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6. Juni 1971

Ein Obsthändler erschüttert die Bundesliga in ihren Grundfesten

Es war schrecklich. Mein vom bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder geprägtes Leben geriet mit einem Mal in Schieflage. Was sich in den kommenden Jahren – Anschlag bei den Olympischen Spielen in München! Autofreier Sonntag! Deutscher Herbst! – kontinuierlich verschlimmern sollte. Die sorglosen Jahre schienen vorüber, sollten nicht wiederkehren. Zu den Konstanten, die mir schon in der Schulzeit wichtig waren, gehören die prickelnden Spannungsbögen, die der Fußball, vor allem der samstägliche Bundesligafußball, für mich bereithielt. Zwar zweifelte ich in früher Naivität daran, dass es, wenn die Helden BrunnenmeierBrunnenmeier, Rudolf »Rudi«, OverathOverath, Wolfgang oder Müller einmal in den Ruhestand träten, es der folgenden Generation ebenso gelänge, mich in Bann zu ziehen, doch bald merkte ich, dass die Gesetze der ewigen Wiederkehr von Frühling, Sommer, Herbst und Winter auch im Fußball galten.

Diese herrlichen Aussichten trübten sich abrupt ein, als der Bundesligaskandal hohe Wellen schlug, einen Tag nach Beendigung der Saison 1970/71. Der Präsident der gerade abgestiegenen Offenbacher Kickers, der Südfrüchtegroßhändler Horst-Gregorio CanellasCanellas, Horst-Gregorio, lud Wegbegleiter und Medienvertreter zu sich nach Hause ein, um seinen 50. Geburtstag zu feiern. Überraschenderweise schaltete er aber nicht einen Diaapparat, sondern ein Tonband ein – jedoch nicht, um zur Feier des Tages die neuesten Hits von Mary RoosRoos, Mary und Juliane WerdingWerding, Juliane abzuspielen. Nein, CanellasCanellas, Horst-Gregorio beabsichtigte, seinen Gästen mit Mitschnitten von dubiosen Telefonaten die Stimmung zu verhageln. Anhand dieser Gespräche nämlich ließ sich zweifelsfrei belegen, dass der Bundesligaabstieg verschoben worden war, dass reichlich Gelder angeboten und genommen wurden, dass Arminia Bielefeld und Hertha BSC Berlin nicht aufgrund ihrer Spielstärke die Klasse erhalten hatten.

Ich litt wie ein Hund unter diesen Enthüllungen. Mein Vater schaute resigniert zu Boden, konnte es ebenso wenig fassen, dass Lug und Trug die letzten Spieltage regiert hatten. Es war zum Verzweifeln – das, was den Fußball ausmacht, die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse wurde in Grund und Boden erschüttert. Wo Stürmer absichtlich Torchancen versieben und Torleute harmlose Schüsse durch die Finger rutschen lassen, ist das Prinzip des Spiels zerstört, ergibt es keinen Sinn mehr, seine Zeit damit zu vergeuden.

Das war das Ende des Fußballs, dachte ich, zumal sich bald herausstellte, dass über 50 Spieler involviert waren, dazu ein paar Trainer und Funktionäre. Und nicht irgendwelche Wald-und-Wiesen-Kicker, sondern Nationalspieler wie Bernd PatzkePatzke, Bernd, Klaus FischerFischer, Klaus, Rolf RüssmannRüssmann, Rolf, Klaus FichtelFichtel, Klaus und Reinhard LibudaLibuda, Reinhard. 18 Saisonspiele waren betroffen, zwei Millionen Mark an Bestechungs- und Schweigegeldern geflossen. Zu den Tätern zählte mein Torwartheld Manfred ManglitzManglitz, Manfred, der zuerst für den MSV Duisburg und dann vor allem, zwischen 1969 und 1971, für den 1. FC Köln den Kasten sauber hielt. Vergeblich hatte ich mich in dieser Zeit für den hochgewachsenen, eleganten ManglitzManglitz, Manfred stark gemacht und gefordert, dass er und nicht Sepp MaierMaier, Josef »Sepp« das deutsche Tor hütete – vergebens natürlich. Immerhin stand er im WM-Kader 1970. Und ausgerechnet mein ManglitzManglitz, Manfred hatte es besonders toll getrieben und unverblümt signalisiert, dass er ein paar Dinger reinlassen werde, wenn man ihn nicht mit Geld vom Gegenteil überzeugen würde.

Viele der Sünder wurden vom DFB lebenslang gesperrt und – warum eigentlich? – schon nach sehr kurzer Zeit wieder begnadigt. Geschadet hat es der Liga enorm; die Zuschauerzahlen gingen in der Folge rapide zurück. Verschobene, abgekartete Spiele wollte niemand sehen, dann lieber Halma oder Zoobesuch. Die BILD-Zeitung titelte: »Alarm! Bundesliga ist dem Untergang geweiht«. Auch mein Vater und ich gingen auf Distanz, kurzzeitig zumindest. Manfred ManglitzManglitz, Manfred, der gleich zweimal lebenslang aufgebrummt bekam, wurde 1974 begnadigt, spielte in der Folge für den FSV Gebäudereiniger Köln und den Zweiligaaufsteiger 1. FC Mülheim-Styrum, unter anderem bei dessen 6:1-Sieg gegen den Spandauer SV. Ein Tor für Styrum erzielte Holger OsieckOsieck, Holger, der später Teamchef BeckenbauerBeckenbauer, Franz assistierte. So hängt alles mit allem zusammen. Meine Mutter stammt, nebenbei bemerkt, aus Mülheim an der Ruhr, falls das von Interesse ist.

Als der Ball noch rund war

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