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aa) Kontaktaufnahme

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Der ungehinderte Verkehr mit dem inhaftierten Mandanten setzt ein bestehendes Verteidigungsverhältnis voraus, so dass § 148 für die Kontaktaufnahme zur Anbahnung eines in Untersuchungshaft einsitzenden Beschuldigten zunächst nicht ohne Weiteres gilt. Dementsprechend benötigte der Verteidiger früher einen Anbahnungssprechschein (Nr. 36 Abs. 3 UVollzO) des zuständigen Haftrichters oder im Falle der Übertragung gem. § 3 Abs. 1 UVollzO des Staatsanwaltes. Dieser wurde in der Regel auf telefonische oder schriftliche Anforderung – wegen der Eilbedürftigkeit auf Anforderung auch per Fax – an den Verteidiger übersandt.

Durch die Neuregelung des § 119 und der Untersuchungshaftvollzugsgesetze der Länder ist die Rechtslage leider nicht klarer geworden und wird in der Praxis zum Teil sehr unterschiedlich gehandhabt.

Trotz der Neuregelung ist in der Regel eine Besuchserlaubnis durch den Haftrichter, die Staatsanwaltschaft oder die Haftanstalt erforderlich. Zwar soll nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des neuen § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 der Besuch nur in Ausnahmefällen einer Erlaubnis bedürfen, namentlich wenn das Gericht dies im Einzelfall zur Abwehr einer realen Gefahr für den Zweck der Untersuchungshaft anordnet.[21] In der Praxis ist diese Anordnung jedoch meistens nicht einzelfallbezogen, sondern die Regel.[22] Ist ausnahmsweise ein solcher gerichtlicher Erlaubnisvorbehalt nicht ausgesprochen, verlangen gleichwohl die meisten Ländergesetze (z.B. § 18 Abs. 3 S. 1 UVollzG NRW) generell das Vorliegen einer schriftlichen Besuchserlaubnis. Diese Regeln widersprechen den allgemeinen Grundsätzen der Untersuchungshaftvollzugsgesetze, wonach Einschränkungen lediglich davon abhängig gemacht werden dürfen, ob im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt vorliegen. Solche konkreten Anhaltspunkte liegen selbstverständlich, schon angesichts des dem Rechtsanwalt aus seiner Organstellung zu gewährenden Vertrauensvorschusses[23] – im Rahmen von Anwaltsbesuchen zur Anbahnung eines Mandatsverhältnisses regelmäßig nicht vor. Die entsprechenden Vorschriften der landesgesetzlichen Regelungen begegnen deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken.[24] Auch hier gilt indes angesichts der Dringlichkeit, mit dem Beschuldigten schnellstmöglich in Kontakt zu treten, dass im einzelnen konkreten Haftmandat eine Grundsatzdiskussion zur prinzipiellen Klärung des erlaubnisfreien Zugangs zum Inhaftierten wenig sinnvoll ist, sondern eine solche Diskussion den standesrechtlichen Organisationen und dem Gesetzgeber überlassen werden muss und stattdessen dort, wo eine Besuchserlaubnis für das Anbahnungsgespräch verlangt wird, diese auf schnellstem Wege zu besorgen ist. Denn auch hier gilt:

Eile ist geboten. Haftsachen dulden grundsätzlich keinen Aufschub. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich der Beschuldigte in einer Ausnahmesituation befindet. Er braucht nicht nur dringend rechtlichen Rat, sondern steht in aller Regel unter einem Inhaftierungsschock, der ihn zu kühler und überlegter Vorgehensweise kaum fähig sein lässt. Darüber hinaus ist der inhaftierte Beschuldigte dem unbegrenzten Zugriff der Ermittlungsbehörden ausgesetzt, die meistens ein Interesse an einer möglichst frühzeitigen Aussage des Beschuldigten haben. Bestimmte Ermittlungsschritte können bevorstehen, sei es eine (weitere) Vernehmung, eine Begutachtung oder eine Gegenüberstellung. In allen Sachen braucht der Beschuldigte dringend anwaltlichen Beistand. Bereits in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Beschuldigte in der psychischen Ausnahmesituation der Inhaftierung zu Fehlreaktionen neigen, angefangen vom falschen Geständnis bis zu Selbstmordversuchen.[25]

