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KAPITEL 18 - DIE WACHT AM RHEIN

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SCHWENNINGEN, 3. August 1914, 11.05 Uhr. Christian verstaute sein Marschbündel unter dem Sitz. Er nahm die Mütze ab und schob sich auf die harte Holzbank. Haber, der ihm gegenüber Platz genommen hatte, musterte ihn zufrieden. Im Zug ging es eng her, aber Haber genoss aufgrund seines Ranges Respekt und hatte sich schnell Platz verschafft. Für ihn stand außer Frage, dass sein junger Kollegen bei ihm sitzen würde. Karl Dörfler und Jakob Maier, beide Lehrer an der Fachschule, setzten sich zu ihnen. Dörfler trug nun die Rangabzeichen eines Leutnants, Maier die eines Unteroffiziers.

„Habt ihr das gesehen?”, fragte Dörfler begeistert: „Da hat einer auf den Eisenbahnwaggon gepinselt: ‚Über Ulm nach Paris in zwei Wochen’ – ha, so ist’s recht!” Er lachte. Auch Haber und Maier amüsierten sich köstlich über die kriegerische Parole. Christian hatte beim Einsteigen noch andere Sprüche auf der Wand des Wagens entziffert, etwa: „Auf zum Preisschießen nach Paris”.

„Rapp, mein junger Freund”, fing Haber gönnerhaft an, „jetzt kommt die Stunde der Bewährung. Auch für Sie als Unteroffiziersaspiranten.” Die Beförderung zum Unteroffizier war Christian zum Ende seiner Dienstzeit verwehrt geblieben. Er war als Aspirant abgegangen, was ihn aber nicht weiter gestört hatte. Er war vor allem froh gewesen, den Rock des Kaisers abstreifen und seinem Beruf nachgehen zu können. Er war sehr gerne Lehrer, und er hätte viel dafür gegeben, jetzt nicht ins Feld zu müssen.

„Ihre neuen Stiefel sind auf jeden Fall eines Unteroffiziers würdig”, grinste der Kollege Maier.

Christian lächelte. „Dafür habe ich auch den Sold eines Generals auf den Tisch gelegt!”

„Bravo, junger Freund, bravo. So ist es recht!” Haber amüsierte sich köstlich. „Mit solchen Stiefeln marschiert es sich ganz von allein nach Paris! – Die Damen werden sich dort nach Ihnen umdrehen. Und über die Französinnen erzählt man sich ja so manches!” Er lachte dröhnend. Maier und Dörfler lachten mit. Christians neues Schuhwerk bot noch Anlass zu weiteren Sprüchen, und bald herrschte Einigkeit im Abteil der uniformierten Lehrer, dass einem guten Patrioten keine Investition in den Krieg zu hoch sein dürfe. Haber, Dörfler und Maier waren überzeugt davon, dass der Feind Deutschlands Soldaten nicht lange standhalten würde.

„Ihr werdet sehen”, sagte Dörfler, „schon in ein paar Wochen werde ich wieder hier in Schwenningen sitzen und unseren Uhrmachern zeigen müssen, wie der Hase läuft.”

„Aber vorher sind erst mal die Franzosen dran”, warf Maier ein.

Abgesehen von Christian, dessen Gedanken ständig zu Katharina flogen, waren sie bester Stimmung. Haber ließ sie wissen, dass er beabsichtige, es in Frankreich alsbald zum Hauptmann zu bringen, und auch die beiden anderen spekulierten auf eine baldige Beförderung.

Im Waggon begannen einige Männer „Die Wacht am Rhein” zu singen. Von diesem Soldatenlied aus dem Siebziger-Krieg kursierten bereits viele Persiflagen, aber die Schwenninger Patrioten dachten nicht daran, den martialischen Originaltext auf ihrem Weg in die Kaserne zu verfremden. „Der Rhein, Teutschlands Strom, nicht aber Teutschlands Grenze”, zitierte Haber mit hochgerecktem Zeigefinger Ernst Moritz Arndt, bevor er mit seinem tiefen Bass begeistert einfiel: „Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!”

Sie sangen aus voller Brust: „Solang ein Tropfen Blut noch glüht, noch eine Faust den Degen zieht, und noch ein Arm die Büchse spannt, betritt kein Feind hier deinen Strand ...” – Christian konnte nicht umhin, sich im Stillen zu fragen, ob die Kameraden bedachten, dass sie nun ja wohl keinesfalls beabsichtigten, am Rheinufer Halt zu machen. „Reich wie an Wasser deine Flut, ist Deutschland ja an Heldenblut ...”

Haber erzählte nicht ohne Stolz, dass er am Sedantag Geburtstag habe. Am 2. September gedachten die deutschen Patrioten des großen militärischen Triumphs über Frankreichs Rheinarmee, als es den Deutschen gelungen war, bei Sedan anno 1870 den Franzosenkaiser gefangen zu nehmen und den Gegner, der ihnen als „Erbfeind” galt, schwer zu schlagen.

General Helmuth von Moltke hatte nach der Schlacht bei Beaumont fast zweihunderttausend Mann in Eilmärschen hinter den angeschlagenen französischen Truppen nach Sedan hergeschickt; seine Spitzenverbände hatten schließlich am 31. August die Gegend um das Städtchen unweit der belgischen Grenze erreicht und die Franzosen zur vorentscheidenden Schlacht des Krieges gestellt.

„Siebzig haben sich vor allem die Bayern und die Sachsen hervorgetan”, meinte Dörfler und grinste verwegen. „Und jetzt sind mal wir Württemberger dran!”

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