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KAPITEL 17 - DER FRANZOS’ RENNT

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SCHWENNINGEN, 3. August 1914, 9.44 Uhr. Auf dem Weg zum Bahnhof hatte Paul nur wenig gesprochen. Nun, nach der Begegnung mit dem „Bahnle”, der auf seine Uniformknöpfe ganz offensichtlich keinen Appetit zu verspüren schien, hatte sich seine Laune etwas gebessert. „Krieg hin, Krieg her – sieh es doch mal positiv”, versuchte er Georg zum Lachen zu bringen. „Wir sind heute Ehrengäste der Reichsbahn. Bist du schon jemals umsonst Zug gefahren? Ich jedenfalls nicht.” Paul ließ sich von der seltsam euphorischen Stimmung anstecken, wie die meisten Männer in den feldgrauen Röcken, die auf ihre Abfahrt warteten. Viele hatten ihre Angehörigen mitgebracht: Frauen, Kinder, Eltern. Hansjörg Jauch und eine Handvoll seiner Parteifreunde von der SPD waren auch da. Sie drückten den Leuten, die auf dem Bahnhofsvorplatz standen, Flugblätter in die Hand, auf denen sie den Krieg verurteilten und als falsch bezeichneten.

„Pah, diese Sozis!”, knurrte Paul verächtlich, zerknüllte den Handzettel und warf ihn kopfschüttelnd zu Boden. „Vaterlandslose Gesellen. Georg, ich hätte dich im ‘Waldhorn’ nicht aufhalten dürfen. Wir hätten ihnen doch eine richtige Abreibung verpassen sollen.”

Georg machte sich an seinem Tornister zu schaffen. Es hatte zwar gut getan, Wehler mal richtig die Meinung zu geigen. Doch was ihnen nun bevorstand, wollte ihm nicht so recht schmecken. Im Gegensatz zu Paul war ihm jegliche gute Laune abhanden gekommen. Er wagte es nicht auszusprechen – doch hatten die Kriegsgegner nicht etwa ein Stück weit recht?

„Ich sehe diesen Krieg aber nicht positiv”, gab er trotzig zurück. „Die scheinen hier alle zu glauben, dass uns ein Spaziergang bevorsteht.”

„Mensch Georg, das wird auch nicht viel mehr werden als ein Spaziergang!” Paul knuffte ihn in die Seite. „Der Siebziger-Krieg war auch eine klare Angelegenheit. Wir sind Deutsche! Wir marschieren, der Franzos’ rennt. So ist das! Wir gehen dort rein und wieder raus und lassen uns danach das Eiserne Kreuz an die Brust heften.”

„Los, stellt euch auf! Alle Männer, die nach Ulm fahren, in Reihe aufstellen!”, dröhnte eine laute Stimme über den Vorplatz.

„Das ist doch der Haber, der Oberlehrer”, wunderte sich Georg.

„Tatsächlich”, staunte Paul. „Heute aber nicht als Oberlehrer, sondern als Oberleutnant.”

Adelbert Haber, so schien es, war der ranghöchste Schwenninger, der sich an diesem Tag anschickte, dem Befehl des Kaisers zu folgen. Als würde er seinen Pennälern an der Realschule Anweisungen geben, dirigierte der stattliche Mittvierziger nun die Reservisten in Reih’ und Glied. Georg, der schon fürchtete, Haber wolle die Männer erst einmal auf dem Bahnhofsvorplatz exerzieren lassen, erkannte nun den Grund für die Ambitionen des Reserveoffiziers: Ein Fotograf, der seine Kamera auf einem Dreibein aufgerichtet hatte, wollte die Soldaten auf Platte bannen. Neben ihm stand ein untersetzter Mann mit schütterem Haar und freundlichem Gesicht, dieser Reporter: Seiz. Georg hatte ihn schon ein paar Mal bei Konzerten der Eintracht gesehen. Katharina hatte ihn dorthin mitgenommen, weil ihr Bruder bei der Eintracht Bariton sang.

Katharina. In diesem Augenblick sah er sie. Sie stand in ihrem lila Kleid auf der anderen Seite der Bismarckstraße.

„Komm, du Träumer. Das Bild ist im Kasten.” Paul gab ihm einen Schubs. „Wartest du drauf, dass einer dein Gepäck mitnimmt? Vorsicht, sonst musst du zum Schluss noch hier bleiben ...”

Georg hätte in diesem Augenblick nichts lieber getan als das. Sie sah hinreißend aus. Das lange dunkle Haar fiel ihr weich über die Schultern, und ihr Lächeln war süß wie eh und je. In diesem Moment trat ein Soldat auf sie zu, ein hochgewachsener, schlanker junger Mann, und legte den Arm um sie. Dieser Lehrer!

Paul zog seinen Freund am Arm. Auch er hatte Georgs Verflossene bemerkt. „Komm, lass’ sie.”

„Der Teufel soll diesen verdammten Schulmeister holen”, knurrte Georg. Er konnte seinen Blick einfach nicht von ihr losreißen.

„Los, das Vaterland ruft. Andere Mütter haben auch schöne Töchter.”

„Oh Mann! Wir oft habe ich diesen Spruch schon gehört. Du hast wirklich gut reden.”

Georg wandte sich ab und folgte Paul zu der Stelle, wo sie ihr Marschgepäck abgestellt hatten. Sie schnallten die Tornister auf und schlenderten Richtung Bahnsteig, wo die Dampflok heranschnaufte. Jetzt war es so weit: Sie zogen in den Krieg.

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