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Die Praxis der Haftabteilungen bei der Ausstellung der Besuchserlaubnis zur Führung des Anbahnungsgesprächs ist unterschiedlich. In einigen Ländern leiten die Haftrichter, sofern keine Übertragung der Zuständigkeit nach § 119 Abs. 2 S. 2 auf die Staatsanwaltschaft erfolgt ist, den Antrag des Rechtsanwalts auf Erteilung eines Anbahnungssprechscheins zur Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft weiter, da die Staatsanwaltschaft vor jeder Entscheidung anzuhören ist und nur sie beurteilen kann, ob der Verteidiger, der das Anbahnungsgespräch führen will, nicht nach § 146 zurückzuweisen oder gar nach § 138a auszuschließen wäre. Da das Verfahren der vorherigen Anhörung der Staatsanwaltschaft sehr zeitaufwendig ist, sollte sich der Verteidiger in diesen Fällen die Besuchserlaubnis möglichst direkt bei der Staatsanwaltschaft besorgen, was im Falle der Übertragung der Zuständigkeit ohnehin erforderlich ist. Es empfiehlt sich daher, telefonisch oder persönlich mit dem zuständigen Staatsanwalt Kontakt aufzunehmen und zu bitten, die Erlaubnis per Telefax der JVA und dem Verteidiger zu übermitteln oder die JVA telefonisch von der Erteilung des Sprechscheins zu informieren. Gegebenenfalls muss die Besuchserlaubnis persönlich umgehend abgeholt werden. Unter gar keinen Umständen geht es an, schriftlich um die Ausstellung der Besuchserlaubnis nachzusuchen. Postlaufzeiten und aktenmäßige Bearbeitung auf der Geschäftsstelle bei der Erteilung der Besuchserlaubnis bewirken eine nicht zu verantwortende Zeitverzögerung.[26] In einigen JVAs besteht auch die Möglichkeit, dass sich der Verteidiger den Inhaftierten auch ohne Anbahnungserlaubnis vorführen lässt und mit diesem im Beisein eines Beamten der JVA ein Gespräch führt, in dem er erklärt, durch Unterzeichnung einer Vollmacht werde das Verteidigungsverhältnis begründet und dann könne das Gespräch ohne Überwachung fortgesetzt werden. Da diese Vorgehensweise wesentlich unkomplizierter ist, sollte sich der Verteidiger darüber erkundigen, ob in der jeweiligen JVA diese Art der Begründung des Verteidigungsverhältnisses zugelassen wird.

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Relativ unkompliziert erfolgt die Erteilung der Besuchserlaubnis in vielen Untersuchungshaftanstalten, wenn der Kontaktwunsch direkt vom Beschuldigten ausgeht. Vielfach stehen sog. Anforderungskarten als Vordruck für die Inhaftierten bereit, in die lediglich die Namen des Inhaftierten und des gewünschten Verteidigers nebst dessen Adresse sowie das staatsanwaltschaftliche bzw. gerichtliche Aktenzeichen einzutragen sind. Diese Anforderungskarten werden dann direkt an den adressierten Anwalt weitergeleitet, ohne dass sie den zeitaufwändigen Umweg der staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Postkontrolle durchlaufen müssen. Durch Vorlage dieser Anforderungskarte erhält der Anwalt entweder problemlos eine staatsanwaltschaftliche bzw. gerichtliche Besuchserlaubnis oder – je nach Inhalt des Beschlusses gem. § 119 und nach regionaler Üblichkeit – auch direkten Zugang zur JVA, um ein Anbahnungsgespräch mit dem Beschuldigten zu führen.

Schwierigkeiten können allerdings in manchen Regionen entstehen, wenn die Beauftragung des Verteidigers durch Dritte, sei es durch Freunde, sei es durch Familienangehörige, erfolgt. Zwar reicht es in der Regel auch dann zur Erteilung der Besuchserlaubnis aus, gegenüber Staatsanwaltschaft oder Gericht auch ohne namentliche Benennung zu erklären, eine dem Beschuldigten nahestehende Person habe den Verteidiger gebeten, den Untersuchungsgefangenen aufzusuchen. In manchen Bezirken wird aber die Erteilung der Besuchserlaubnis von der konkreten Namensnennung der den Auftrag erteilenden Kontaktperson des Beschuldigten oder sogar von einem konkreten Besuchswunsch des Inhaftierten abhängig gemacht, den der Verteidiger ggf. vor Erteilung der Besuchserlaubnis nachzuweisen hat oder der durch mündliche oder schriftliche Abfrage der Staatsanwaltschaft, des Gerichts oder der Vollzugsanstalt beim Inhaftierten abzuklären sei.[27]

