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ОглавлениеTeil I Allgemeine Grundsätze des Revisionsverfahrens › IX. Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage
IX. Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage
Teil I Allgemeine Grundsätze des Revisionsverfahrens › IX. Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage › 1. Vorbemerkung
1. Vorbemerkung
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Die Staatsanwaltschaft kann ein Urteil zuungunsten, aber auch zugunsten des Angeklagten anfechten. Letzteres dürfte wohl eine seltene Ausnahme sein. Aber auch eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wirkt nach § 301 StPO zugunsten des Angeklagten, so dass im Falle der Erhebung der (allgemeinen) Sachrüge durch die Staatsanwaltschaft das Revisionsgericht das Urteil auch auf materiell-rechtliche Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten überprüft.
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Die Erfolgsquote zuungunsten des Angeklagten eingelegter staatsanwaltlicher Revisionen gegen erstinstanzliche landgerichtliche Urteile ist hoch. Sie dürfte bei ca. 90 % liegen. Dies hat mehrere Gründe. Staatsanwaltliche Revisionen müssen mehrere Hürden nehmen. Zum einen sind die Dezernenten angehalten, nur bei krasser Abweichung von den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft Revision einzulegen (Nr. 147 RiStBV). Im Vergleich zu Angeklagtenrevisionen sind daher die Anzahl der Revisionen der Staatsanwaltschaft eher gering.
Eine Revision des Dezernenten der Staatsanwaltschaft durchläuft sodann zwei Kontrollinstanzen.
Zunächst prüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob das Rechtmittel erfolgversprechend ist. Wird die Frage verneint oder soll die Revision aus anderen Gründen nicht durchgeführt werden, erfolgt eine Revisionsrücknahme. Soll die Revision nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft durchgeführt werden, werden die Akten mit einer rechtlichen Stellungnahme dem Generalbundesanwalt zugeleitet. Dort werden erneut die Erfolgsaussichten geprüft. Werden sie verneint, erfolgt in der Regel eine Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, diese zur Revisionsrücknahme zu bewegen. Die Staatsanwaltschaft hat sodann die Möglichkeit, die Revision zurückzunehmen oder entgegen der Empfehlung des Generalbundesanwalts die Revision weiter zu verfolgen. In letzterem Fall tritt der Generalbundesanwalt der Revision nicht bei. Er übersendet die Akten mit seiner Erklärung, dass der Revision nicht beigetreten werde und einer rechtlichen Stellungnahme dem zuständigen Strafsenat.
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In aller Regel wird auf eine Revision der Staatsanwaltschaft unabhängig davon, ob der Generalbundesanwalt sie vertritt oder ihr nicht beitritt, ein Termin zur Revisionshauptverhandlung anberaumt. Eine Verwerfung einer Revision der Staatsanwaltschaft im Beschlusswege nach § 349 Abs. 2 StPO ist – soweit ersichtlich – eine Rarität. Über die Revision der Staatsanwaltschaft wird daher in der Regel durch Urteil entschieden. Diese Praxis der Revisionsgerichte ist unverständlich. Warum bei einer nach Auffassung des Revisionsgerichts offensichtlich unbegründeten Revision der Staatsanwaltschaft eine zeitaufwändige Revisionshauptverhandlung durchgeführt wird, ist kaum nachvollziehbar, braucht aber an dieser Stelle nicht vertieft zu werden.
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Haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, hat das Revisionsgericht die Möglichkeit der „gespaltenen“ Entscheidung: Die Revision des Angeklagten kann im Beschlusswege nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden, über die Revision der Staatsanwaltschaft wird nach Revisionshauptverhandlung durch Urteil entschieden. Diese Verfahrensweise benachteiligt den Angeklagten, denn ihm wird im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft die Möglichkeit genommen, in einer Revisionshauptverhandlung seine Argumente zu vertiefen und zu ergänzen. Dies ist auf erhebliche Kritik gestoßen[1], vom BVerfG allerdings nicht beanstandet worden.[2]
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Auch bei gespaltener Entscheidung besteht für den Verteidiger noch ein gewisser Handlungsspielraum. Ist seine Revision nicht vor der Hauptverhandlung bereits durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden, kann er in der Revisionshauptverhandlung über die Revision der Staatsanwaltschaft zu materiell-rechtlichen Fehlern des Urteils zum Nachteil des Angeklagten Stellung nehmen, da die Revision der Staatsanwaltschaft auch zugunsten des Angeklagten wirkt und das Revisionsgericht auch auf eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil auf den Angeklagten benachteiligende sachlich-rechtliche Rechtsfehler prüfen muss.
