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KAPITEL 6 - EINE BÖSE ÜBERRASCHUNG
ОглавлениеKIEL, 28. Juni 1914, 16.05 Uhr. „Deutsch vom Kiel bis zum Flaggenknopf!” Kaiser Wilhelm II. strich beinahe zärtlich über das Holz des Segelmasts. Die „Meteor V” war der ganze Stolz des Monarchen. Max Oertz hatte sich wirklich selbst übertroffen. Mit dieser Jacht, wahrlich eines Kaisers würdig und erst vor wenigen Wochen fertiggestellt, würde er Krupp in Grund und Boden segeln. Bei dieser Vorstellung zuckten die Bartspitzen des Kaisers – er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach war sein großer Rivale auf dem Wasser. Oft, zu oft, wie Wilhelm fand, hatte ihn der Industrielle mit seiner „Germania” abgehängt. Was für einen fanatischen Segler, vor allem aber für einen deutschen Kaiser, völlig inakzeptabel war. So war ihm mit Oertz der Beste unter den deutschen Schiffsbauern gerade gut genug erschienen, für ihn ein neues, ein schnelleres Schiff zu bauen. Noch schneller als die „Germania”, die eben dieser Oertz höchstselbst für Krupp gebaut hatte.
Das Signal der Barkasse „Hulda”, die längsseits kam, riss Wilhelm aus seinen angenehmen Gedanken an das bevorstehende Rennen gegen Krupp. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, die Vorbereitung der „Meteor” auf die Kieler Segelregatta persönlich zu beaufsichtigen und war über die offensichtliche Störung keineswegs erfreut. Ein Mann in Admiralsuniform stand am Bug der Barkasse – Wilhelm Müller. Dem Kaiser schwante nichts Gutes. Wenn sich der Chef des Reichsmarinekabinetts persönlich herbeibemühte, musste er wichtige Nachrichten für ihn haben. Müller salutierte. „Kaiserliche Hoheit”, rief er Wilhelm zu, „ich habe Neuigkeiten. Wenn auch keine guten.”
„Es muss dringend sein, wenn Ihr mich von den Vorbereitungen für die Regatta abhaltet, Admiral”, knurrte Wilhelm den hohen Flottenoffizier an. „Ihr wisst doch, was für mich in diesen Tagen hier in der Förde auf dem Spiel steht! – Es geht bei der Kieler Woche um nichts Geringeres als um meine Ehre. Ich will damit sagen: um die Ehre des Deutschen Reichs.”
„Sehr wohl, Kaiserliche Hoheit! Das ist mir voll bewusst.” Müller, der insgeheim mit Krupp sympathisierte, machte einen tiefen Bückling. „Ihr solltet allerdings wissen, dass sich vor wenigen Stunden in Sarajewo Schreckliches zugetragen hat.”
„In Sarajewo?”
„Jawohl, Majestät!”
„Ist dort nicht gerade FF zu Besuch?”
„Das ist richtig, Majestät”, antwortete Müller. „Nun, ich muss Euch eine traurige Nachricht überbringen. Ich muss mitteilen, dass Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet worden sind.”
Wilhelm erbleichte. „Ermordet?”, murmelte er ungläubig und krallte die Rechte um die Reling. Erst wenige Tage zuvor hatte er den österreichisch-ungarischen Thronfolger und dessen Frau Sophie noch auf deren Landsitz im tschechischen Konopischt besucht. Sie hatten miteinander geplaudert und miteinander gelacht. Als deutscher Kaiser pflegte er ein enges Verhältnis zu den Habsburgern. Er war schockiert.
„Was genau ist da geschehen, Müller?”, bellte er den Marineoffizier an, um Fassung ringend. „Wer tut so etwas Schändliches?”
„Wir kennen noch keine Einzelheiten, Hoheit. Wien hat uns lediglich ein Telegramm geschickt, aus dem hervorgeht, dass es Terroristen waren. Sie haben das Thronfolgerpaar offenbar erschossen, als es durch die Stadt fuhr.”
„Wann ist das passiert?”
Müller zog seine Uhr aus der Tasche des Uniformrocks und ließ den Deckel aufspringen. „Vor etwas mehr als fünf Stunden, Hoheit.”
Wilhelm rang sichtlich um Fassung. „Das ist wirklich unglaublich”, murmelte er. „Eine Katastrophe. Holt meinen Bruder herbei. Wir müssen uns sofort besprechen.”
