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bb) Kontaktaufnahme zum Beschuldigten auf Veranlassung Dritter
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Problematischer ist der Kontakt zum vorläufig Festgenommenen, wenn die Beauftragung des Verteidigers durch Dritte erfolgt, sei es durch Freunde, sei es durch Familienangehörige. Dies gilt insbes. dann, wenn der Festgenommene möglicherweise zuvor nicht selbst den Wunsch nach einem Verteidiger geäußert hat und daher § 137 nicht unmittelbar eingreift.
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Das erste Problem besteht bereits darin, dass oftmals unklar ist, wo sich der Festgenommene überhaupt befindet. Denn die Mitteilungen beschränken sich oftmals darauf, dass der Beschuldigte festgenommen oder von der Polizei „mitgenommen“ worden sei. Es kann sich in diesen Fällen also um eine vorläufige Festnahme handeln, die betroffene Person kann aufgrund eines Haftbefehls festgenommen oder es kann nach vorläufiger Festnahme zwischenzeitlich schon Haftbefehl erlassen worden sein, so dass sich die Person bereits in Untersuchungshaft befindet. Hier muss der Verteidiger von seinen Auftraggebern zunächst so viele Informationen wie möglich sammeln: Vollständiger Name, Geburtsdatum des Festgenommenen, Ort, Zeit und Umstände der Festnahme, Vorwurf, Revier und Name der festnehmenden Beamten etc. Je nach Informationsfülle genügt ein Anruf beim zuständigen Revier, Kommissariat oder beim Kriminaldauerdienst, beim örtlichen Haftrichter oder der Geschäftsstelle des Haftrichters, um unter Angabe der Personalien die gewünschten Auskünfte zu erhalten. Nicht selten sind allerdings auch die Fälle, in denen der Beschuldigte aufgrund eines „auswärtigen“ Haftbefehls festgenommen wurde. Hier kann der örtliche Haftrichter (zunächst) nicht weiterhelfen, so dass die Haftabteilungen der angrenzenden Amtsgerichte beziehungsweise der Gewahrsam in angrenzenden Polizeipräsidien kontaktiert werden muss. Ggf. muss in der örtlichen und in den benachbarten Vollzugsanstalten Nachfrage gehalten werden, wenn zwischen Festnahme und Beauftragung des Verteidigers schon einige Tage verstrichen sind und daher anzunehmen ist, dass die Untersuchungshaft angeordnet wurde. Bei solchen Nachfragen in der JVA werden die Auskünfte aber oftmals verweigert, wenn lediglich nachgefragt wird, ob eine bestimmte Person inhaftiert sei. In diesem Falle empfiehlt es sich anzugeben, der Verteidiger sei beauftragt, eine bestimmte Person zu besuchen, man wolle lediglich wissen, ob diese Person inhaftiert sei, um sich einen unnötigen Weg zu ersparen. Auch hier ist detektivischer Spürsinn des Verteidigers gefragt.
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Da Strafverteidiger oftmals ganztags vom Büro abwesend sind, müssen die notwendigen Informationen ggf. bereits durch das Sekretariat beschafft werden. Dies gilt schon deswegen, weil Eile geboten ist und der Verteidiger nicht erst mit den Nachforschungen (z.B. über Ort und Zeitpunkt einer Vorführung) beginnen sollte, wenn er ins Büro zurückgekehrt ist. Je mehr Informationen er bekommt, desto schneller kann er tätig werden. Hilfreich für die Nachforschungen durch das Sekretariat ist der als Muster Nr. 2 in Rn. 1360 abgedruckte Fragebogen, anhand dessen versucht werden kann, die notwendigen Informationen für den Rechtsanwalt zu beschaffen.
