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d) Anforderungen an die Darstellung und Begründung der Verfahrensrüge (Anforderungen an den Vortrag)
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Während das Revisionsgericht bei der Sachrüge nur das Urteil zur Kenntnis nimmt und zur Grundlage der Prüfung von materiell-rechtlichen Fehlern macht, ist bei der Rüge der Verletzung formellen Rechts (zunächst) allein die Revisionsbegründungsschrift Prüfungsgrundlage.
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Die von der Rechtsprechung des BGH gestellten Anforderungen an eine Verfahrensrüge sind sehr hoch, oftmals nicht vorhersehbar und aus der Sicht des Revisionsführers manchmal willkürlich. Der Versuch, die zum Teil überspannten Anforderungen zurückzuschrauben, ist gescheitert. Das BVerfG hat jedenfalls grundsätzlich die Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO als verfassungsgemäß angesehen.[38] Es ist daher müßig, darüber Klage zu führen, dass das Revisionsgericht die Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO dazu instrumentalisiert, durch die Verwerfung einer Verfahrensrüge als unzulässig ein inhaltlich für richtig gehaltenes Urteil „zu retten“.[39] Der Revisionsführer hat sich an der Rechtsprechung des BGH zu orientieren, wenn er nicht Gefahr laufen will, dass seine Rüge als unzulässig verworfen wird.
Nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO müssen bei einer Verfahrensrüge „die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden“.[40]
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Die Rechtsprechung des BGH legt diese Vorschrift dahingehend aus, dass der Beschwerdeführer die den Verfahrensfehler begründenden Tatsachen
• | so genau und |
• | so vollständig mitzuteilen habe, dass das Revisionsgericht |
• | allein anhand der Revisionsbegründung prüfen könne, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, |
• | wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen sind.[41] |
Daraus folgt zunächst, dass ein bestimmter Verfahrensvorgang konkret behauptet werden muss.[42] Daran fehlt es, wenn der Revisionsführer etwa vorträgt, „nach dem Hauptverhandlungsprotokoll“ habe sich Folgendes zugetragen. Dies wäre eine unzulässige sog. Protokollrüge.[43]
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Eine Bezugnahme auf das Protokoll oder auch nur Hinweise darauf haben in der Revisionsbegründung zu unterbleiben.[44] Denn der Revisionsführer ist nicht verpflichtet, die von ihm behaupteten Verfahrenstatsachen auch zu beweisen.[45] Dies ist eine Frage der Begründetheit, so dass es Aufgabe des Revisionsgerichts ist, den Vortrag darauf hin zu überprüfen, ob die darin behaupteten Tatsachen erwiesen sind. Das Wort „Hauptverhandlungsprotokoll“ sollte daher in der Revisionsbegründung überhaupt nicht auftauchen. Denn ein Hinweis auf das Protokoll erleichtert allenfalls der Staatsanwaltschaft bzw. dem Revisionsgericht das Auffinden der entspr. Verfahrensvorgänge im Hauptverhandlungsprotokoll bei der Prüfung des Erwiesenseins der behaupteten Tatsachen. Die Revisionsbegründung ist jedoch nicht dazu da, dem Revisionsgericht oder der Revisionsstaatsanwaltschaft die Arbeit zu erleichtern.
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Aus der Verpflichtung zur vollständigen Wiedergabe der Verfahrenstatsachen folgt auch, dass z.B. Anträge und Beschlüsse nicht in einer Art Zusammenfassung oder auszugsweise, sondern im genauen Wortlaut und vollständig mitzuteilen sind. Die Wiedergabe von Anträgen und Beschlüssen vollständig im Wortlaut kann im Rahmen der Revisionsbegründung in der Form erfolgen, dass die betreffenden Schriftstücke einkopiert oder gescanned werden, wenn dies im Rahmen der Revisionsbegründung vor der Unterschrift und nicht in Form von Anlagen zur Revisionsbegründungsschrift erfolgt.
