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Ich wollte an diesem Tag noch einmal kurz nach Leibrand schauen. Das Fenster zu seinem Zimmer stand offen. Unten, aus der Küche, hörte ich Leibrands Mutter weinen, während sein Vater wie ein Gespenst am Tisch saß. Immer wieder aufwachte und keifte. Jeder wusste davon, jeder hörte es. Ich glaubte nicht, dass er Leibrand schlug, aber ich glaubte sehr wohl, dass er seine Frau schlug. Wir hörten alle weg, sobald wir dieses scheußliche Geräusch hörten, dieses harte Klatschen auf Fleisch. Mein Vater war nach einem Streit, der besonders heftig war, zu ihnen rüber gegangen. Jetzt schlägt er sie tot, einfach tot, hatte mein Vater gesagt im Gehen und vermutlich wäre das auch passiert. Die ganze Straße, die keine Eintrittskarten kaufen musste für dieses Theater, schien hilflos. Hätte Leibrand nicht seinen Schrank gehabt und seine Schrankgeschichten, würde er vermutlich längst auf dem Friedhof liegen.

Raben durchschlugen die Stille, als ich die gekieste Einfahrt runterging zur Straße und hochsah zu Leibrands Fenster. Leise sprach ich seinen Namen, aber natürlich hörte er mich nicht. Die Äste des Kastanienbaumes neben dem Haus reichten beinahe zum Fenstersims. In einigen Jahren würden die Zweige an das Fensterglas klopfen wie Gespensterfinger zur Mitternacht.

Ich ging nicht gern in dieses Haus, nicht gern in sein Zimmer. Allein der Schrank war ein sicherer Ort, schien nicht wirklich in diesem Haus zu sein. Die Monster, die wirklichen Monster, erkennt man an den Augen. Sie streunen durch die Welt wie unerkannte Werwölfe. Ein Werwolf bäumte sich gerade von einem Küchentisch auf, schlug um sich. Der volle, blutende Mond inmitten eines niedrigen Zimmers.

Wer weiß, vielleicht hatte sich ein Werwolf auch Mathilda geholt. An einen Ort gebracht, an dem es immerfort dunkel ist. Mathilda saß vier Bänke hinter mir in der Schule. Wenn sie aufgeregt war, fing sie an zu stottern. Wir nannten sie dann immer Stotter-Hilda, aber das tat mir jetzt unendlich leid. Ihr Großvater war vor einem Jahr gestorben, ich war mit meinen Eltern bei der Beerdigung. Ein großes Loch, in das es hineinregnete. Mathilda war eine Woche lang nicht zur Schule gekommen, und am ersten Tag, an dem sie wieder kam, hat sie nicht so gelächelt, wie sie es sonst tat. Vielleicht war sie schon bei ihrem Großvater im Himmel.

Ich setzte mich auf den Bordstein und kratzte mit einem Stein Buchstaben auf den Asphalt. Bald würde ich hinübergehen zu Leibrand.

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