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25. Juni 1982

Tu du mir nichts, dann tu ich dir nichts oder: Deutschland und Österreich kommen weiter

Es ist die Zeit der Friedensbewegung, der Nachrüstungsdebatten, der Pershing-II-Raketen, der großen Bonner Hofgartendemonstration und der Frage, welches Drohpotenzial nötig ist, um die Großmächte USA und UDSSR in Schach zu halten. NicoleNicole gewinnt im englischen Harrogate den Grand Prix Eurovision de la Chanson mit ihrem lieblich-ehrlichen Appell Ein bisschen Frieden, und Hans HartzHartz, Hans, der Bonnie TylerTyler, Bonnie des deutschen Schlagers, zeigt mit Die weißen Tauben sind müde, woher der Zeitgeist weht.

Vielleicht waren es diese unterschwelligen Stimmungen, die sogar vor dem Fußball nicht haltmachten und mit »Granaten« und »Bomben« groß gewordene Stürmer plötzlich an ihrem Handwerk zweifeln ließen. So wie bei der WM 1982 im spanischen Gijón, als es zum letzten Spiel der Gruppe 2 kommt, ausgerechnet zwischen den Deutschen und den Österreichern, vier Jahre nach dem für die Ersteren so deprimierend verlaufenden WM-Ausscheiden in Argentinien (Córdoba!). Da – dieser Modus wurde nach der WM schnell geändert – das vorletzte Gruppenspiel (Algerien schlägt Chile) bereits beendet war, wussten Deutschland und Österreich genau, wie ihre Aufgabe, das gefahrlose Weiterkommen, am leichtesten zu lösen war: Deutschland musste das Spiel gewinnen, und Österreich durfte mit höchstens zwei Toren Unterschied verlieren.

Nach zehn Minuten war das Gewünschte erreicht: Horst HrubeschHrubesch, Horst brachte Deutschland in Führung, und kurz darauf beschlossen beide Teams, es mit diesem Ergebnis gut sein zu lassen. Man »verwaltete« es, mied konfliktreiche Strafraumsituationen und schob sich – einander wäre auch nicht gefahrvoller gewesen – den Ball in aller Gemütsruhe zu. So trugen alle Beteiligten, offenbar unterschwellig durch den Geist der Friedensbewegung beeinflusst, zur »Schande von Gijón« bei, die statt stürmischer Versuche, einen Treffer zu laden, zu einem Nichtangriffspakt führte. Folgerichtig blieb es beim 1:0; das Nachsehen hatten mal wieder die »Kleinen«, die tapferen Algerier, die Deutschland im ersten Gruppenspiel sensationell besiegt hatten. Die spanischen Stadionbesucher quittierten das Elend, indem sie weiße Taschentücher schwenkten.

Das Ballgeschiebe von Gijón mutete so zynisch an, dass selbst die gerne in nationaler Begeisterung schwelgenden TV-Reporter begriffen, dass hier nichts schönzureden war. Eberhard StanjekStanjek, Eberhard nannte das Geschehen »schändlich«; sein österreichischer Kollege Robert SeegerSeeger, Robert forderte – eine willentliche Quotensenkung heraufbeschwörend – die Zuschauer auf, ihre Fernsehgeräte auszuschalten, während sein Landsmann Manfred PayrhuberPayrhuber, Manfred mit der Prognose »Das Match wird zweifellos in die Geschichte eingehen« recht behalten sollte.

Die Akteure selbst sparten anfänglich mit Selbstkritik. »Ich weiß nicht, was man will: Wir sind qualifiziert«, beschied Hans KranklKrankl, Johann »Hans« patzig, wohingegen man auf deutscher Seite mal wieder alles dafür tat, um ein arrogantes Image zu hegen und zu pflegen. DFB-Präsident Hermann NeubergerNeuberger, Hermann und Trainer Jupp DerwallDerwall, Josef »Jupp« (»Das Resultat, das war der große Nenner«) schwadronierten vor sich hin, lenkten vom Gijóner Geschehen ab und zeigten auch im Nachhinein keinerlei Einsicht.

Wer wissen möchte, warum der deutsche Fußball in den achtziger Jahren trotz seiner Erfolge oft genug eine unansehnliche Zumutung war und keine innige Begeisterung auslöste, braucht nur »Gijón« zu sagen, und sofort ist alles Hässliche und Schmachvolle präsent. Erfolg ist nicht alles – manchmal stimmt dieser Satz. Ob es ohne die Friedensbewegung, Petra KellyKelly, Petra & Co. und ihr Bemühen, Frieden ohne Waffen zu schaffen, zu einem Stillhalteabkommen à la Gijón gekommen wäre, ist eine noch nicht ausreichend erforschte Fragestellung. Für Torwart Toni SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni«, der gegen Österreich sein Können vor allem beim Auffangen eines deutschen Einwurfs unter Beweis zu stellen hatte, zeitigte das ereignislose Spiel gegen Österreich schwerwiegende Folgen: Von der Friedfertigkeit zu Gijón offenbar genervt, entlud sich sein angestautes Aggressionspotenzial wenig später im Spiel gegen Frankreich, siehe den folgenden Eintrag. Zu viel Frieden kann eben auch Unheil hervorrufen.

Den souveränsten Umgang mit diesem düsteren Abend pflegte der Dichter Ror WolfWolf, Ror. Für seinen Zyklus von WM-Gedichten schrieb er eines mit dem Titel Neunzehnhundertzweiundachtzig. Es umfasst viele Strophen, bezeugt alles Mögliche, was beim Turnier in Spanien geschah – aber erwähnt das Herumgeeiere von Gijón mit keinem Wort. Darin zeigt sich die Wirkkraft von Literatur sehr anschaulich. Das Elend verschweigen kann das Elend besonders sichtbar machen.

Ein anderer Deutscher fiel bei dieser Weltmeisterschaft weniger durch unsportliches als durch ungeschicktes Verhalten auf: Schiedsrichter Walter EschweilerEschweiler, Walter, einer der kuriosen Figuren seines Metiers, kollidierte im Spiel Italien gegen Peru mit einem Spieler, stürzte zu Boden und legte – je nach Sicht der Dinge – einen Purzelbaum oder eine Rolle hin. Was erheiternd aussah, soll die im Auswärtigen Amt beschäftigten »Pfeife der Nation« jedoch einen Zahn gekostet haben. Trotzdem agierte er später als Werbeträger für das »fruchtige Kaubonbon Maoam« in einem denkwürdigen Spot, der Schiedsrichter und Fans im Dialog zeigt: »Wollt ihr Verlängerung? – Nein! – Wollt ihr Elfmeterschießen? – Nein! – Was wollt ihr denn? – Ma-o-am! Ma-o-am! Ma-o-am!« Ob Felix BrychBrych, Felix und Manuel GräfeGräfe, Manuel nach Karriereende Ähnliches hinbekommen werden?

Als der Ball noch rund war

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