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KAPITEL 14 - SCHLECHTE NACHRICHTEN

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SCHWENNINGEN, 1. August 1914, 4.23 Uhr. „Emil, steh’ auf und komm an die Tür, schnell.”

Emil Seiz seufzte und drehte sich auf die andere Seite. „Emil, der Herr Ratschreiber lässt dir Bescheid geben. Emil, wach auf, wach endlich auf. Draußen an der Tür wartet der Amtsbote. Wir ziehen in den Krieg!” Marthas Stimme klang ungehalten.

Mit einem Mal war Seiz hellwach. Wie üblich war der Redakteur tags zuvor erst spät von der Arbeit nach Hause gekommen. Er hatte sich noch ein Viertel Roten genehmigt und war dann, müde von einem langen Arbeitstag, ins Bett gefallen. Seiz hatte geschlafen wie ein Murmeltier. Denn er hatte viel Arbeit gehabt. Die Ereignisse des gestrigen Freitags hatten sich überschlagen: Nach über vier Wochen Nervenkrieg seit dem Attentat auf Franz Ferdinand und dessen Frau hatte die Donaumonarchie Österreich-Ungarn den Serben doch noch den Krieg erklärt. Daraufhin waren die Russen ihrem Bündnispartner auf dem Balkan sofort beigesprungen und hatten die Vollmobilisierung verkündet. Seiz hatte ein Extrablatt zu diesen Ereignissen herausgebracht, um seine Schwenninger Leser aktuell über die ungute Entwicklung zu informieren.

Tief und traumlos hatte er geruht, bis der nächtliche Besucher an die Tür geklopft hatte. Seiz hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Er wohnte in der Bismarckstraße, ganz in der Nähe des Verlagshauses, das er vor vier Jahren von seinem Schwiegervater Hermann Kuhn übernommen hatte. Er verfügte über lange Erfahrung als Berichterstatter und einen untrüglichen politischen Instinkt. Daher hatte er auch gleich in Betracht gezogen, dass die Deutschen in diesen Krieg eintreten würden, der da heraufzog. Und nun sollte es also so weit sein. Der österreichische Kaiser hatte lange gezaudert, doch jetzt nahm das Schicksal seinen Lauf.

„Krieg?”, brummte er und schielte auf den Wecker, der auf seinem Nachtschrank neben dem Bett tickte. „Ausgerechnet früh um halb fünf? – Den ganzen Juli über haben die Herrschaften Zeit gehabt, ihren Krieg anzuzetteln. Und dann muss es ausgerechnet mitten in der Nacht sein,” grummelte Seiz, während er rasch in die Hosenbeine stieg, die Hosenträger überstreifte und das Hemd zuknöpfte.

Er hatte seine Kleidung griffbereit über die Lehne des Stuhls gehängt, den er am Kopfende des Betts stehen hatte. Seiz hatte damit gerechnet, dass es zur Kriegserklärung des Deutschen Reichs gegen Russland in dieser oder einer der folgenden Nächte kommen würde. Als Zeitungsmann hatte er schon so einiges erlebt, und er hätte den besten Tropfen in seinem Keller gegen eine Flasche Tafelwasser gewettet, dass es bald losgehen würde. Eilig zog er die Jacke über.

„Komm Emil, der Mann wartet auf dich”, drängte ihn Martha.

„Bin schon weg”, antwortete Seiz, nahm den Hut vom Haken und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Tut mir leid, Herr Redakteur”, entschuldigte sich der Amtsbote, der von einem Fuß auf den anderen trat. „Der Ratsschreiber Kohler hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es wichtig ist. Das Stadtschultheißenamt hat vor einer halben Stunde vom Oberamt in Rottweil Mobilmachungsbescheid und Kriegsfahrplan telegrafiert bekommen.”

Der Amtsbote drückte dem Journalisten zwei maschinengeschriebene Blätter in die Hand, während die beiden Männer am „Kronprinzen” vorbei auf das Verlagshaus Hermann Kuhn, ein stattliches dreistöckiges Gebäude am Ende der Jakob-Kienzle-Straße, zusteuerten. Hier wurde die örtliche Zeitung produziert. Die „Neckarquelle” erschien im 35. Jahrgang und war das führende Blatt am Ort. Seiz arbeitete seit zehn Jahren hier und druckte täglich viertausend Zeitungen.

„Hast du schon die ‚Baarzeitung' informiert?”, wollte er vom Amtsboten wissen. Der schüttelte den Kopf. „Kannst dir auch Zeit lassen damit”, meinte Seiz und drückte dem Mann ein Markstück in die Hand. Ein zeitlicher Vorsprung vor dem neuen Wettbewerber würde nicht schaden. „Vorher gehst du mir auch noch in der Scharnhorststraße vorbei und weckst den Schlenker-Ernst. Er soll sofort herkommen. Und dann holst du den Eduard Ehemann aus dem Bett. Ich brauche hier Schriftsetzer und Drucker. Und zwar schnell.”

Seiz wusste, dass höchste Eile geboten war. Sie mussten den Schwenningern am Morgen ein Extrablatt präsentieren. Eines mit ziemlich schlechten Nachrichten, dachte Seiz bei sich. Und doch würden sie es unbedingt lesen wollen.

