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KAPITEL 13 - DAS VERSPRECHEN
ОглавлениеSCHWENNINGEN, 30. Juli 1914, 10.00 Uhr. „Ich beeile mich, Herr Lehrer”, versprach Schuster Nutz und rieb sich geschäftstüchtig die abgearbeiteten Hände. „Sie sind aber nicht der Einzige, der gerade neue Stiefel will. Das wissen Sie schon!” Er wandte sich wieder der Lederstanze zu, mit der er seine Schuhsohlen zu fertigen pflegte.
„Das weiß ich schon”, brummte Christian. „Dafür zahle ich ja auch gut.”
„Für elf Mark kriegen Sie nirgends in Schwenningen bessere Stiefel,” prahlte Nutz. „Mein Heinrich bringt sie Ihnen morgen vorbei, Herr Lehrer. Gleich, wenn ich sie fertig habe. Wenn ich das verspreche, können Sie sich darauf verlassen.”
Christian nickte und verließ den kleinen Laden des Handwerkers auf dem Sturmbühl. Wenn sich der Meister sputete, würde er pro Tag zwei Paar Stiefel fertigen können, drei Paar vielleicht, wenn er bis tief in die Nacht hinein arbeitete. Nun, es sollte sich für den Schuhmacher lohnen. Christian rechnete täglich mit dem Mobilmachungsbefehl. Dann würde auch er einrücken müssen. Und gutes Schuhwerk benötigen. Er dachte zurück an seine Militärzeit in Stuttgart. Sämtliche Lehrer des Bataillons waren in einer Stube untergebracht worden. Exerziert hatten sie auf dem Canstatter Wasen, im Degerloch und auf dem Exerzierplatz am Weissenhof.
Im Vergleichsschießen mit den anderen Kompanien hatte die seine einen Sieg errungen, wenngleich Christian als mäßiger Schütze nicht viel dazu hatte beitragen können. 1912 war er als Unteroffiziersaspirant entlassen worden. Der Bataillonskommandeur hatte beim Schlussappell eine flammende Rede gehalten, von Treue, Tapferkeit und von Vaterlandsliebe. Die Einzelheiten hatte Christian schnell wieder vergessen, nicht aber, dass es sich mit guten Stiefeln besser marschiert.
Heute stand es in der „Neckarquelle”: Der betagte österreichische Kaiser Franz Joseph hatte Serbien den Krieg erklärt. Nun war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Russen reagieren würden und ein Krieg ausbrach. Bereits als Österreich-Ungarn von den Serben in seiner Berchthold-Note gefordert hatte, bei der Untersuchung des Attentats in Belgrad österreichische Beamte zuzulassen, hatte Christian eine schicksalhafte Wendung der Krise im Juli befürchtet. Er machte sich keine Illusionen: Wie die meisten waffenfähigen Männer würde auch er schnell einberufen werden. Blieb die Hoffnung, dass es ein schneller Waffengang werden würde, wie man im Allgemeinen annahm. Womöglich würde schon nach ein paar Wochen alles vorbei sein.
Er zog seine Jacke aus und legte sie über die Schulter. Als er durch die Römerstraße schlenderte, stand die Sonne hoch am Himmel, kein Wölkchen war zu sehen. Er lockerte den Schlips und beschleunigte seinen Schritt, um pünktlich da zu sein. Für zwölf Uhr hatte er sich mit Katharina am Hölzlekönig verabredet.
Sie wartete schon, als er die Riesentanne erreichte, ein Wahrzeichen der Uhrenstadt und beliebter Treffpunkt junger Paare. Sie begrüßten sich zärtlich. Katharina hakte sich bei Christian unter: „Lass uns ein Stück gehen.” Er küsste sie. Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinander her.
Dann sagte sie: „Es wird Krieg geben, nicht wahr?”
Christian nickte. „Ich glaube schon. Ja. In den nächsten Tagen wird es zur Mobilmachung kommen.”
„Du wirst auch gehen müssen?”
Er nickte wieder. „Ich fürchte schon, Katharina. Das Vaterland wird jeden Mann brauchen und für mich keine Ausnahme machen. Weißt du, sie wollen einen schnellen Sieg erringen.”
„Ausgerechnet jetzt ... ich will dich nicht gehen lassen.”
„Ich würde liebend gerne bei dir bleiben.”
„Aber was ist mit unseren Schülern, wenn die Lehrer in den Krieg ziehen müssen?” Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie blieb stehen, ergriff seine Hand und schaute in sein Gesicht.
„Ich weiß es auch nicht, Katharina. Die älteren Schüler werden ebenfalls zum Militär gehen. Und die jüngeren werden meine älteren Kollegen unterrichten, die zum Kriegsdienst nicht mehr taugen.”
„Oh Gott”, seufzte Katharina. „Und was soll aus den Kindern werden, die in einem Krieg ihre Väter verlieren? Was soll aus den Frauen werden, deren Männer nicht wieder heimkommen? Und was soll aus mir werden, wenn dir im Krieg etwas zustößt?”
Christian sagte nichts. Er drückte sie an sich.
„Ich will nicht, dass du gehst.”
„Ich will auch nicht gehen. Aber ich werde gehen müssen, mein Liebling.”
Sie löste sich von ihm. Schweigend gingen sie weiter. Er legte seinen Arm um sie. Katharina wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht.
„Wir sind nicht die Einzigen, denen es so ergeht. Ein Krieg reißt viele Paare auseinander.”
„Soll mir das ein Trost sein? – Ich möchte dich nicht mehr hergeben, Christian. Ich will dich nicht verlieren.”
„Du wirst mich nicht verlieren. Ich komme wieder heim zu dir.”
Sie blickte zu ihm auf. „Versprich’ es mir!”
Christian schluckte. „Ich verspreche es dir, Katharina. Ich verspreche es. Und wenn ich wieder da bin, möchte ich, dass du meine Frau wirst.”