Wenn z.B. in der Begründung eines Beweisantrags auf Aktenteile und polizeiliche Zeugenvernehmungen verwiesen wird, sind auch diese neben dem Beweisantrag vollständig in der Revisionsbegründung mitzuteilen.[46] Wenn aber ein zur Begründung einer Rüge (hier: Rüge des Verstoßes gegen §§ 136, 136a StPO) mitzuteilendes polizeiliches Vernehmungsprotokoll nicht in Zusammenhang mit dieser Rüge, sondern bei der zuvor erhobenen Verfahrensrüge vollständig vorgetragen wird, steht dies der Zulässigkeit der Verfahrensrüge nicht entgegen.[47] Allerdings ist Vorsicht geboten. Mindestens ist ein Hinweis erforderlich, bei welcher Rüge auf welcher Seite der Revisionsbegründung die Mitteilung erfolgte. Um ganz sicher zu gehen, sollten die erforderlichen Verfahrenstatsachen bei jeder Rüge vollständig vorgetragen werden. Dies verhindert, dass eine Rüge als unzulässig verworfen wird mit der Begründung, es sei nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus der gesamten Revisionsbegründung die für den notwendigen Vortrag einer bestimmten Verfahrensrüge erforderlichen Mitteilungen selbst herauszusuchen.
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Die Begründungsschrift darf auch keine Bezugnahmen, auch nicht indirekt, auf den Akteninhalt enthalten.[48] Dies gilt insbesondere auch dann, wenn z.B. in einem Beweisantrag anstelle der Anschrift des Zeugen die Aktenseite angegeben ist, auf der sich die Anschrift befindet. Würde in diesem Fall nur der Beweisantrag mitgeteilt, könnte das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung nicht prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, da ihm der Blick in die (in Bezug genommenen) Akten verwehrt ist und es von daher nicht wissen kann, was auf der Aktenseite steht, auf die verwiesen wurde. Die Rüge setzt mithin voraus, dass die im Beweisantrag in Bezug genommene Aktenseite in vollem Wortlaut mitgeteilt wird.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag jeweils an passender Stelle aus anderen Unterlagen zu ergänzen und den Sachzusammenhang selbst herzustellen.[49]
Auch eine Bezugnahme auf Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter führt zur Unzulässigkeit.[50] Dies gilt allerdings nur für den erforderlichen Tatsachenvortrag, so dass etwa auf Rechtsausführungen eines Mitrevidenten verwiesen werden kann. Ob dies sinnvoll ist, ist Frage des Einzelfalles.
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Das Revisionsgericht ist nicht gehindert, bei Prüfung einer Verfahrensrüge den Urteilsinhalt ergänzend zu berücksichtigen, was allerdings die Erhebung der allgemeinen Sachrüge voraussetzt.[51]
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Aus der Notwendigkeit der vollständigen Tatsachenmitteilung ergibt sich ferner, dass alle Ausführungen zu einer Verfahrensrüge vor der Unterschrift unter die Revisionsbegründung erfolgen müssen und auch eine Bezugnahme auf Anlagen zur Revisionsbegründung nicht möglich ist.
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Auch eine Bezugnahme auf eine von einem Verteidiger eines anderen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge scheidet aus. Zulässig ist es jedoch, wenn die Verteidiger mehrerer Angeklagter in einem gemeinschaftlichen Schriftsatz die Revision für beide Angeklagte begründen und die Begründungsschrift von beiden Verteidigern unterzeichnet ist.[52]
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Zur Vollständigkeit des Tatsachenvortrags gehören auch die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Rüge nicht präkludiert ist. Dazu gehört z.B. die Darlegung unter Vortrag des Verfahrensganges, dass ein Verwertungswiderspruch rechtzeitig erhoben, ein Ablehnungsgesuch unverzüglich und damit rechtzeitig angebracht oder eine Besetzungsrüge innerhalb der Frist des § 222a Abs. 1 StPO erhoben wurde.
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Nach der Rechtsprechung des BGH gehört zur Vollständigkeit des Vortrags im Sinne von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ferner, dass der Beschwerdeführer auch solche Tatsachen mitteilt, die der Begründetheit seiner Verfahrensrüge entgegenstehen könnten. Er ist verpflichtet, auch solche Fakten vorzutragen, die für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands sprechen und seiner Rüge den Boden entziehen könnten (Vortrag sog. Negativtatsachen).[53]
Wird z.B. gerügt, dass ein in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag nicht beschieden worden sei, muss vorgetragen werden, dass der Beweisantrag nicht zurückgenommen und der benannte Zeuge nicht vernommen wurde. Wird gerügt, dass z.B. eine richterliche Vernehmungsniederschrift nicht nach § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO hätte verlesen werden dürfen, muss vorgetragen werden, dass die Verfahrensbeteiligten einer Verlesung nach Nr. 3 nicht zugestimmt haben.
