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aa) Kontaktaufnahme zum Beschuldigten auf dessen Wunsch
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Praktische Schwierigkeiten ergeben sich bei noch nicht bestehendem Verteidigungsverhältnis insbes. in den Fällen vorläufiger Festnahme. Wie bereits erwähnt, hat der Beschuldigte nach § 137 das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen. Äußert der vorläufig Festgenommene den Wunsch, einen Verteidiger zu konsultieren, so ist ihm Gelegenheit zu geben, sich mit dem Verteidiger telefonisch in Verbindung zu setzen.[1] Auch in Fällen, in denen die Vernehmung des Beschuldigten bereits begonnen hat und der Beschuldigte im Laufe der Vernehmung den Verteidiger kontaktieren will, etwa weil ihm erst im Laufe der Vernehmung die Notwendigkeit einer Verteidigerkonsultation klar geworden ist, ist ihm dies unverzüglich zu gestatten. Die Vernehmung ist zu unterbrechen und dem Beschuldigten das Telefongespräch mit dem Verteidiger zu ermöglichen.[2] Will der Beschuldigte sich zunächst mit einem Verteidiger beraten, darf eine Vernehmung nicht gegen seinen Willen begonnen oder fortgesetzt werden. Vielmehr ist die Vernehmung abzubrechen und ein neuer Vernehmungstermin anzuberaumen.[3] Der Beschuldigte darf nicht zu weiteren Angaben gedrängt werden.[4] Nicht einmal Spontanäußerungen des Beschuldigten dürfen zum Anlass sachaufklärender Nachfragen genutzt werden, wenn der Beschuldigte die Konsultation eines Verteidigers begehrt und erklärt hat, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.[5] Die Vernehmung darf nur fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte sich ausdrücklich nach erneutem Hinweis auf das Recht zur Hinzuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt.[6] Dies gilt selbstverständlich auch vor anderen Ermittlungshandlungen, die eine aktive Mitwirkung des Beschuldigten erfordern. Auch in diesen Fällen sind die weiteren Ermittlungen zunächst zurückzustellen, bis der Beschuldigte die Möglichkeit der Verteidigerkonsultation hatte. Das Recht des Beschuldigten zur jederzeitigen Verteidigerkonsultation darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass Ermittlungshandlungen der Vorzug gegeben wird. Der hohe Rang des Rechts auf Verteidigerkonsultation gebietet es, die zeitliche Verzögerung bei weiteren Ermittlungshandlungen hinzunehmen.
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Unklar ist die Rechtslage, wenn der Beschuldigte zwar vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen wünscht, jedoch keinen Verteidiger kennt, der von ihm benannte Verteidiger nicht zu erreichen ist oder er in Verkennung der Möglichkeiten zur Kontaktierung eines Strafverteidigernotdienstes und/oder der Bestellung eines Pflichtverteidigers irrig annimmt, sich keinen Anwalt leisten zu können. In diesen Fällen stellt sich die Frage, welche Bemühungen seitens der vernehmenden Beamten entfaltet werden müssen, um den Wunsch des Beschuldigten nach Verteidigerkonsultation zu realisieren.
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Am weitesten geht die Entscheidung des 5. Strafsenats in BGHSt 42, 15 ff.[7] Danach reicht es nicht aus, dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger kennt, lediglich das Branchenfernsprechbuch mit den Eintragungen der örtlichen Rechtsanwälte vorzulegen. Gerade wenn eine Vielzahl von Anwälten eingetragen ist, fördere dies eher die Verwirrung des Beschuldigten und könne ihm den Eindruck der Erfolglosigkeit seines Bemühens um die Zuziehung eines Verteidigers vermitteln. Gerade weil „der Beschuldigte vielfach, insbes. im Falle einer Festnahme, durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt ist“[8], treffe die Vernehmungsbeamten die Pflicht, ernsthafte Bemühungen zur Realisierung des Wunsches des Beschuldigten auf Verteidigerkonsultation zu entfalten. Deshalb sei es erforderlich, den Beschuldigten auf den (örtlichen) Anwaltsnotdienst in Strafsachen hinzuweisen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass die Strafverteidiger darauf hinzuwirken haben, dass den Polizeirevieren und -kommissariaten die Telefonnummern des örtlichen Notdienstes bekannt sind und Vereinbarungen mit der Polizei getroffen werden, dass der Beschuldigte auf den Notdienst hingewiesen wird, falls er keinen Verteidiger kennt oder der von ihm benannte Verteidiger nicht zu erreichen ist. Im Übrigen sind die Telefonnummern der örtlichen Notdienste nach Städten geordnet im Internet unter der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV (www.ag-strafrecht.de) unter „Notdienste“ abzurufen.