Teil I Allgemeine Grundsätze des Revisionsverfahrens › IX. Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage › 2. Verteidigungsaktivitäten
2. Verteidigungsaktivitäten
a) Revision der Staatsanwaltschaft
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Allein die Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft erfordert keine besonderen Tätigkeiten. Denn es ist zum einen ungewiss, ob die Revision nicht wieder zurückgenommen wird, zum anderen kann erst zur konkreten Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft Stellung genommen werden.
Begründet die Staatsanwaltschaft die Revision, ist diese dem Verteidiger zuzustellen, § 347 Abs. 1 S. 1 StPO. Dazu kann innerhalb von einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung abgegeben werden, § 347 Abs. 1 S. 2 StPO.
Hat die Staatsanwaltschaft nur die Verletzung materiellen Rechts gerügt, ist eine Gegenerklärung innerhalb der Wochenfrist nicht erforderlich. Gleichwohl sollte zu der Revisionsbegründung zügig Stellung genommen werden, da fundierte Gegenargumente die Prüfung der Erfolgsaussichten durch die Generalstaatsanwaltschaft und den Generalbundesanwalt beeinflussen können. Auch können an dieser Stelle bereits materiell-rechtliche Fehler zum Nachteil des Angeklagten geltend gemacht werden.
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Hat die Staatsanwaltschaft Verfahrensrügen erhoben, sind mehrere Punkte zu prüfen. Zum einen muss untersucht werden, ob die Verfahrensrüge den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entspricht.[3] Ferner ist zu prüfen, ob der Tatsachenvortrag (durch das Protokoll) bewiesen wird. Ist der Tatsachenvortrag unvollständig oder wird er durch das Protokoll nicht bewiesen, ist dies in der Gegenerklärung mitzuteilen.
Insgesamt sollte sich die Gegenerklärung auf eine Stellungnahme zu den Formalien beschränken. Eine inhaltliche Stellungnahme zur Begründetheit der Rügen kann dann im weiteren Verfahren erfolgen, das oben unter Rn. 82 ff. beschrieben wurde.
b) Revision der Nebenklage
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Bei einer Revision der Nebenklage gelten die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft entsprechend.
Bei Revisionseinlegung durch die Nebenklage sollte allerdings sogleich die Zulässigkeit der Anfechtung geprüft werden. Nach § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger das Urteil nicht allein mit dem Ziel einer anderen (schärferen) Rechtsfolge anfechten.[4] Auch Rechtsfehler bei der Anwendung oder Nichtanwendung von Strafgesetzen, die nicht den Anschluss zur Nebenklage berechtigen, können nicht Gegenstand eines Revisionsangriffs sein. Der Nebenkläger kann sein Rechtsmittel nur darauf stützen, dass eine Rechtsvorschrift über ein Nebenklagedelikt verletzt ist, der Angeklagte insoweit z.B. freigesprochen oder er nur wegen einer anderen Norm verurteilt wurde.[5] Im Falle der Fristversäumnis ist dem Nebenkläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen; ein Wiedereinsetzungsgesuch muss entspr. begründet werden.[6]
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, sollte der Verteidiger die Unzulässigkeit der Revision der Nebenklage geltend machen.
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Hat der Nebenkläger die Revision begründet, ist zu prüfen, ob aus der Revisionsbegründung das Anfechtungsziel eindeutig hervorgeht. Grundsätzlich ist der Nebenkläger verpflichtet, das Ziel seines Rechtsmittels ausdrücklich und eindeutig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist anzugeben.[7] Ist der Angeklagte z.B. nicht wegen des angeklagten Nebenklagedelikts sondern „nur“ wegen eines nicht zum Anschluss berechtigenden anderen Delikts verurteilt worden, reicht die Erhebung allein der nicht ausgeführten allgemeinen Sachrüge nicht aus.[8]
Ist nach diesen Grundsätzen die Revision der Nebenklage unzulässig, sollte dies bereits in der Gegenerklärung vorgetragen werden.