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24. Juni 1990

Rudi Völler und Frank Rijkaard schreiben (WM-)Geschichte – mit dem, wie Wissenschaftler sagen, Mailänder Spuck-Attentat

Man erinnert sich gern an die Fußballweltmeisterschaft in Italien, vor allem aus deutscher Perspektive. Allein schon weil es die Gastgeber verstanden, endlich einen vernünftigen, nicht peinlichen WM-Song zu platzieren. Edoardo BennatoBennato, Edoardo und Gianna NanniniNannini, Gianna sangen Notti magiche mit so schönen Zeilen wie »Notti magiche inseguendo un goal sotto il cielo di un’estate italiana«. Was schmerzhaft daran erinnerte, dass deutsche WM-Lieder von Peter AlexanderPeter Alexander und Michael SchanzeSchanze, Michael interpretiert wurden. Selbst ein Udo JürgensJürgens, Udo bekleckerte sich 1978 nicht mit Ruhm, als er die argentinische Militärjunta mit Buenos días, Argentina herzlich begrüßte.

Deutschland wurde am 8. Juli 1990 Weltmeister, gewiss, doch von allen deutschen Mannschaften, die sich mit diesem Titel schmücken durften, strahlt das neunziger Team am wenigsten Glanz aus. Zu viele Handwerker, zu wenig Esprit – und dazu im Endspiel ein schmeichelhafter Elfmeter, als der mexikanische Schiedsrichter Codesal MéndezCodesal Méndez, Edgardo auf ein Dahinsinken VöllersVöller, Rudolf »Rudi« reinfiel. BrehmeBrehme, Andreas »Andi«, Schuss, Tor, 1:0-Sieg, wir sehen es vor uns.

Überhaupt Rudi VöllerVöller, Rudolf »Rudi«: Mit ihm ist ein höchst unrühmliches Ereignis dieser WM verbunden, als es am 24. Juni zum ohnehin aufgeladenen Achtelfinale zwischen Deutschland und den Niederlanden kam. Kaum waren gut zwanzig Minuten vorüber, gab es kein emotionales Halten mehr. Frank RijkaardRijkaard, Frank und VöllerVöller, Rudolf »Rudi« gerieten aneinander, und dank des großen Kameraaufgebots bei dieser WM ist haarklein dokumentiert, was in diesem Moment geschah: Als sich RijkaardRijkaard, Frank unbeobachtet fühlte, feuerte er eine Spucksalve in VöllersVöller, Rudolf »Rudi« lockiges Haar.

Dieser nahm das mit großem, bewundernswertem Gleichmut auf, fand sich jedoch bald wieder im Konflikt mit RijkaardRijkaard, Frank und Torsteher van BreukelenVan Breukelen, Johannes »Hans«. RijkaardRijkaard, Frank zog VöllerVöller, Rudolf »Rudi« am Ohr, und mit einem Mal zückte der argentinische Schiedsrichter Juan Carlos LoustauLoustau, Juan Carlos Rot – verblüffenderweise für beide.

Auf dem Weg in die Kabine rundete RijkaardRijkaard, Frank das Geschehen ab und spuckte VöllerVöller, Rudolf »Rudi« erneut ins Haar. Aus allen Kameraeinstellungen geht hervor, wie reichhaltig die Spuckeladung des Niederländers war. An deutschen Spontanreaktionen mangelte es natürlich nicht: Am TV-Mikrophon ereiferten sich Karl-Heinz RummeniggeRummenigge, Karl-Heinz »Kalle« und Heribert FaßbenderFaßbender, Heribert, sprachen von »Skandal« und wollten Herrn LoustauLoustau, Juan Carlos in die »Pampas« zurückschicken. Was dieser ignorierte und so Zeuge wurde, wie Jürgen KlinsmannKlinsmann, Jürgen eines seiner besten Spiele zeigte und Deutschland mit 2:1 gewann.

Über das Spucken an und für sich und im Besonderen wurden nach den Mailänder Ereignissen vielfach nachgedacht. Die »Süddeutsche Zeitung« befragte den Sportpsychologen Hans-Georg RuppRupp, Hans-Georg, der im Spucken einen »Befreiungsakt« sah: »Wir haben es zu tun mit einer symbolischen Befreiung von Blockaden. In einer Situation, in der sich der Spieler als Versager fühlt, etwa nachdem er eine Torchance vergeben hat. Er spuckt, um zu zeigen: Es geht weiter, ich hab mein Rohr wieder freigelegt, beim nächsten Mal klappt es besser. Und das wird nicht heimlich gemacht, sondern richtig offen ausgelebt, damit die Galerie das auch merkt.« Das Spucken stellt, so RuppRupp, Hans-Georg, eine »symbolische Handlung« dar: »Mit dem Rausrotzen soll eine Botschaft vermittelt werden, eine Selbstermutigung: Ich bin nicht blockiert! Ich mach mir den Weg frei! Mit FreudFreud, Sigmund könnte man die Frustrations- und Aggressionshypothese anführen. Das heißt: Wenn ein Mensch sein Ziel nicht erreicht – hier: Stürmers Grundbedürfnis, ein Tor zu schießen –, dann führt dieses Versagenserlebnis zur Aggression. Ausspucken ist das Ventil dagegen.»

Der Jurist Bertram SchmittSchmitt, Bertram hingegen sah die Sache in seiner Schrift Körperverletzungen im Fußball. Eine kriminologische Studie über typische Erscheinungsformen und Konsequenzen für die Strafrechtsanwendung sowie über das Verhältnis der staatlichen Strafrechtspflege zur Strafgewalt der Verbände nüchterner und stufte das Anspucken als »typische Primitivreaktion« ein.

Ein Nachdenken lohnt die Frage, warum im Hallenfußball ein (Aus-)Spucken eher selten vorkommt. Mag es daran liegen, dass der Ekelfaktor hier noch größer ist, da die klebrige Flüssigkeit nicht schnell im Rasen oder in einem Haarschopf versickern kann?

Ein Wort noch zu Rudi VöllerVöller, Rudolf »Rudi«: Vorbildlich hat sich der Torjäger damals in Mailand verhalten und sich nicht zu gewöhnlichen Racheaktionen hinreißen lassen. Später als Trainer und Funktionär in Leverkusen entwickelte sich VöllerVöller, Rudolf »Rudi« nicht erfreulich: Wann immer er sich zu Schiedsrichterentscheidungen äußert, darf man mit maß- und meist grundloser Empörung rechnen, die von erstaunlich geringem Sachverstand getragen ist.

Als der Ball noch rund war

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