Читать книгу Amerika-Plakate - Richard Lorenz - Страница 24
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ОглавлениеSämtliche Postkarten wurden gesucht, das einzige Plakat, das über dem Bett hing, ein Bild eines Bahnhofes, lag auf dem Schreibtisch. Wasserfarben aus den Schubladen gekramt, stumpfe Pinsel in das Wasser getaucht, das er am Morgen nicht ausgetrunken hatte.
Blau war die Farbe der Träume.
Blau wie eine Sternennacht.
Wir können uns eigene Augen malen, eigene Gesichter. Von Menschen, die wir sein wollten, immer schon.
Gib mir deine Hand.
Wasseraugen.
Wasserherzen.
Wasserseelen.
Mal mir deine Augen, damit ich sehe, was du siehst. Die Ungeheuer mit den pulsierenden Adern. Sie können deine Wasserherzen nicht mehr fressen.
Gib mir Hoffnung.
Gib mir Zuversicht.
Brooklyn, New York City.
Ein Mädchen, ein Junge. Ein Kuss auf einer verschneiten Straße.
Jesse James und der verlorene Revolver und das Kind
ohne Schutzengel.
Blau spritzte über das Parkett. Leibrands Augen halb geöffnet, die Lider zitternd.
Der Teufel gewinnt, der Teufel gewinnt, der Teufel gewinnt.
Bitte.
Halt mich fest, so fest du nur kannst.
In der Boogie Street tanzen heute alle
Toten,
frisch ausgemalt tief innen drin.
In Philadelphia kennen drei Engel meinen Namen,
wir
brauchen
dich.
Ein leises Stöhnen aus Leibrands Zimmer, ich sah hinauf. Ich konnte ihn kaum sehen, seine Bewegungen waren fahrig. Er schleuderte eine Postkarte aus dem Fenster, die sich in der Luft drehte und mitten auf der Straße zu liegen kam. Verkehrt herum, ohne dass ich sehen konnte, was darauf war, blieb sie im Staub liegen.
Teufel und Staub,
Staub und vier Teufel.
Der Stein in meiner Hand ritze eine Null in den Asphalt, und ich wünschte mir, die Postkarte wäre nach Amerika geflogen.
Ich sah wieder nach oben; Leibrand stützte sich mit beiden Händen am Schreibtisch ab, seine dunklen Haare verschwitzt im Gesicht. Vielleicht weinte er sogar.
Es war der Tag, jener späte Sommernachmittag, ein Tag nach dem Verschwinden Mathildas, als mir bewusst wurde, dass Leibrand alles und jeder hätte sein können, wenn er es nur wollte. Solche Menschen gab es, zwar nicht sehr viele, aber sie existierten. Ausbrechend aus den Maskenmenschen, die durch die Städte streifen wie Wartende auf den nächsten Autobus. Ein Mensch, der uns alles offenbaren konnte, ein Mensch, der seinen Leib öffnete, um uns alle sein pochendes Herz schlagen hören zu lassen.
Ich sah zur Postkarte und ich wollte sie vergessen. Aber das konnte ich nicht, sie lag da, als würde sie alleine nur auf mich warten. Den Kieselstein in einer geschlossenen Hand, ging ich. Die Postkarte flüsterte meinen Namen. Hob sie aus dem Staub. Drehte sie um.
Blau war die Farbe, alles übertüncht. Aufgewellt und noch an den Enden feucht von der Wassertinte. Ein großes hohes Haus, vielleicht ein Wolkenkratzer. Tausend Fenster, hell erleuchtet. Hoch oben ein blauer, fetter Mond, ein Wolfsmannmond. Durch ein Fenster ein Loch, mit dem Pinselende gestoßen.
Zitternd, während oben Leibrand tiefe Atemzüge ausstieß, hielt ich sie gegen die Sonne und blickte durch das Fenster der Postkarte.
Ein Auge geschlossen, ein Auge weit offen.
Blau.