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2. Persönliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione personae)

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Eine Unvereinbarkeit ratione personae liegt vor, wenn dem Bf. die Opfereigenschaft fehlt oder er nicht aktiv legitimiert (zur Parteifähigkeit des Bf. ab Rn. 101) oder der Beschwerdegegner nicht passiv legitimiert ist.[11]

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Tauglicher Beschwerdegegenstand eines Verfahrens vor dem EGMR ist unter diesem Gesichtspunkt in erster Linie hoheitliches staatliches Handeln eines Vertragsstaats. Darunter fallen alle Handlungen staatlicher Behörden und Institutionen sowie Zustände, die durch staatliche Organe aller drei Gewalten verursacht worden sind oder dem betreffenden Vertragsstaat wenigstens zugerechnet werden können. Sowohl ein aktives Handeln als auch ein Unterlassen des Staates (Verstoß gegen eine Schutzpflicht) kommen hierbei als Anknüpfungspunkt in Betracht.

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Beschwerden gegen das Verhalten natürlicher Einzelpersonen oder privater Organisationen sind nicht statthaft. Dass (auch) Private an einer eingriffsrelevanten Maßnahme beteiligt sind, schließt die staatliche Verantwortlichkeit für ihre Folgen aber dann nicht aus, wenn das private Handeln staatlich veranlasst ist oder gegenüber dem staatlichen Anteil oder Einfluss an der Gesamtsituation in den Hintergrund tritt.[12] Ohne eine solche staatliche Veranlassung oder Einflussnahme kann ein Handeln Privater nur dann Gegenstand einer Individualbeschwerde sein, wenn der Konventionsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, eine (positive) Schutzpflicht zur Verhinderung des mit dem privaten Handeln verbundenen „Eingriffs“ in die Rechtssphäre des Bf. hat.[13]

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Auch Rechtsakte der EU konnten bisher nicht unmittelbar Beschwerdegegenstand eines Verfahrens von dem EGMR sein, obwohl die Grundrechte, wie sie sich aus der EMRK und aus den allgemeinen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten ergeben, gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bindungswirkung für die Union entfalten. Da die EU nicht Mitglied des Europarats ist und daher der EMRK nicht beitreten konnte (vgl. Art. 59 Abs. 1 EMRK a.F.),[14] ist sie bis zu einem, nach dem Inkrafttreten des 14. P-EMRK am 1.6.2010 jetzt möglichen Beitritt, nicht direkt an die EMRK, sondern an die durch die Rechtsprechung des EuGH – u.a. aus der (bis 2009 rechtlich formal unverbindlichen) EU-Charta der Grundrechte[15] – entwickelten Unionsgrundrechte gebunden.[16] Mit dem ablehnenden Gutachten des Plenums des EuGH aus dem Jahr 2014 scheint der Beitritt jedoch wieder in weite Ferne gerückt.[17]

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Andererseits sind die Vertragsstaaten der EMRK für Handlungen verantwortlich, die sie in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen oder im Zusammenhang mit solchen Verpflichtungen übernommen haben (Matthews).[18] Deshalb sind die EU-Mitgliedstaaten – als Mitglieder des Europarates und Unterzeichner der EMRK – (zusätzlich) unmittelbar an die Garantien der EMRK gebunden, unabhängig davon, ob sie nationales, EU-Recht oder sonstiges internationales Recht umsetzen oder anwenden. Die Umsetzung und Ausführung von Unionsrecht auf nationaler Ebene ist also über eine „mitgliedstaatliche Anknüpfung“ auch durch den EGMR überprüfbar.[19] Wie eng der EGMR diese Anknüpfung zukünftig interpretieren wird, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen. Eine Analyse der bisher ergangenen Urteile des EGMR mit Unionsrechtsbezug lässt durchaus den Schluss zu, dass der EGMR den Vertragsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein konventionswidriges Handeln von Organen der Union (z.B. die Missachtung von Verfahrensgarantien durch den EuGH) zurechnet.[20]

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Im Urteil Bosphorus hatte der EGMR allerdings noch eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt und betont, dass der Schutz der Menschenrechte durch das Unionsrecht in einer der EMRK entsprechenden Art und Weise gewährleistet sei (equivalent), solange nicht offensichtliche Mängel zu Tage träten (manifestly deficient).

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Davon wird aber wegen der wechselseitigen Beeinflussung der beiden Gerichtshöfe bei der Auslegung der Garantien der EMRK bzw. der Unionsgrundrechte durch den EuGH – die daraus resultiert, dass beide Gerichtshöfe auf die Rechtsprechung des jeweils anderen Bezug nehmen[21] – kaum je auszugehen sein. Der EuGH fügt die Unionsgrundrechte und rechtsstaatlich gebotenen Verfahrensgarantien – unter Berufung auf die EMRK und die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquelle – als allgemeine Rechtsgrundsätze ins primäre Unionsrecht ein,[22] bzw. zieht die EMRK als Auslegungshilfe für die Charta der Grundrechte heran.

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Daraus wird man folgern können, dass ein Staat (grundsätzlich) nicht dadurch gegen die Konvention verstößt, wenn er zwingende rechtliche Vorgaben des Unionsrechts in sein nationales Recht implementiert.[23] Besteht dagegen für die Mitgliedstaaten bei der Anwendung und Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben ein gewisser (Ermessens-)Spielraum, so nimmt der EGMR eine vollumfängliche Überprüfung der mitgliedstaatlichen Maßnahme am Maßstab der EMRK vor.[24] Die Vermutung der Übereinstimmung mit der Konvention besteht dem EGMR zufolge ebenso nicht, wo mitgliedstaatliche Gerichte es unterlassen, zur Klärung der Menschenrechtskonformität des Sekundärrechts den Fall dem EuGH vorzulegen; für diese Fälle besteht der Gerichtshof auf seiner Prüfungskompetenz.[25]

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Auch außerhalb des Unionsrechts dürfen die Vertragsstaaten der EMRK durch den Abschluss internationaler Verträge und der damit verbundenen Übertragung von Hoheitsrechten keine konventionswidrigen Zustände schaffen. Ist allerdings ein Handeln staatlicher Stellen effektiv einer internationalen Organisation zuzurechnen (z.B. den UN), die selbst nicht Vertragspartei der EMRK sein kann, so ist eine Zuständigkeit des EGMR ratione personae zu verneinen.[26]

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