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Dieser erfreulichen Entscheidung des 5. Strafsenats ist allerdings der 1. Strafsenat in BGHSt 42, 170[9] entgegengetreten. Sofern der Beschuldigte über das Recht zur Anwaltskonsultation belehrt und ihm die Möglichkeit der (telefonischen) Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt gegeben worden sei, sei dem Gesetz genüge getan. Darüber hinausgehende Bemühungen zur Beschaffung eines Verteidigers oder auch der Hinweis auf einen anwaltlichen Notdienst seien nicht erforderlich.
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Diese Auffassung hat der 1. Strafsenat in zwei späteren Entscheidungen[10] dann allerdings für den Fall relativiert, dass der Beschuldigte über seine finanziellen Möglichkeiten zur Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes irrt und nur deshalb den Wunsch zur Verteidigerkonsultation nicht äußert. Der Senat stellt insoweit zutreffend fest, dass mit solchen Äußerungen klar werde, dass der Beschuldigte eigentlich einen Anwalt konsultieren wolle und es angezeigt sei, diesen inzident geäußerten Wunsch nicht zu übergehen, sondern ihn unter gleichzeitigem Hinweis auf den Verteidigernotdienst darüber zu belehren, dass mit Blick auf eine zu erwartende spätere Pflichtverteidigerbestellung fehlende Mittel einen ersten Kontakt zu einem Rechtsanwalt nicht ausschließen.
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Unabhängig davon, dass inzwischen – nach diesen Entscheidungen – die Belehrungspflichten der §§ 114a-c ohnehin unter anderem um die Pflicht zum Hinweis auf die Möglichkeiten einer Pflichtverteidigerbestellung erweitert worden sind (siehe Rn. 138 ff. und 259), ist darüber hinaus angesichts der allgemeinen Kenntnis von der Existenz der Strafverteidigernotdienste auch nicht einzusehen, warum der Beschuldigte, der eine Verteidigerkonsultation wünscht, aber keinen Verteidiger benennen kann, nicht auch von den vernehmenden Beamten auf die Existenz des Notdienstes hingewiesen werden sollte. Dies stellt weder eine überzogene Hilfestellung für den Beschuldigten noch eine unzumutbare Mehrbelastung des Vernehmenden dar.
Mit Blick auf das den Belehrungspflichten zugrundeliegenden Gesamtkonzepts der Gewährleistung eines fairen Verfahrens entspricht es dem gesetzlichen Leitbild, das Verteidigerkonsultationsrecht so auszulegen, dass dem Beschuldigten bei dessen tatsächlicher Wahrnehmung auch über den Wortlaut der Belehrungsvorschriften hinaus effektive Hilfe zu leisten ist.[11]
Mit dem Hinweis auf den Notdienst können zudem auch die Probleme der Erreichbarkeit eines Verteidigers zur Nachtzeit gelöst werden. Im Übrigen liegt der Hinweis auf den Notdienst auch im Interesse des Vernehmenden. Im Falle des Wunsches nach Verteidigerkonsultation müsste die Vernehmung unterbleiben oder abgebrochen und auf unbestimmte Zeit verschoben werden, wenn der Beschuldigte nicht bereit ist, ohne Rücksprache mit einem Verteidiger Angaben zu machen. Wird der Kontakt zwischen dem Beschuldigten und dem Notdienstanwalt hergestellt, kann die Frage einer Einlassung oder des Schweigens des Beschuldigten schnell geklärt werden, so dass die ermittelnden Polizeibeamten insoweit schnell Klarheit über das Aussageverhalten erhalten. Zur Erforderlichkeit des Hinweises auf den Anwaltsnotdienst und die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbeiordnung nach Anordnung des Vollzuges der Untersuchungshaft vgl. auch Rn. 262 ff.
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In jedem Fall besteht ein Verwertungsverbot, wenn der Beschuldigte nicht oder nur unzureichend über das Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt wurde oder trotz Belehrung die Realisierung des Wunsches des Beschuldigten unterlaufen oder vereitelt wird, sei es, dass ihm die Kontaktaufnahme zum Verteidiger verweigert oder dem Beschuldigten von Seiten der Ermittlungsorgane bedeutet wird, er werde seine prozessualen Rechte bzw. den Wunsch auf Hinzuziehung eines Verteidigers nicht durchsetzen können[12].