Eine Viertelstunde später saßen sie in der Kabine der „Meteor”. Prinz Heinrich von Preußen steckte sich eine Zigarette an. Er war ein starker Raucher. Wilhelms jüngerer Bruder war Großadmiral und Generalinspekteur der Marine, ein umsichtiger, bei seinen Männern sehr beliebter Flottenkommandeur. „Das ist ein starkes Stück”, sagte er betroffen und sog den Tabakrauch tief in die Lunge.
„Das ist eine Angelegenheit von beträchtlicher politischer Tragweite”, warf Müller ein und handelte sich damit einen strafenden Blick des Kaisers ein.
„Der Admiral hat Recht. Du solltest sofort zurück nach Berlin, Wilhelm”, meinte Heinrich. „Du bist der deutsche Kaiser und der wichtigste Verbündete der Österreicher. Daher solltest du die Sache selber in die Hand nehmen. Hier geht es, so scheint mir, um nicht mehr und nicht weniger als den Frieden in Europa.”
„Das weiß ich auch”, presste der Kaiser ärgerlich hervor. Das konnte einfach nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt, wo er endlich ein Schiff hatte, schnell genug, um Krupp um Längen zu schlagen, ließ sich der Habsburger von irgendwelchen serbischen Handlangern das Lebenslicht ausblasen.
„Es hat doch Warnungen gegeben?”, murrte er. „Warum hat er sie nicht beachtet?”
„Das wird nur der Erzherzog allein gewusst haben”, antwortete Heinrich. Die Brüder wussten, dass „FF”, wie sie ihn nannten, seine Augen und Ohren überall gehabt hatte. Franz Ferdinand hatte zu Lebzeiten über ein dichtes Netz von Informanten und Zuträgern verfügt.
„Es ist schon schade um ihn”, seufzte Wilhelm. „Er war ein guter Kerl, wenn er nicht gerade auf der Pirsch war.”
Heinrich musste unweigerlich lächeln, obwohl ihm in Anbetracht der ernsten Lage gar nicht danach zumute war. „Da hast du Recht, Bruder!”
Wilhelm hatte den Nagel tatsächlich auf den Kopf getroffen. Franz Ferdinand war berüchtigt gewesen für seine geradezu manische Jagdleidenschaft. Den Kaiserneffen einen „passionierten Jäger” zu nennen, wäre hoffnungslos untertrieben gewesen. Er hatte schlichtweg alles abgeknallt, was ihm vor die Flinte gekommen war, zigtausend Tiere aller Arten. Eine derart übersteigerte Liebe zum Waidwerk und eine damit verbundene Freude am Töten, wie sie der Habsburger zu Lebzeiten empfunden hatte, war dem begeisterten Segler Wilhelm stets äußerst suspekt erschienen.
Der Kaiser grübelte. „Ich weiß nicht, ob es tatsächlich etwas bringt, wenn ich nun nach Berlin zurückkehre”, sagte er mehr zu sich selbst. „Immerhin geht es hier in Kiel um nicht mehr und nicht weniger als um die guten deutsch-britischen Beziehungen. Andererseits ...”
Wilhelm hatte gute Erinnerungen an die Ankunft der Royal Navy vor Wochenfrist in Kiel. Just an diesem Tag, als das englische Geschwader eingelaufen war, hatte er mit der „Meteor” eine Elbregatta gewonnen und damit den Beweis geliefert, dass er auf die Wettfahrt mit Krupp bestens vorbereitet war. Die Engländer hatten Kiel einen Höflichkeitsbesuch abgestattet, den die Presse als „sichtbares Zeichen der beginnenden und erwünschten deutsch-englischen Annäherung” feierte. Wilhelm hatte sogar kurzfristig mit dem Gedanken gespielt, als Geste des guten Willens den Ersten Lord der Admiralität Winston Churchill einzuladen, hatte es schließlich aber doch lieber sein lassen.
Er räusperte sich. „Was meinen Sie, Müller? Sollen wir das Race hier abbrechen?”
„Eure Kaiserliche Hoheit, ich meine, dass diese Maßnahme, die Eure Hoheit vorschlagen, geboten wäre. Auch die Diner-Einladungen zum Abend müssten meiner Ansicht nach abgesagt werden”, antwortete der Admiral mit leiser Stimme. Er wusste sehr wohl, dass sein Kaiser gerne etwas anderes von ihm gehört hätte.
Prinz Heinrich nickte zustimmend.
Wilhelm seufzte tief. „Nun denn”, meinte er schließlich. „Dann war es das hier eben.”
Am nächsten Morgen reiste er per Bahn zurück nach Potsdam, wo ihn bereits sein Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg erwartete.