Читать книгу Wie das Leben so schräg spielt - Ralf Mühe - Страница 20
Hören und staunen
Оглавление„Kommst du oder kommst du nicht?“ Die Frau, die so fragte, redete mit ihrem Boxerrüden. Ich war gespannt, wie die einfache Kreatur darauf antworten würde. Nur mühsam verkniff ich mir den Hinweis, dass der Hund die Frage rein rhetorisch aufgefasst haben könnte, denn er reagierte nicht. Stattdessen schnüffelte er ungerührt weiter nach dem Motto: nächste Frage!
Wie viele unterschiedliche Wörter brauchen wir für eine Unterhaltung? Ich behaupte, drei. Tatsächlich wurde ich Zeuge eines Gespräches, das diese pralle Summe nicht überschritt. Die Unterhaltung fand auf der Weg zur Arbeit statt, von einer Straßenseite zur anderen hinweg. Dabei faszinierte mich auch, welche Freiräume die Männer für Interpretationen ließen. Sie wissen schon: Das sind jene Gedankenergüsse, wie sie rächtschreibeschwachen Abbituhrienten oft abverlangt werden.
A sieht B und erkundigt sich wortreich: „Wie?“
B lenkt bescheiden von sich ab und fragt zurück: „Wie?“
A bleibt hartnäckig: „Gut?“
B gibt endlich sein Befinden preis: „Gut!“
A folgert erleichtert: „Alla!“
B kontert gewohnt ausdrucksstark: „Alla!“
Alla ist bei Pfälzern eine Art Schlussformel, deren jeweilige Bedeutung man nur intuitiv erfassen, aber nie erlernen kann. Sie lässt sich mit dem „Amen“ beim Gebet vergleichen.
Ein weiteres Hörerlebnis stammt aus Berlin. Ein Junge erzählt seinem Vater, dass er mit seinem Freund gerauft habe, und bringt es auf den Punkt: „Mal war ick unten, mal war er oben.“ Das ist doch ausgleichende Gerechtigkeit!
Wer zuhört, verlernt nie das Staunen. Wer es nicht tut, weiß bald, was es heißt, wenn einem die Sinne schwinden und der Schweiß mit Urgewalt aus allen Poren tritt. Ich weiß, wovon ich rede denn irgendwann geriet ich an einen Großmeister der langen Rede. Seine hohe Wortdichte ließ von meiner Seite nur ein gelegentliches Ja oder Nein zu. Bald klinkte ich mich innerlich aus und nickte nur noch. Leider einmal an der falschen Stelle und dazu noch mit einem völlig überflüssigen „Na klar!“. Was mir entgangen war: Mein Gegenüber wollte von mir wissen, ob auch ich ihn für einen ausgemachten Trottel hielte ... Nun hatte ich reichlich Gelegenheit zum Reden, wo ich doch lieber geschwiegen hätte!