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Noch weiter geht eine Entscheidung des OLG Hamm vom 29.12.2009.[28] Danach soll schon kein Anbahnungsfall für die Erteilung einer Besuchserlaubnis gegeben sein, wenn Dritte den Rechtsanwalt beauftragen, ohne dass in irgendeiner Form ersichtlich ist, dass dies auf den Wunsch des Beschuldigten zurückgeht. Es wäre für eine Justizvollzugsanstalt logistisch nicht machbar, wenn eine Vielzahl von Rechtsanwälten unter Verweis auf eine tatsächliche oder behauptete Beauftragung (allein) durch Dritte versuchen würde, Besuche mit Untersuchungsgefangenen zu erlangen. Die Missbrauchsgefahr der Anbiederung an ein Mandat ohne konkreten Auftrag sei zu groß. Die Beeinträchtigung des Gefangenen sei hingegen denkbar gering, da es für den Anwalt ein Leichtes wäre, den Beschuldigten (auf dem Schriftweg) eine Vollmacht erteilen zu lassen oder wenigstens mit ihm abzuklären, ob er einen Besuch zum Zwecke der Anbahnung eines Mandatsverhältnisses wünscht. Den Problemen könne nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Besuchserlaubnis nur dann erteilt werde, wenn der Besuch von dem Untersuchungsgefangenen erwünscht sei.

Durch derartige Anforderungen geht jedoch nicht nur viel überflüssige, gerade zu Beginn der Haft nicht vorhandene Zeit verloren, sondern sie sind rechtswidrig und mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen. Einschränkungen zur Erteilung einer Besuchserlaubnis sind nach § 119 nur zur Abwehr einer realen Gefahr der Haftzwecke und nach den Landesjustizvollzugsgesetzen nur bei Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt im konkreten Einzelfall zulässig, nicht aber generell zur Verhinderung potentiell berufsrechtswidrigen Verhaltens oder aus fürsorglichen Überlegungen, den Inhaftierten vor aufdringlichen Anwälten zu schützen.[29] Da gleichwohl in vielen Regionen derartige Anforderungen an die Erteilung der Besuchserlaubnis gestellt werden und sich angesichts der Dringlichkeit im Einzelfall, mit dem Inhaftierten schnellstmöglich in Kontakt zu treten, auch hier zeitraubende Grundsatzdiskussionen regelmäßig verbieten, können hier nur die folgenden praktischen Hinweise gegeben werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH[30] ist der Beschuldigte bei einer polizeilichen Vernehmung nach vorläufiger Festnahme über das Bereitstehen eines (etwa von Dritten beauftragten) Verteidigers auch dann zu informieren, wenn er sich ohne den Wunsch nach Verteidigerkonsultation zur Aussage bereit erklärt hat (siehe auch Rn. 79). Diese Unterrichtungspflicht gilt aber auch dann, wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet und keine Vernehmung stattfindet. Soll daher die Erteilung der Besuchserlaubnis im Hinblick auf die alleinige Beauftragung durch Dritte abgelehnt werden, muss der Beschuldigte vor der Entscheidung von Amts wegen sowohl über das Bereitstehen eines Verteidigers für ein Anbahnungsgespräch als auch ggf. über die Person informiert werden, die den Verteidiger mit dem Besuch beauftragt hat. Diese Informationen sind erforderlich, damit der Beschuldigte die Entscheidung treffen kann, ob er den Verteidiger zu sprechen wünscht oder nicht. Dabei ist es für die Entscheidung des Inhaftierten unter Umständen von besonderer Bedeutung, auf wessen Veranlassung der Verteidiger für die Übernahme der Verteidigung bereit steht. Sofern es sich z.B. um Mitbeschuldigte handelt, wird der Beschuldigte einen anderen Maßstab anlegen, als wenn der Verteidiger auf Veranlassung eines Familienangehörigen für den Besuch bereit steht. Ein Unterlassen dieser Informationen für den Inhaftierten stellt einen Verstoß gegen das faire Verfahren dar[31], da dem Beschuldigten bewusst die Informationen vorenthalten werden, die er für seine Entscheidung über die Wahl eines geeigneten Verteidigers benötigt. Dies hat vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur unverzüglichen Beiordnung eines Verteidigers nach Anordnung des Vollzuges der Untersuchungshaft nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 4 und der dem Beschuldigten nach § 142 Abs. 1 S. 1 zu gewährenden Vorschlagsfrist zur Benennung eines Verteidigers (vgl. dazu Rn. 295 ff. und 300 ff.) besondere Bedeutung. In zahlreichen Fällen erfolgt die Einschaltung eines Verteidigers nach der Inhaftierung des Beschuldigten durch Dritte. Freunde oder Familienangehörige werden nach der Festnahme aktiv und suchen auf den verschiedensten Wegen (Erkundigungen im Bekanntenkreis, Internet, Anwaltssuchdienste etc.) einen Verteidiger, der für diesen Fall geeignet oder „spezialisiert“ ist, um eine effektive Verteidigung zu gewährleisten. Diese Möglichkeiten stehen dem Inhaftierten, der oftmals selbst keine geeigneten Verteidiger kennt, nicht zur Verfügung. Insoweit ist der Beschuldigte auf die Unterstützung durch Dritte angewiesen. In diesen Fällen ist es geradezu zwingend, dass der Beschuldigte die Möglichkeit erhält, mit dem von Dritten beauftragten Verteidiger die Erteilung des Mandats in einem Anbahnungsgespräch zu erörtern.

