an der Reportage des Österreichers Edi Finger sen.Finger sen., Eduard »Edi« Dessen »Da kommt KranklKrankl, Johann »Hans« (…) in den Strafraum – Schuss … Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer’ narrisch! KranklKrankl, Johann »Hans« schießt ein – 3:2 für Österreich!« gehört zum kollektiven akustischen Gedächtnis Österreichs. Und auch die zu überstehenden Folgeminuten kosteten Edi FingerFinger sen., Eduard »Edi« viele Nerven. Beachtenswert blieb, dass FingerFinger sen., Eduard »Edi«, selbst in Momenten, da sich seine Stimme überschlug, nicht jede Contenance verlor und, wie es in Österreich Sitte und Anstand gebieten, Respekt vor akademischen Titeln bewahrte. KranklsKrankl, Johann »Hans« Siegtor löste zwar in der Reporterkabine heftigste Emotionen aus, doch auch der größte Kusseifer führte nicht dazu, dass Anreden unkorrekt verkürzt werden: »Meine Damen und Herrn, wir fall’n uns um den Hals, der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch, wir buss’ln uns ab.« Córdoba machte Edi FingerFinger sen., Eduard »Edi« zu einer der berühmtesten österreichischen Persönlichkeiten.

Der deutsche Berichterstatter Armin HauffeHauffe, Armin blieb, wer will es ihm verdenken, kühl und gelassen, konstatierte eine »absolute Überraschung«. Hansi MüllerMüller, Hans Peter »Hansi«, der nach der Halbzeit für Erich BeerBeer, Erich mit der »hohen Stirn« (Edi Finger) eingewechselt worden war, hielt fest, welche Atmosphäre später in der Kabine der Gedemütigten herrschte: »Eine gewisse Leere. Rolf RüssmannRüssmann, Rolf hat geweint, weil er sich vom Hans KranklKrankl, Johann »Hans« düpieren hat lassen. Die Enttäuschung war wahnsinnig groß. Wir fielen irgendwie in ein tiefes Loch. Ich kann mich noch an die Heimfahrt erinnern. Wir fuhren mit dem Bus von Córdoba zum Flughafen, und es lief die Kassette mit dem Titel Der Mann mit der Mütze geht nach Haus’ – gemeint war Helmut SchönSchön, Helmut. Das hat so richtig gepasst, wir hatten ja die Platte für die WM gemacht, und jetzt saß er vorne im Bus, der Helmut SchönSchön, Helmut, und wir fuhren wirklich nach Hause. Wir waren sehr frustriert.«

Der Ordnung halber sei angemerkt, dass die österreichische Geschichtsschreibung den Terminus »Schmach von Córdoba« nicht verwendet.

Als der Ball noch rund war

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