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3. Zeitliche Anwendbarkeit der EMRK (ratione temporis)

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Der Gerichtshof ist für die Untersuchung eines ihm vorgelegten Sachverhalts nur zuständig, wenn das den behaupteten Konventionsverstoß verursachende Ereignis (fact constitutive of the alleged interference) zu einer Zeit eingetreten ist, zu der die Konvention bzw. eines ihrer Zusatzprotokolle für den betroffenen Vertragsstaat bereits in Kraft getreten war.[27]

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Stichtag für die Geltung der EMRK im (alten) Bundesgebiet ist der 3.9.1953 (1. ZP: 13.2.1957; 4. ZP: 1.6.1968; 6. ZP: 1.8.1989; 13. ZP: 1.2.2005. Für Deutschland noch nicht in Kraft getreten sind das 7. und 12. ZP (beide gezeichnet).[28]

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Die Zuständigkeit des EGMR ergibt sich nicht daraus, dass der Bf. ein Verfahren wegen der in Frage stehenden Handlungen angestrengt hat, das bei Beitritt noch nicht erledigt ist bzw. erst danach eingeleitet wird.[29] Allerdings kann ein nationales Urteil selbst unter gewissen Umständen einen Verstoß gegen die Konvention darstellen, allerdings nur, wenn der Vorwurf darüber hinaus geht, dass die vor Inkrafttreten der EMRK erfolgten Eingriffe bestätigt oder gutgeheißen werden.[30] Die Ratifizierung der EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten allerdings nicht, begangenes Unrecht bzw. einen Schaden wiedergutzumachen, der vor der Ratifizierung der Konvention eingetreten ist. Eine nach dem Inkrafttreten der Konvention ergehende Entscheidung eines nationalen Gerichts, die den eigentlichen Eingriff in ein Konventionsrecht (fact constitutive of the alleged interference) bestätigt, vermag die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs nicht zu eröffnen.

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Auch die Vollstreckung eines vor dem Beitritt zur Konvention ergangenen Urteils eröffnet nicht den Anwendungsbereich der Konvention, sofern nicht in diesem Vorgehen eine sich (täglich) neu ereignende Konventionsverletzung zu sehen ist.[31]

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Wird eine staatliche Maßnahme allerdings erst nach bzw. durch den Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens endgültig (i.S.v. wirksam, definitive act), kann das letztinstanzliche Urteil ebenfalls einen – in zeitlicher Hinsicht – selbstständigen Eingriff in das von der Konvention geschützte Recht darstellen. Ein verfassungsgerichtliches Überprüfungsverfahren bleibt aber außer Betracht, wenn die fachgerichtliche Entscheidung in Rechtskraft ergangen ist (auch wenn das Verfahren zum gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK zu erschöpfenden nationalen Rechtsschutz gehört).[32]

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Die Zuständigkeit ratione temporis wird vom EGMR zudem insofern „weich“ interpretiert, als er bereits mehrfach auf das „Fortdauern“ eines vor dem Inkrafttreten der Konvention eingetretenen Ereignisses und seiner Folgen abgestellt und so die zeitliche Anwendbarkeit der Konvention auf den gerügten Sachverhalt insgesamt bejaht hat.[33] Dies kommt allerdings nur bei einem – und sei es nur im Hinblick auf die Folgen – fortwährenden bzw. dauerhaften Eingriff in die Rechte des Betroffenen (continuing situation), nicht aber bei einem zeitlich abgeschlossenen, momentanen Eingriff (single instantaneous act) in Betracht, dessen Wirkungen nur fortdauern, wie etwa der Eigentumsentzug bei einer vollzogenen Enteignung.[34] In der durch einen vor dem Beitritt erfolgten Eingriff geschaffenen Rechtslage wird keine neue Konventionsverletzung gesehen. Kommen dagegen nach dem Inkrafttreten einer Konventionsverbürgung neue, auch ihrerseits selbst konventionswidrige Handlungen hinzu, sind diese an der Konvention zu messen.[35]

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Dauert eine Konventionsverletzung nach dem Inkrafttreten von EMRK oder ZP in dem betreffenden Staat noch an, erstreckt sich die Überprüfung des Gerichtshofs nur auf die nach diesem Zeitpunkt liegenden Vorgänge.[36]

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Bei Ausscheiden eines Staates aus der Konvention (Kündigung) fallen nur die Vorgänge, die vor dem Wirksamwerden des Ausscheidens liegen, unter den Schutzbereich der Konvention (Art. 58 Abs. 2 EMRK).

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