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Leibrand stand an der Straße und sah dem Auto nach. Suzanne steckte ihren Kopf aus dem Fenster und winkte ihm zum Abschied. Ihre feuerroten Haare glichen Flammen, die zum Himmel loderten.

»Ich denk an dich«, hatte sie ihm noch gesagt.

»Und ich werde dich nie vergessen«, hatte Leibrand versprochen.

Sein Vater war schon wieder betrunken und plärrte seinen Namen. Er solle sich gefälligst ins Haus scheren, außer er wolle unbedingt auch verschleppt werden wie die andere dumme Göre.

Leibrand ging ins Haus zurück, schlich die Treppe nach oben in sein Zimmer. Er hatte Suzanne geküsst, und er träumte von ihr. Ihre Lippen waren warm gewesen und hatten nach Zuckerwatte, nach Rummelplatz, geschmeckt. Sein Herz war einen Augenblick stehen geblieben, ein kurzer heftiger Schmerz floss durch seinen Körper. So muss es sein, wenn man einen Stromschlag bekommt, dachte sich Leibrand; genau so.

Etwas hatte sich geändert, die Welt drehte sich nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit. Das Licht war anders, die Luft schmeckte nach den Flügelschlägen von Schmetterlingen.

Bilder in seinem Kopf, da waren sie. Leise fremde Musik, jemand sprach ein Gedicht. Von Wolfsgeheul und Wetterleuchten.

Suzanne.

Suzanne.

Es ist noch nicht dunkel, aber es dämmert schon.

Feuerrote Haare, die selbst noch im Schatten brannten.

Es war früher Nachmittag, die Sonne schien durch das Fenster seines Zimmers und malte einen Schatten hinter den Jungen. Seine Eltern stritten sich in der Küche unter ihm. Suzanne hatte ihm ein Buch geschenkt.

»Es ist das Wertvollste, was ich besitze, weißt du.« Von ihren Händen in seine Hände gewandert, warm.

In seinem Zimmer sah es Leibrand zum ersten Mal an. Ein zerschundenes Taschenbuch. Auf der Titelseite ein gemaltes Bild einer Straße im Schneetreiben, irgendwo in Amerika. Vielleicht New York City, wer konnte das schon sagen. Er strich mit den Fingern darüber und fühlte den Schnee, eisig.

Lächelte.

Eine Straßenlaterne, hell leuchtend. Eine verschneite Parkbank, weit hinten noch eine. Riesige Bäume mit langen, knorrigen Ästen, auf denen Schnee lag. Inmitten des Bildes eine Frau, die einen kleinen Hund an der Leine führte. Sie sahen ihn an, tief in seinen Bauch.

Er schlug das Buch auf.

Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte

von

Paul Auster

Leibrand hatte noch nie in seinem Leben von einem Paul Auster gehört. Hätte es damals schon Internet gegeben, hätte Leibrand ihn natürlich in Wikipedia gefunden, aber jetzt war es nur ein Buch von einem Mann, den er nicht kannte.

Leibrand hätte dann auch herausgefunden, dass das Buch noch gar nicht geschrieben worden war. Es sollte erst 1990 zu den Weihnachtstagen in der Zeitung New York Times veröffentlicht werden.

Aber dennoch hielt er es an diesem Sommernachmittag in den Händen; die Sonne wärmte seine Arme, und er hörte die Mücken vor dem Fenster summen.

Es braucht Geschichten, um das Leben zu verstehen, sagt man. Leibrand sog die Geschichte in sich, versteckte sie zwischen Herz und Seele. Von einem Augenblick auf den anderen wurde Leibrand klar – hier war Amerika. Überall konnte es sein, aber für ihn war es genau hier. Kind und Erwachsener im gleichen Moment: Leibrand gelang es für die kurze Zeit, die er benötigte, alles wahrzunehmen, was in der Boogie Street vor sich ging. Das Licht und die Dunkelheit, das Zwielicht, für einige Minuten.

Er schloss seine Augen und sah Suzanne. Sein Herz pochte. Und er fing damit an, Amerika-Plakate zu malen. So, wie er es bis zu seinem Sterben machen sollte.

Amerika-Plakate

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