Читать книгу Amerika-Plakate - Richard Lorenz - Страница 8
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ОглавлениеIch sitze hier in meiner Küche, draußen regnet es bereits seit einigen Stunden. Dunkelgrau der Himmel, Wolkenfetzen. Vor mir auf dem Tisch liegt ein Paket. Ich habe es noch nicht aufgemacht, obwohl es da schon über eine Stunde liegt. Oben in den Zimmern höre ich meine Kinder, meine Frau telefoniert im Wohnzimmer mit einer Freundin, ich höre sie lachen. Ich liebe sie sehr.
Die Regentonne vor dem Fenster läuft über, Blätterschiffe torkeln durch den Sturm.
Vier Pakete und unzählige Briefe sind seit dem Tod Leibrands vor vier Jahren angekommen. Tagebücher, Notizbücher, Skizzen und vor allem Leinwände (die größte so hoch wie eine Tür, die kleinste im Format einer Postkarte) – voll mit seinen Amerika-Plakaten. Ich habe nie herausgefunden, wer sie mir wohl schickt, und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch nicht, es herausfinden zu wollen. Sie kommen aus der Vergangenheit, so viel ist sicher.
Alles im Leben schließt sich. Ich denke zum Ende hin kommen alle Dinge wieder ins Lot. Einige seiner Briefe habe ich gelesen, spätnachts, und ich muss zugeben, ich hatte mir ein wenig Mut dafür antrinken müssen. Leibrand fehlt mir. Für eine lange Zeit war er ein Teil meiner selbst, manchmal ein Bruder, meist sogar wie ein Vater, der auf mich aufpasste und mich beschützte. Vermutlich begegnet man solchen außergewöhnlichen Menschen nur einmal im Leben. Dennoch war mir Leibrand aus den Händen geglitten, wie ein Fisch aus unerfahrenen Kinderfingern, am Bachufer. Wenngleich ich weiß, dass ich ihn niemals hätte retten können, fühle ich mich schuldig, nichts für ihn getan zu haben.
Das Paketpapier ist nass, die Schrift darauf ein wenig verschmiert, aber noch lesbar. Zwei, drei schmale Bücher, mehr werden es heute kaum sein. Absenderadresse: Brooklyn, letztes Haus links, Amerika. Natürlich weiß ich, dass Leibrands Brooklyn überall sein konnte. Selbst Amerika konnte gleich hinter unserem Haus beginnen; ich hatte alles gesehen. Dinge, die ich meiner Frau nicht erzählen kann. Sie würde mich für verrückt halten.
Draußen zieht ein Gewitter auf. Das Licht beginnt schon zu flackern.