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Ist die Person, die aufgesucht werden soll, ausfindig gemacht worden, muss der Verteidiger zunächst den telefonischen Kontakt mit dem Sachbearbeiter der Kripo suchen und erklären, dass er mit dem vorläufig Festgenommenen sprechen, beziehungsweise diesen aufsuchen wolle. Ob die telefonische Kontaktaufnahme und ein Besuch des Verteidigers bei dem vorläufig Festgenommenen, der selbst keinen Verteidiger „angefordert“ hat, genehmigt wird, hängt häufig von der Person des Ermittlungsbeamten ab. Die Erfahrung zeigt, dass bei der Beauftragung durch Dritte dem Verteidiger in vielen Fällen der Kontakt zum vorläufig Festgenommenen – rechtswidrig – verweigert wird. Dies geschieht häufig mit dem Hinweis darauf, dass der Beschuldigte selbst gegenüber der Polizei nicht den Wunsch nach einer Verteidigerkonsultation geäußert habe. Der Hinweis des Verteidigers auf § 137, dass der Beschuldigte das Recht hat, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen, hilft in diesen Fällen nicht viel weiter. Der Verteidiger wird vielmehr oftmals gehalten sein, offen zu legen, dass er etwa von Familienangehörigen oder Dritten beauftragt worden ist. Dies ist nicht unproblematisch, denn auch die Umstände der Beauftragung können dem Anwaltsgeheimnis unterliegen und dürfen nicht ohne Weiteres offengelegt werden. Angesichts der Dringlichkeit, mit dem Beschuldigten schnellstmöglich in Kontakt zu treten, sind im konkreten Fall jedoch in der Regel grundsätzliche Diskussionen über die Zulässigkeit solcher Fragen und deren Beantwortung wenig hilfreich,[17] sodass sich meist ein pragmatisches Vorgehen empfiehlt.
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Dem Hinweis, dass der Beschuldigte selbst gar keinen Verteidiger gewünscht habe, ist damit zu begegnen, dass die Polizei verpflichtet ist, den Beschuldigten darüber zu informieren, dass von Dritten ein Verteidiger beauftragt sei, der bereit sei, ein Gespräch mit dem Beschuldigten zu führen. Die Pflicht der Polizei, den vorläufig Festgenommenen auf das Bereitstehen eines Verteidigers hinzuweisen, ergibt sich aus § 137 i.V.m. § 163a Abs. 4 S. 2, § 136 Abs. 1 S. 2.[18] Unterrichtet die Polizei den Beschuldigten nicht vom Bereitstehen des Verteidigers und vernimmt sie den Beschuldigten gleichwohl oder setzt sie eine bereits begonnene Vernehmung fort, hat dies ein Verwertungsverbot für die Angaben des Beschuldigten zur Folge.[19] Um Unklarheiten über den Zeitpunkt zu beseitigen, wann sich der Verteidiger bei der Polizei mit der Bitte um ein Gespräch mit dem Beschuldigten gemeldet hat, empfiehlt es sich, neben der telefonischen Kontaktaufnahme auch per Telefax und/oder per E-Mail mitzuteilen, dass der Verteidiger bereitstehe und den Beschuldigten zu sprechen wünsche. Um jegliche Unklarheiten auszuschließen, kann es sinnvoll sein, nach Absenden des Telefax oder der E-Mail nochmals bei der Polizei anzurufen um sicherzustellen, dass die Nachricht dort auch eingegangen ist. Auf diese Weise kann später dokumentiert werden, zu welchem genauen Zeitpunkt die Polizei vom Bereitstehen des Verteidigers informiert war und somit die Pflicht bestand, den Beschuldigten darüber zu informieren.