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Zu beachten ist, dass das Verwertungsverbot von einem spätestens innerhalb der Frist des § 257 erhobenen Widerspruchs in der Hauptverhandlung gegen die Verwertung abhängig ist (sog. Widerspruchslösung)[13]. Die Geltendmachung eines Verwertungsverbots im Ermittlungsverfahren reicht für ein Verwertungsverbot im Urteil nicht aus.[14] Auch kann der in der ersten Hauptverhandlung unterlassene Widerspruch in einer neuen Hauptverhandlung nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht nicht mehr geltend gemacht werden.[15]
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Die gleichen Grundsätze gelten, wenn sich bereits ohne Wissen des Beschuldigten etwa ein von Familienangehörigen beauftragter Verteidiger gemeldet und der Polizei mitgeteilt hat, er stehe zur Verteidigung des Beschuldigten bereit. Die Polizei darf dies dem Beschuldigten nicht vorenthalten und die Vernehmung ohne Information des Beschuldigten über das Bereitstehen eines Verteidigers nicht fortsetzen.[16] Siehe dazu gleich unten Rn. 66.
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Trotz dieser Rechtslage darf nicht übersehen werden, dass aus der Sicht der Ermittlungsbehörden der Verteidiger bei dem vorläufig Festgenommenen ein nicht gern gesehener Gast ist. Die Einschaltung des Verteidigers bringt Sand in das Getriebe der Ermittlungen, es treten Zeitverzögerungen ein, und oftmals wird der Beschuldigte nach Beratung mit dem Verteidiger auch keine Angaben (mehr) zur Sache machen und damit die Kooperation bei der Aufklärung und der Erledigung des Verfahrens verweigern. Das Recht des Beschuldigten auf anwaltlichen Beistand kollidiert mit dem Interesse der Ermittlungsbehörden an einer Aussage oder einem Geständnis des Beschuldigten und insgesamt an einem schnellen Fortgang und der Erledigung des Ermittlungsverfahrens. Es sind daher immer wieder Versuche der Polizei zu beobachten, den vorläufig Festgenommenen von der Konsultation eines Verteidigers abzuhalten. Zwar erfolgt in aller Regel die Belehrung des Beschuldigten, dass er das Recht hat, einen Verteidiger zu beauftragen. In der Praxis geschieht dies meist jedoch nur formularmäßig, insbes. schon deswegen, weil die umfangreichen Belehrungen nach § 114b Abs. 2 schriftlich zu erfolgen haben („letter of rights“). Mit der Belehrung verbunden werden oftmals Versuche, dem Beschuldigten die Einschaltung eines Verteidigers auszureden. Die Erfahrung zeigt, dass dem Beschuldigten oftmals erklärt wird, der Fall sei doch einfach, er brauche doch gar keinen Verteidiger, er könne sich selbst verteidigen, die Einschaltung eines Anwalts wirke verdachtsverstärkend, eine (bestreitende) Einlassung ohne Anwalt wirke glaubwürdiger, man könne doch erst einmal die Vernehmung durchführen, den Verteidiger könne man doch später noch einschalten. Und schließlich gibt es Fälle, in denen dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger schlichtweg verweigert wird. Im Hinblick auf das Verwertungsverbot von Angaben im Falle der Verweigerung der (rechtzeitigen) Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger oder im Falle des Unterlaufens des Wunsches auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts muss der Verteidiger sich bei dem Beschuldigten genau über das Verhalten der Vernehmungsbeamten bei der Frage der Verteidigerkonsultation informieren.
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Ungeachtet dieser prozessualen Konsequenzen sollte der Verteidiger eine Dienstaufsichtsbeschwerde erheben, wenn die Informationen seines Mandanten konkrete Anhaltspunkte dafür bieten, dass die Polizei das Recht auf jederzeitige Verteidigerkonsultation unterlaufen hat. Selbst wenn die Dienstaufsichtsbeschwerde in der überwiegenden Anzahl der Fälle offiziell als unbegründet zurückgewiesen wird, werden oft interne Abmahnungen erteilt, sich korrekt zu verhalten. Verteidiger dürfen die Einschränkung von Beschuldigtenrechten nicht rügelos hinnehmen und müssen daher auch auf die stumpfe Waffe der Dienstaufsichtsbeschwerde zurückgreifen.