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Lernen ist mühsam

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„Schätzen Sie mal, wie alt ich bin!“ Die reife Dame strahlte mich herausfordernd an – und ich tappte wie ein Tölpel in die Falle. „65!“, antwortete ich ohne Umschweife. Oh, da hatte ich etwas gesagt ... Ihr Gesichtsausdruck verdunkelte sich wie der Sommerhimmel bei einem Gewitter. „Sie unverschämter Kerl“, donnerte sie los und fand kaum ein Ende. Das war vor vielen Jahren. Seither habe ich es mir verkniffen, je wieder das Alter einer Frau unbedacht nach Augenschein auszusprechen. Wenn überhaupt, greife ich bewusst ein Jahrzehnt unter den Schätzwert, Meist ernte ich dann ein dankbares Lächeln. Ich habe eben gelernt!

Irgendwann verschlug es mich in das Haus eines süddeutschen Pfarrers. Als Israelfreund hatte er einen Spruch in hebräischer Sprache im Hausflur, den ich halblaut las: „Bereschit bara elohim ...“ – „Oh, Sie können Hebräisch?“, lobte mich der Gastgeber. Ehe ich nachdachte, hörte ich mich eitel ein uneingeschränktes „Ja!“ antworten. Als wir ins Esszimmer kamen, wurde mir unheimlich. Da hingen noch mehr hebräische Schriftzitate. Und es kam, was ich befürchtete. „Lesen Sie doch mal ...“ mir gefror das Blut in den Adern. Es war seine holdselige Frau, die mich rettete. Ihr „Aber Hans, mer wellet doch jetzt esse!“ versetzte mich in eine jähe Gebetsstarre. Mehr als Bescheidenheit habe ich gelernt, Anweisungen zu befolgen.

Oder auch nicht. Gesetzt den Fall, die liebste aller Ehefrauen sagt mir, ob ich nach rechts oder links fahren soll, belebt das häufig unsere Ehe. Hat eine Straße nur eine Querstraße nach rechts und sie sagt „links“, dann weiß ich, dass sie eigentlich rechts meint. Geht aber eine Straße nach links und nach rechts ab, stehe ich vor einer echten Gewissensentscheidung. Fahre ich bei der Anweisung „links“ nach rechts ab, gelte ich als Zyniker, der ihr keine Lernfähigkeit zutraut. Spure ich mich tatsächlich nach links ein, dann hätte ich eigentlich wissen müssen, dass sie oft rechts sagt, wenn sie links meint. Ich werde das vermutlich nie kapieren.

Während einer Freizeit beschloss der Leiter mit einem Ehepaar fortgeschrittenen Semesters gemeinsam Kanu zu fahren. Sollte das junge Volk sich die anderen Kanus teilen. Sie jedenfalls wollten es ruhig und vor allem trocken angehen lassen. Vermutlich werden Sie schon ahnen, wer zuerst kopfüber im nassen Element planschte: jene begnadeten Drei. Bei der Weiterfahrt rezitierten sie feucht, aber fröhlich die Moral von der Geschicht: „Alter schützt vor Torheit nicht.“

Wie das Leben so schräg spielt

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