Die sich aus dem Erfordernis des Vortrages von Negativtatsachen ergebenden Fallstricke sind mannigfaltig und können an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Der Revisionsführer muss jedoch bei der Abfassung einer Verfahrensrüge genau prüfen, ob nicht ein Vortrag dahingehend erforderlich ist, dass keine Verfahrensgestaltung vorliegt, die seiner Rüge den Boden entziehen könnte.
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Und schließlich gehört zur Vollständigkeit des Vortrags die vollständige Mitteilung von Aktenteilen, die für die Prüfung der Begründetheit der Rüge von Bedeutung sein können, auch wenn sie die Rüge nur mittelbar betreffen.
So ist z.B. bei der Rüge fehlerhafter Verwertung einer Beschuldigtenvernehmung wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflichten oder § 136a StPO der vollständige Inhalt der (unverwertbaren) Vernehmungsniederschrift mitzuteilen. Das Gleiche gilt etwa, wenn eine fehlerhafte Verlesung einer Vernehmungsniederschrift nach § 251 StPO gerügt wird.
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Es empfiehlt sich, sich den Prüfungsgang des Revisionsgerichts zu vergegenwärtigen und eine Verfahrensrüge durch die Brille des Revisionsrichters zu prüfen. So kann jedenfalls der Versuch einer Kontrolle dahingehend unternommen werden, ob der Tatsachenvortrag genau und vollständig i.S.d. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ist.
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Zwar ist es grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen die Möglichkeit eines Beruhens nicht leicht zu erkennen ist, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann.[54] Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezieht.[55] Dementspr. hat der BGH gerade auch im Zusammenhang mit Rügen der Verletzung von § 265 StPO wiederholt darauf hingewiesen, dass auch dem Revisionsvorbringen nichts zu entnehmen ist, was das (negative) Ergebnis seiner Beruhensprüfung in Frage stellen könne.[56]
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Checkliste – Der Prüfungsgang des Revisionsgerichts: [57] |
1. Zulässigkeitsprüfung |
Das Revisionsgericht liest ausschließlich die Revisionsbegründung unter dem Gesichtspunkt, ob die behaupteten Tatsachen so vollständig und genau vorgetragen sind, dass sich daraus der behauptete Rechtsfehler ergeben könnte. Falls dies nicht der Fall ist, wird die Rüge als unzulässig verworfen. |
2. Erwiesenheitsprüfung |
Ist die Zulässigkeitshürde genommen, prüft das Revisionsgericht, ob die behaupteten Tatsachen bewiesen sind. Dazu wird in erster Linie das Hauptverhandlungsprotokoll mit der ihm zukommenden (eingeschränkten) absoluten Beweiskraft herangezogen. Enthält das Protokoll Lücken oder ist es widersprüchlich, entfällt die Beweiskraft. Das Revisionsgericht geht dann in das sog. Freibeweisverfahren über, um das Erwiesensein des Tatsachenvortrags der Revision zu überprüfen. Dazu kann es alle sinnvoll erscheinenden Erkenntnisquellen nutzen. In erster Linie werden dienstliche Erklärungen der beteiligten Richter ggf. auch des Staatsanwalts zum Tatsachenvortrag der Revision eingeholt. Auch der Verteidiger wird zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Ihm sind alle anderen eingeholten Erklärungen mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zu übersenden. Anhand des Ergebnisses der eingeholten Äußerungen prüft das Revisionsgericht, ob die behaupteten Tatsachen erwiesen sind. Zweifel gehen zu Lasten des Revisionsführers. [58] |
3. Rechtsfehlerprüfung |
Ist der Tatsachenvortrag erwiesen, findet die eigentliche Prüfung des Rechtsfehlers statt, also ob. z.B. ein Beweisantrag tatsächlich rechtsfehlerhaft abgelehnt wurde. |
4. Beruhensprüfung |
Liegt nach Auffassung des Revisionsgerichts ein relativer Verfahrensfehler vor, erfolgt die Prüfung, ob das Urteil darauf beruht. |