Um im Falle der Beauftragung durch Dritte eine Besuchserlaubnis zu erhalten, sollte der Verteidiger zunächst die Beauftragung durch Dritte dokumentieren, also Name, Anschrift, familiäre Verbindung mit Unterschrift des Beauftragenden (siehe Muster 1 Rn. 1359). Dabei ist von besonderer Bedeutung, ob die Beauftragung auf (alleinige) Initiative des Dritten erfolgt oder auf einen Wunsch des Inhaftierten zurückgeht. Denn in vielen Fällen bittet der Festgenommene anlässlich der Festnahme oder nach der Inhaftierung schriftlich oder bei Besuchen mündlich Angehörige oder Freunde, ihm einen Verteidiger zu „besorgen“. In zahlreichen Fällen wird dies auch unausgesprochen anzunehmen sein, da der Beschuldigte selbstverständlich davon ausgeht, dass sich Freunde oder Familienangehörige um einen Verteidiger kümmern. Geht die Beauftragung des Verteidigers durch Dritte auf den Wunsch des Beschuldigten zurück, so ist auch dies in dem Auftragsformular anzugeben.

Dieser Besuchsauftrag kann dann mit dem Antrag auf Erteilung der Besuchserlaubnis vorgelegt werden.

Soll der Antrag gleichwohl abgelehnt werden, muss der Verteidiger darauf bestehen, dass der Inhaftierte unverzüglich telefonisch (ggf. über den Sozialarbeiter oder den Stationsbeamten) über das Bereitstehen des Verteidigers unter Angabe des Auftraggebers informiert und sodann befragt wird, ob er ein Gespräch mit dem Verteidiger wünscht. Unterbleibt diese Information, so kann eine gleichwohl erfolgte Beiordnung fehlerhaft sein, weil das Vorschlagsrecht des Beschuldigten nach § 142 Abs. 1 S. 1 unterlaufen wurde.

Bei alle dem ist allerdings zu beachten, dass die Bemühungen um die Erteilung einer Besuchserlaubnis zur Kontaktaufnahme mit dem Inhaftierten sehr zeitaufwendig sind und in Untersuchungshaftfällen besondere Eile geboten ist. Der Verteidiger wird daher auf die beschleunigte Bearbeitung seiner Besuchsanträge zu dringen haben, diese ggf. per Telefon oder Telefax stellen und gleichzeitig darum bitten, ihm die Erlaubnis ebenfalls per Telefax zu übermitteln oder diese direkt persönlich bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht abholen zu dürfen. Zu beachten ist insoweit, dass manche Justizvollzugsanstalten keine gefaxten Erlaubnisse akzeptieren.

Gerade weil Haftsachen keine Zeitverzögerung dulden, ist abschließend noch darauf hinzuweisen, dass die schriftliche Kontaktaufnahme zum Inhaftierten zur Herstellung des Verteidigerverhältnisses die Ausnahme bleiben muss, weil durch den Postlauf wichtige Zeit verloren geht. Im Übrigen wird es kaum möglich sein, auf dem Schriftwege das Zustandekommen des Mandatsverhältnisses zu klären. Abgesehen davon werden in der Praxis oftmals derartige „Anbahnungsschreiben“ kontrolliert, da ein Verteidigungsverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht begründet ist.[32]

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