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1. Innerdeutsch
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Der Grundsatz „ne bis in idem“ hat das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs zur Folge.[20]
Grundlage für die Prüfung einer möglichen unzulässigen Doppelbestrafung ist der sog. prozessuale Tatbegriff. Darunter wird ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang verstanden, der sich nach natürlicher Auffassung als einheitlicher Lebensvorgang darstellt und sich von anderen gleichartigen Vorfällen unterscheidet.[21] Bei mehreren Vorgängen innerhalb eines Lebenssachverhalts muss die Verknüpfung zwischen ihnen so beschaffen sein, dass eine Aburteilung in getrennten Verfahren zu einer unnatürlichen Aufspaltung des einheitlichen Geschehens führen würde.[22]
Als Beispiele aus der Fülle der Fallkonstellationen seien nur genannt:
Unfallflucht bei Trunkenheitsfahrt; Fahren ohne Fahrerlaubnis auf Flucht nach Raubüberfall oder bei Begehung von Diebstählen, Brandstiftung und anschließender Versicherungsbetrug.
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Bei materiell-rechtlicher Tateinheit liegt i.d.R. auch eine Tat im prozessualen Sinn vor. Dies ist insbesondere für die Fälle sog. Bewertungseinheit von Bedeutung. So gilt z.B. für das Betäubungsmittelstrafrecht: Erfasst das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Rahmen ein- und desselben Güterumsatzes aufeinanderfolgende Handlungen, wie Erwerb, Einfuhr, Veräußerung und Ablieferung des Gewinns, so werden diese Einzelakte im Wege der Bewertungseinheit zu einer Tat verbunden.[23]
Eine Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von BtM (hier: mehrere Joints) verbraucht die Strafklage hinsichtlich bei gleicher Gelegenheit eingeführter weiterer BtM auch in großen Mengen.[24]
Ein Strafbefehl wegen Führens eines Fahrzeugs unter Einfluss berauschender Mittel verbraucht die Strafklage für unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln (unter Mitführung eines gefährlichen Gegenstandes).[25]
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Strafklageverbrauch wird jedoch dann verneint, wenn das noch nicht abgeurteilte Delikt wesentlich schwerer wiegt als das Verurteilte. So soll z.B. eine Verurteilung wegen Hehlerei die Strafklage hinsichtlich eines vorangegangenen Raubes nicht verbrauchen.[26] Ähnliches gilt bei Dauerstraftaten. Wenn die anderen Straftaten das Gewicht der Dauerstraftat erheblich übersteigen, soll kein Strafklageverbrauch eintreten, z.B. bei unerlaubtem Waffenbesitz und schwerem Raub.[27]
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Ausnahmen bestehen auch bei Organisationsdelikten (z.B. §§ 99, 129 ff. StGB). Das Organisationsdelikt soll solche Taten nicht zur Tateinheit verklammern, die gegenüber dem Organisationsdelikt wesentlich schwerer wiegen, z.B. Verurteilung wegen eines Vergehens der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und ein in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangenes Verbrechen.[28]
Das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs tritt erst mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ein. Davor besteht das Verfahrenshindernis der doppelten Rechtshängigkeit.[29]
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Nur eine Entscheidung in der Sache verbraucht die Strafklage, nicht dagegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens oder ein Einstellungsbeschluss nach § 206a StPO.
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Ein Strafbefehl verbraucht die Strafklage wie ein rechtskräftiges Urteil.[30]
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Auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO bewirkt (teilweise) das Prozesshindernis, wobei im Falle der Einstellung nach § 153a StPO die Auflagen erfüllt sein müssen.[31]
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Eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft soll keine Rechtskraftwirkung entfalten.[32] Dagegen bewirkt ein gerichtlicher Einstellungsbeschluss einen beschränkten Strafklageverbrauch.[33] In jedem Fall tritt das Prozesshindernis nicht ein, wenn sich die Tat als Verbrechen darstellt.
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Ob das Verfahren bei Vorliegen neuer Tatsachen wieder aufgenommen werden kann, etwa wenn durch neue Tatschen die geringe Schuld in Frage gestellt wird, ist heftig umstritten. Der BGH verneint wohl aus rechtssystematischen Erwägungen die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens bei Vorliegen neuer Tatsachen, sofern die Tat nicht als Verbrechen einzustufen ist.[34] Ein Teil der Literatur will dagegen die Wiederaufnahme jedenfalls dann zulassen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die eine erhöhte Strafbarkeit begründen.[35]
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Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO bewirkt (bei Erfüllung der Auflagen) ein Prozesshindernis, das die gesamte Tat im Sinne des § 264 StPO umfasst. Es bezieht sich jedoch nicht auf die Strafverfolgung derselben Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Verbrechens, vgl. § 153a Abs. 1 S. 5 StPO.[36]