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1 Schreckliche Erinnerungen

24. März 1965

Der Münzwurf zu Rotterdam

Sobald heutzutage ein Pokalspiel durch Elfmeterschießen entschieden wird, jammern die Ausgeschiedenen über die schreiende Ungerechtigkeit eines solchen Verfahrens. Von »Tennis-Ästhetik« (Helmut BöttigerBöttiger, Helmut) sei dieses Glücksspiel geprägt und habe mit Sport wenig zu tun. Wer so argumentiert, vergisst, dass das Elfmeterschießen und selbst das kurzzeitig praktizierte Golden Goal durchaus als gesellschaftlicher Fortschritt gewertet werden dürfen. Denn bis 1970 war es vorgesehen, dass, wenn auf dem Rasen partout keine Entscheidung fallen wollte, ein billiger Losentscheid, ja, ein Münzwurf gar über Ausscheiden und Weiterkommen richten sollte.

So haben Anhänger des 1. FC Köln den Europapokalwettbewerb der Landesmeister der Saison 1964/65 in bitterster Erinnerung. Im Viertelfinale trafen die Kölner, die zuvor die erste Bundesligaspielzeit als Meister beendet hatten, auf den favorisierten, von Legende Bill ShanklyShankly, William »Bill« betreuten FC Liverpool. Hin- und Rückspiel endeten jeweils torlos, sodass es – in Rotterdam auf neutralem Boden – zu einem Entscheidungsspiel kam. In diesem fielen endlich Tore, zuerst zwei für Liverpool, ehe die Kölner Karl-Heinz ThielenThielen, Karl-Heinz und Hannes LöhrLöhr, Johannes »Hannes« das Spiel drehten und für den Ausgleich sorgten. In der Verlängerung geschah nichts mehr, abgesehen davon, dass der – ziemlich unerfahrene – belgische Schiedsrichter Robert SchautSchaut, Robert einem Treffer von Heinz HornigHornig, Heinz rätselhafterweise die Anerkennung versagte.

Und so kam es, wozu es laut Reglement kommen musste: zum Wurf einer Münze, die allerdings keine Münze, sondern eine zweifarbige Holzscheibe war. Umringt von den Kapitänen YeatsYeats, Ronald »Ron« und SturmSturm, Hans »Hansi«, warf SchautSchaut, Robert das Objekt in die Höhe, doch zur Verblüffung von TV-Reporter Ernst HubertyHuberty, Ernst war der Bedarf an Wiederholungen und Verlängerungen immer noch nicht gedeckt: Die Scheibe blieb senkrecht im Rotterdamer Morast stecken. Erst der zweite Anlauf sorgte für klare, grausame Verhältnisse, für das Weiterkommen der Engländer um Roger HuntHunt, Roger und Gordon MilneMilne, Gordon.

Alle Sympathie, die man den Kölnern danach entgegenbrachte, half wenig: »Seit damals ist der Ausdruck ›Sieger der Herzen‹ für mich das schlimmste Schimpfwort« (Hannes LöhrLöhr, Johannes »Hannes«). Kölner, die die Demütigung seinerzeit erlebten, haben dieses Trauma bis heute nicht verarbeitet, zumal der Scheibenwurf womöglich eine glanzvolle Ära der Kölner beendete, bevor sie eigentlich begonnen hatte. Um die aufstrebenden OverathOverath, Wolfgang und WeberWeber, Wolfgang hatte sich ein Team gebildet, das zu größten Hoffnungen Anlass gab … und wer weiß, was geschehen wäre, hätten sie das Halbfinale, das Endspiel erreicht? Vielleicht wären die wie Real Madrid elegant weiß gekleideten Kölner zur bestimmenden Macht im deutschen Fußball herangereift. So schrieb eine blöde Holzscheibe Fußballgeschichte. Auch heute gilt, was Kölns Trainer Georg KnöpfleKnöpfle, Georg hinterher zu Protokoll gab: »Es ist einfach unfassbar.« Noch einmal übrigens, im November 1974, pfiff der Belgier SchautSchaut, Robert, der uns im Lauf der Jahre nicht angenehmer geworden war, ein internationales Spiel des 1. FC Köln, das UEFA-Cup-Achtelfinalhinspiel gegen Partizan Belgrad. Wieder verloren die Kölner, mit 0:1.

Als der Ball noch rund war

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