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Die Gründe, warum ein vorläufig Festgenommener selbst nach erfolgter Belehrung nicht den Wunsch nach einer Verteidigerkonsultation geäußert hat, sind mannigfaltiger Art. Es kann daran liegen, dass der Beschuldigte keinen Verteidiger kennt oder aber die eventuell entstehenden Kosten scheut. Erst wenn er darauf hingewiesen wird, dass ein Verteidiger bereit steht, wird er die Entscheidung, einen Verteidiger zu konsultieren, unter sachlichen Gesichtspunkten treffen können. Diese Hinweispflicht ist Ausfluss und Konkretisierung des Rechts des Beschuldigten, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers zu bedienen. Der Verteidiger, dem also der Kontakt mit dem Beschuldigten deswegen verweigert wird, weil dieser selbst keinen Anwalt gewünscht habe, muss unter Hinweis auf die Rechtsprechung und das von ihr anerkannte Verwertungsverbot darauf bestehen, dass der Beschuldigte über das Bereitstehen des Verteidigers informiert wird. Bei telefonischem Kontakt sollte der Verteidiger – zur Kontrolle – darauf bestehen, dass dem Beschuldigten noch während dieses Telefongesprächs das Bereitstehen des Verteidigers mitgeteilt wird, sodass der Beschuldigte noch im Laufe des Telefongesprächs eine Entscheidung darüber treffen kann, ob er den Verteidiger sprechen will oder nicht. Äußert der Beschuldigte nunmehr den Wunsch nach anwaltlicher Beratung, ist ihm von der Kripo telefonischer Kontakt zu ermöglichen. Andererseits kann es auch angebracht sein, mit dem Sachbearbeiter der Kripo eine Vereinbarung dahingehend zu treffen, dass der Verteidiger selbst dem Festgenommenen persönlich erklärt, dass er bereit sei, das Mandat zu übernehmen. In diesen Fällen kann der Verteidiger anbieten, dass dieses Gespräch im Beisein eines Polizeibeamten geführt wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wohl die Ausnahme bleiben wird, dass der Beschuldigte auf das Recht zur Verteidigerkonsultation verzichtet, wenn ein Verteidiger bereitsteht.
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Führen auch diese Versuche des Verteidigers nicht zum Ziel, bleibt nichts anderes übrig, als den Dienstvorgesetzten einzuschalten und auch diesem gegenüber darauf hinzuweisen, dass die Polizei verpflichtet ist, den Beschuldigten über das Bereitstehen des Verteidigers zu informieren. Hilft auch dies nicht weiter, bleibt nur der Kontakt zum Haftrichter oder -staatsanwalt. Da es immer einen richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Not- oder Eildienst gibt, besteht diese Möglichkeit auch an den Wochenenden oder nachts. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass auch hier häufig eine freundlich vorgetragene Bitte um Unterstützung und Hilfe weiterbringt als barsche Forderungen und Belehrungen.
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Die Kontaktaufnahme zwischen Verteidiger und Beschuldigtem bei Beauftragung durch Dritte ist auch deswegen problematischer geworden, weil es immer wieder vorkommt, dass Verteidiger von Presseorganen im Hinblick auf Exklusivberichte des Beschuldigten beauftragt werden oder aber Verteidiger – aus welchen Gründen auch immer – sich selbst ohne Beauftragung durch Dritte als Beistand eines Beschuldigten anbieten („Anbiederungsfall“)[20]. Über die Problematik einer derartigen Vorgehensweise des Verteidigers ist hier nicht zu diskutieren. Keinesfalls entfällt jedoch die Pflicht der Polizei, den Beschuldigten auf das Bereitstehen des Verteidigers hinzuweisen, selbst wenn bei der Polizei etwa der Eindruck eines „Anbiederungsgespräches“ entstanden ist. Es ist nicht die Aufgabe der Kriminalpolizei oder des Ermittlungsverfahrens, den normalen Anbahnungsfall vom Anbiederungsfall zu unterscheiden und den Beschuldigten dadurch ggf. vor unseriösen Verteidigern zu bewahren. Der vorläufig festgenommene Beschuldigte kann und muss in solchen Fällen ebenso wie ein Beschuldigter in Freiheit selbst entscheiden, ob er mit diesem Verteidiger sprechen und ihn ggf. beauftragen will.
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Um allen Schwierigkeiten bei der Beauftragung durch Dritte bei der Kontaktaufnahme zum vorläufig Festgenommenen zu begegnen, ist es erforderlich, wie oben Rn. 65 ausgeführt, sich von dem Auftraggeber schriftlich den Besuchsauftrag bestätigen zu lassen. Ein Muster eines solchen Auftrags ist in Rn. 1359 abgedruckt. Dieser Auftrag kann dann unter Umständen, wenn es nicht zu vermeiden ist, vorgelegt werden, falls es Zweifel an der tatsächlichen Beauftragung des Rechtsanwalts bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Haftrichter gibt.