„Wenn später noch was passiert, ruft vom Stadtschultheißenamt am besten gleich bei uns in der Redaktion an. Die Telefonnummer ist die 17!”, rief Seiz dem Amtsboten hinterher. „Die Siebzehn!” Der Mann drehte sich noch einmal kurz um und hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Sobald er mit dem Schriftsetzer und dem Drucker zurückkehren würde, würde ihm Seiz eine weitere Mark geben. Diese Prämie wollte der Mann sich keinesfalls entgehen lassen. Er sputete sich. Eine halbe Stunde später klimperte die Münze in seiner Hosentasche.

„Komm, Ernst”, rief Seiz und krempelte die Hemdsärmel hoch. „Wir sollten keine Zeit verlieren. Fang’ gleich mit Setzen an. Wir müssen das Blatt bis zum Morgen unbedingt rausbringen. Eine solche Nachricht dürfen die Leute nicht verspätet erfahren.”

Ernst Schlenker nickte und verschwand in der Bleisatzgasse. Er war ein versierter Setzer und schaffte von Hand immerhin an die tausenddreihundert Zeichen pro Stunde. Natürlich hatten sie auch schon Setzmaschinen, die bei der Produktion regulärer Ausgaben zum Einsatz kamen. Aber das zweiseitige Extrablatt zum Kriegsausbruch würden sie im Handsatz wirtschaftlicher produzieren.

Schlenker bediente sich aus den vier großen Steckschriftschränken mit über zweihundert Schubladen, gefüllt mit Lettern, die man für die großen Schriften benötigte. Er hatte einmal ausgerechnet, dass hier über drei Tonnen Bleibuchstaben lagerten. Auf der anderen Seite der Gasse standen die Schränke mit den Brotschrift-Setzkästen, in denen die kleineren Schriftgrößen aufbewahrt wurden, mit denen die Schriftsetzer die Grundschrift gestalteten. Seiz beobachtete zufrieden, wie geschickt Schlenker im Setzkasten spiegelverkehrte Worte und Sätze bildete.

„Emil, wir haben ein Problem!” Eduard Ehemann, der Faktor, stand im Türrahmen und kratzte sich am Kopf. „An der Dampfmaschine ist der Treibriemen ist gerissen ...”

„Schon wieder?” – Das Gesicht des Redakteurs verfärbte sich dunkelrot. „Was macht ihr nur immer mit dem Ding, Eduard? – Schau gefälligst, dass du es zum Laufen bringst. Die verschieben den Krieg nicht, weil wir nicht rechtzeitig mit unserem Blatt rauskommen.”

Die neue Flachdruckmaschine der „Neckarquelle” wurde von einer Dampfmaschine angetrieben, die dafür sorgte, dass Farbwalzen und Druckzylinder die Buchstaben auf die Papierbögen zauberten. Im vergangenen Jahr hatte Emil Seiz die Heureka-Flachform-Rotation gekauft. Diese Anlage war sein ganzer Stolz und in der Lage, die gesamte Zeitungsauflage in einer knappen Stunde zu drucken. Vorausgesetzt, die Dampfmaschine machte keine Mucken. Die „Heureka” war mit einem Trichter und einem Falzapparat-Zylinderteil ausgerüstet. Gespeist wurde sie mit Rollenpapier, das sie nach dem Druck in Bogen schnitt und mit Hilfe eines angeschlossenen Falzapparats in fertige, maximal achtseitige Zeitungsexemplare weiterverarbeitete.

Bisher war die Schwenninger Zeitung noch immer pünktlich erschienen. Zumal Eduard sich im Falle eines Falles stets als überaus geschickter Mechaniker erwiesen hatte. „Ich schau, dass ich’s hinkriege”, sagt er und machte sich an die Arbeit. Ehemann gehörte praktisch zum Inventar des Verlags. Vor gut dreißig Jahren war er als Druckerlehrling aus Geislingen zu Hermann Kuhn gekommen und hatte es seitdem zum technischen Leiter der Verlagsdruckerei gebracht.

„Klar kriegst du das hin”, gab Seiz zurück. Es klang mehr wie ein Befehl als eine Ermunterung.

Missmutig dachte er an das, was auf sie alle zukommen würde: schlechte Zeiten. Krieg bedeutete Not. Und in der Not sparten die Leute. Wie würde sich die Mobilmachung auf die Wirtschaft auswirken? Wie lange würden die Maschinen in den Fabriken wohl stillstehen müssen, weil die Arbeiter an die Front befohlen würden? Wer wollte noch Zeitung lesen, solange er nichts zu beißen hatte? Seiz schwirrten viele solcher Gedanken durch den Kopf. Im Geiste verfluchte er die Österreicher, die nun im Begriff waren, das Deutsche Reich mit in dieses Schlamassel zu ziehen. Und damit seine Pläne zu durchkreuzen: So schnell würde es mit der neuen Dampfmaschine, die er gerne gekauft hätte, nun wohl nichts werden. Seiz ahnte, dass diese Investition warten musste.

Schlenker, der seine Satzarbeiten inzwischen beendet hatte, und Ehemann mühten sich redlich, einen neuen Antriebsriemen aufzuziehen. „Jetzt sollten wir eine dieser neumodischen Maschinen haben”, ächzte Schlenker und wischte Schweiß von der Stirn. Seiz nickte, ganz in Gedanken versunken.

Kurze Zeit später hatten es die beiden Männer geschafft. Die Dampfmaschine verrichtete wieder stampfend ihren Dienst. Die „Heureka” spuckte die ersten Druckbögen aus. Die Schwenninger würden ihnen dieses Extrablatt in den nächsten Stunden förmlich aus den Händen reißen. Auch wenn es keine guten Nachrichten waren, die es heute zu lesen gab.

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