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a) Grundlagen für die Prüfung von Verfahrensrügen

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Die Begründung der Verletzung formellen Rechts setzt voraus, dass ein ganz genau zu bezeichnender Verfahrensfehler mit einem umfassenden Tatsachenvortrag gerügt wird. Eine der „allgemeinen Sachrüge“ entspr. allgemeine Rüge der Verletzung formellen Rechts gibt es nicht. Hilfsweise erhobene Verfahrensrügen, etwa dergestalt, dass die Rüge Nr. 2 für den Fall erhoben wird, dass die Rüge Nr. 1 nicht erfolgreich ist, sind unzulässig.[13]

Kommen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muss vom Beschwerdeführer die Angriffsrichtung der Rüge deutlich gemacht und dargetan werden, welcher konkrete Verfahrensfehler gerügt wird.[14] Ein bestimmtes Verfahrensgeschehen kann dabei auch zum Gegenstand verschiedener Verfahrensrügen gemacht werden, solange die Angriffsrichtung der Rügen durch den Revisionsführer bestimmt ist.[15]

Grundlage für das Aufspüren von Verfahrensrügen ist in erster Linie das Hauptverhandlungsprotokoll. Der Verteidiger durchforstet dieses nach der Methode „Trüffelschwein“, um sodann die gefundenen Delikatessen (Verfahrensfehler) dem Revisionsgericht auf dem Silbertablett zu servieren (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) in der Hoffnung, dass sie sich nicht als taube Nüsse erweisen.

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Nach § 273 StPO sind in das Hauptverhandlungsprotokoll alle sog. wesentlichen Förmlichkeiten[16] aufzunehmen. Nach § 274 StPO genießt das Hauptverhandlungsprotokoll (zunächst) absolute positive und negative Beweiskraft. Dies bedeutet, dass die in der Sitzungsniederschrift dokumentierten oder nicht dokumentierten Geschehnisse, soweit sie wesentliche Förmlichkeiten betreffen, als stattgefunden bzw. als nicht stattgefunden gelten. Ist in der Sitzungsniederschrift nicht vermerkt, dass z.B. die Anklage verlesen oder dem Angeklagten das letzte Wort erteilt wurde, wird damit (zunächst) ungeachtet des tatsächlichen Geschehens in der Hauptverhandlung bewiesen, dass dies nicht der Fall war.

Das Durcharbeiten des Hauptverhandlungsprotokolls eröffnet somit die Suche nach möglichen Verfahrensfehlern.

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An dieser Stelle muss betont werden, dass das Hauptverhandlungsprotokoll für den Revisionsverteidiger lediglich als Grundlage für das Auffinden von Verfahrensfehlern dient. In der Begründung der Verfahrensrüge hat das Wort Hauptverhandlungsprotokoll oder eine Bezugnahme darauf nichts zu suchen. Der Revisionsführer ist lediglich verpflichtet, konkrete Tatsachen und Geschehnisse in der Hauptverhandlung bestimmt zu behaupten und vorzutragen. Zum Beweis seiner vorgetragenen Tatsachen, etwa durch Verweis auf das Protokoll, ist er nicht verpflichtet[17] (vgl. dazu Rn. 64).

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Bei der Prüfung und Erhebung von Verfahrensrügen muss der Revisionsverteidiger das sog. Rekonstruktionsverbot beachten. Dies bedeutet, dass im Revisionsverfahren „keine Beweisaufnahme über die Beweisaufnahme vor dem Tatgericht“ stattfindet. Dem Revisionsgericht soll es grundsätzlich verwehrt sein, Feststellungen zum Inhalt der erhobenen Beweise anhand eigener Ermittlungen etwa im Freibeweisverfahren zu treffen.

Eine Rüge, die auf eine solche Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinausliefe, wäre unzulässig.[18] Nur wenn der Tatsachenvortrag allein anhand des Hauptverhandlungsprotokolls ggf. in Zusammenhang mit den Urteilsausführungen mit den Mitteln des Revisionsrechts überprüft werden kann, ist die Rüge zulässig.

Das Rekonstruktionsverbot betrifft jedoch nur das im Urteil festzustellende Ergebnis der Beweisaufnahme, soweit es nicht der unmittelbaren Kenntnisnahme durch das Revisionsgericht offen steht, sowie Verfahrensvorgänge, die als wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung protokollierungspflichtig sind und daher allein durch die Sitzungsniederschrift bewiesen werden können. Alle anderen Verfahrensvorgänge in der Hauptverhandlung sind dagegen, soweit entscheidungserheblich, durch das Revisionsgericht im Freibeweis aufzuklären.[19]

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Daher kann mit der Revision grundsätzlich nicht geltend gemacht werden, ein Zeuge habe anders als im Urteil wiedergegeben ausgesagt, Teile einer Zeugenaussage seien im Urteil nicht gewürdigt worden, bestimmte Fragen seien nicht gestellt oder Vorhalte nicht gemacht worden. Dies alles wäre nur durch die unzulässige Rekonstruktion der Beweisaufnahme aufzuklären. Auch die Rüge der „Aktenwidrigkeit“ der Urteilsfeststellungen liefe nach der Rechtsprechung des BGH auf eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung hinaus. Darunter sind die Fälle zu verstehen, in denen das Urteil den Inhalt einer Zeugenaussage mitteilt, die in krassem Gegensatz zu einer früheren Aussage des Zeugen im Ermittlungsverfahren, etwa einer polizeilichen Vernehmung steht. Denn der Widerspruch zwischen den Aussagen kann sich durch eine für alle Verfahrensbeteiligten einleuchtende Erklärung des Zeugen in der Hauptverhandlung aufgelöst haben, so dass eine Auseinandersetzung mit dem Widerspruch im Urteil nicht erforderlich war. Ob der Widerspruch aufgelöst wurde, könnte wiederum nur durch eine Rekonstruktion dieses Teils der Hauptverhandlung aufgeklärt werden.[20]

Zu weiteren Einzelheiten und Rügemöglichkeiten vgl. die Rüge Nr. 230 Rn. 1970.

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