Читать книгу Als der Ball noch rund war - Rainer Moritz - Страница 12
Оглавление8. Juli 1982
Torwart Toni Schumacher zerstört die Erinnerung an ein glanzvolles Spiel
Eigentlich hat dieser Tag nichts unter den schrecklichen Erinnerungen zu suchen. Denn eigentlich war die »Nacht von Sevilla« ein prickelnder Fußballabend mit allen dramaturgischen Effekten, wie man sie liebt. Halbfinale der Fußball-WM, Frankreich gegen Deutschland. Nach einem 1:1 geht es in die Verlängerung, in der die bestens besetzte französische Elf alles klarzumachen scheint: TrésorTrésor, Marius und GiresseGiresse, Alain schießen eine 3:1-Führung heraus. Doch dank des eingewechselten Karl-Heinz RummeniggeRummenigge, Karl-Heinz »Kalle« kommen Jupp DerwallsDerwall, Josef »Jupp« Mannen zurück. RummeniggeRummenigge, Karl-Heinz »Kalle« selbst und Klaus FischerFischer, Klaus schaffen den Ausgleich, sodass das Elfmeterschießen, eine deutsche Spezialdisziplin, den Ausschlag geben muss. Und während auf deutscher Seite nur Uli StielikeStielike, Ulrich »Uli« scheitert, pariert Toni SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« zwei der französischen Strafstöße. Doch so erregend dieses Spiel war, so groß die Freude übers Weiterkommen: Insgeheim wussten alle Deutschen, dass SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Tor hätten stehen dürfen. In der 57. Minute war der kurz zuvor eingewechselte Patrick BattistonBattiston, Patrick auf SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« zugelaufen, hatte den Ball über diesen gelupft und wurde im gleichen Moment vom deutschen Torhüter mit Hüft- bzw. Knieeinsatz brutal niedergestreckt: Bewusstlosigkeit, angebrochener Halswirbel, ausgeschlagene Zähne, Kiefernbruch, Auswechslung – BattistonBattiston, Patrick war erledigt worden. Was alle ohne Zeitlupe sahen, sah einer nicht: der niederländische Schiedsrichter Charles CorverCorver, Charles, der das Spiel mit Abstoß fortsetzen ließ. Rot für SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« und Elfmeter für Frankreich wären die einzig richtigen Entscheidungen gewesen.
Ein Trauerspiel, das der unverständige SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« im Nachhinein noch trauriger machte. Dass er dem gebeutelten BattistonBattiston, Patrick die Jacketkronen zahlen wolle, wurde als sein Kommentar überliefert. Französische Medien sprachen von einem Attentat, von einem Dritten Weltkrieg. Das Feindbild des plump aggressiven Deutschen bediente SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« aufs Beste. Der Journalist und spätere Kurzzeit-DFB-Präsident Wolfgang NiersbachNiersbach, Wolfgang verfasste einen peinlich zu lesenden Spielbericht, zitierte SchumachersSchumacher, Harald Anton »Toni« »Es war wirklich keine Absicht« und sprach vom »klassischen K.o.« Battistons.
Leidtragender der Schumacher’schen Brutaloattacke wurde in gewisser Weise auch Klaus FischerFischer, Klaus, der in der 108. Minute nach Kopfballvorlage von HrubeschHrubesch, Horst durch einen seiner wunderbaren Fallrückzieher den 3:3-Ausgleich markierte. Dieser Treffer wurde später zum Tor des Jahres 1982 gekürt, doch ungetrübte Freude will darüber bis heute nicht aufkommen, dank SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni«. Große Gedanken scheint man sich beim DFB über seinen wildgewordenen Torhüter nicht gemacht zu haben; die Begeisterung überwog, und der unbekümmerte Pierre LittbarskiLittbarski, Pierre erzählte in der wichtigen Publikation Der Nationalmannschaft in den Kochtopf geguckt gern davon, wie die Mannschaft regenerierte: »Es ist ja viel darüber geredet worden, und so plaudere ich auch gar kein Geheimnis aus: Fußballspieler greifen in ihrer Freizeit auch oft zu den Karten. Es muss ja nicht immer Poker sein – Skat tut’s auch. Also: Auch in Spanien haben wir häufig Skat gespielt. Zum Beispiel nach dem Frankreichspiel, das vielleicht eines der besten Spiele der gesamten Weltmeisterschaft war und das wir erst nach Verlängerung und Elfmeterschießen gewinnen konnten. Ich gebe zu: Es wurde spät, sehr spät sogar. Der Grund oder die Erklärung: Wenn man so aufgekratzt ist, so aufgewühlt wie nach einer solchen Nervenschlacht, dann braucht man Ablenkung. So mischten Kalle RummeniggeRummenigge, Karl-Heinz »Kalle«, Paul BreitnerBreitner, Paul, Hansi MüllerMüller, Hans Peter »Hansi« und ich die Karten. Das Spiel ging hin und her, die Zeit verstrich, ich wurde schläfrig, die anderen hungrig. Sie bestellten Rühreier. Ich war schon fast im Bett, da riefen sie mich an, ob ich nicht auch noch Hunger hätte. Auf dem Tisch standen Rühreier aus vierzig Eiern, für jeden zehn. Wir haben sie verputzt. Morgens um halb sechs.«
Rührei, das hätte der zusammengetretene BattistonBattiston, Patrick zur Not zu sich nehmen können. SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« selbst wusste mit Eierspeisen wenig anzufangen und setzte andere Prioritäten: »Gulasch ist mein Leben.« Auch später fiel uns der Kölner Torwart nicht angenehm auf. 1987 veröffentlichte er seine wichtigtuerische, Enthüllungen versprechende Autobiographie Anpfiff. Es ging um Doping und das Sexleben der Fußballer, gerade während großer Turniere. SchumacherSchumacher, Harald Anton »Toni« sprach Klartext: »Wir sind nun mal keine Eunuchen. Warum nicht käufliche Schöne einladen, die unter medizinischer Kontrolle stehen? Der eine nähm sich eine Brünette, der andere steht auf Rothaarige. Man hätte die Gewissheit, dass die Mädchen ›clean‹ sind. Lieber organisierte ›Liebe‹ als zusehen, wie die Jungs in die nächstgelegene Stadt flüchten und sich in irgendeinem üblen Puff Tripper, Maul- und Klauenseuche holen.«
Keine Frage, es gibt bei einer WM vieles zu bedenken.