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KAPITEL 5 - HIOB

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BAD ISCHL, 28. Juni 1914, 13.22 Uhr. In der Bibel steht, dass Hiob mit seiner Frau und zehn Kindern als wohlhabender Mann in einem Land namens Zu lebte. Er war ein Muster an Frömmigkeit. Damit forderte er den Teufel heraus. Gegenüber Gott behauptete der Satan verschlagen, Hiob sei lediglich so fromm, weil Gott seine Familie und seine Kinder schütze. Gott ließ sich herausfordern und erlaubte dem Teufel, den frommen Hiob zu prüfen. Daraufhin stellte der Gehörnte den frommen Mann mit einer Reihe schwerer Heimsuchungen auf die Probe, die auch den stärksten Glauben erschüttern sollten. Die Unglücksbotschaften überbrachte ihm stets einer seiner Knechte.

Eduard Graf von Paar kannte das Buch Hiob, und er fühlte sich in diesem Augenblick wie dieser bedauernswerte Knecht. Der Adjutant des Kaisers redete mit Engelszungen auf Eugen Ketterl ein, Franz Josephs Kammerdiener: „Wir müssen ihn wecken, Ketterl. Er muss es sofort erfahren!” Graf Paar schwenkte das Fernschreiben aus Sarajewo vor Ketterls Nase hin und her.

„Ihr müsst warten, werter Herr Graf, und Ihr wisst das.”

„Ja, ich weiß, dass Seine Majestät den Schlaf braucht. Aber hier liegen die Dinge anders, Ketterl! Es handelt sich um einen schwerwiegenden Vorfall.”

„Bedaure, Herr Graf. Ich weck’ ihn nicht auf. Wollt Ihr es tun?”

„Ketterl, das ist nicht recht.”

Der Kammerdiener schürzte die Lippen. „Wenn Ihr es wollt – ich lass’ Euch ein. Auf Eure eigene Verantwortung, Herr Graf!”

Von Paar seufzte. Nichts und niemand, hatte der greise Monarch befohlen, dürfe seinen Mittagsschlaf stören. Er wusste das. Der Gehorsam gegenüber dem Monarchen gewann die Oberhand in ihm: „Ich verzichte, Ketterl.”

„Eine kluge Entscheidung, Herr Graf”, meint der Diener. „Nehmt doch so lange Platz im Vorzimmer seines Gemachs. Ich hole Euch, wenn seine kaiserliche Hoheit bereit ist, Euch anzuhören. Darf es inzwischen etwas sein? Ein Glaserl Wein vielleicht?”

„Danke, Ketterl. Nein danke!” Eduard Graf von Paar winkte ab. Er wartete eine geschlagene Stunde, bis der 84-jährige Kaiser seinen Mittagsschlaf beendet hatte. Dann öffnete sich die Tür zum kaiserlichen Schlafzimmer. Ketterl streckte den Kopf heraus. „Ihr könnt eintreten, Graf von Paar. Eure Majestät ist bereit.”

Franz Joseph trank gerade einen Mokka. Sein Adjutant verbeugte sich tief. „Eure kaiserliche Hoheit, es gibt sehr schlechte Nachrichten”, meldete er. Von Paar spürte, wie sein Herz klopfte. Wie würde der Kaiser auf das reagieren, was er ihm gleich mitzuteilen hatte?

„Ich höre!”, raunzte ihn Franz Joseph an.

„Seine kaiserliche Hoheit ist erschossen worden. Bei seinem Besuch in Sarajewo. Es war wohl ein Terrorist!”

Der alte Mann starrte seinen Adjutanten unverwandt an. Eduard Graf von Paar rechnete damit, dass das Mokkatässchen jeden Moment Franz Josephs Hand entgleiten und auf dem edlen Boden zerbersten würde. Doch der alte Kaiser fragte ihn nur: „Und was ist mit der Herzogin?”

„Auch tot”, murmelte von Paar.

„Auch tot”, wiederholte der alte Kaiser leise. „Beide tot.”

Eine Zeit lang herrschte absolute Stille. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Dann räusperte sich Franz Joseph und strich mit der Hand durch seinen weißen Backenbart. Von Paar versuchte vergebens, Trauer in der Stimme seines Monarchen zu hören, als der Greis zu sprechen begann. „Tot sind sie! Tot. Ja, der Allmächtige lässt sich eben nicht herausfordern. Die Ordnung, die ich nicht erhalten konnte, so scheint es, hat er wiederhergestellt.”

Eduard Graf von Paar war im ersten Augenblick sprachlos. Doch wusste er, dass es Franz Joseph seinem Neffen niemals verziehen hatte, dass dieser unter seinem Stand geheiratet und damit die Regeln des Hauses Habsburg ignoriert hatte. Lange hatte sich der Kaiser Franz Ferdinands Ansinnen widersetzt und schließlich doch nachgeben müssen. Ihr Verhältnis, seit jeher kühl, hatte unter diesem Affront des Jüngeren noch mehr gelitten. Dennoch konnte es von Paar im ersten Augenblick nicht so recht fassen, dass sich Franz Joseph in keiner Weise von der Todesbotschaft beeindrucken ließ.

Der Alte musterte ihn kühl. „Informieren Sie den Oberhofmeister. Er soll für die Überführung und alles Weitere sorgen”, sagt er. „Ich denke, ich werde morgen zumindest für ein paar Tage nach Wien zurückfahren. Es gibt einige dringende Staatsgeschäfte zu erledigen. Und sagen Sie Ketterl, er soll mir noch einen Mokka bringen!”

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