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14. Kapitel

Freitag, 15. Mai 2009, München

Die Alibizeit verbrachte Rudolph beim Kardinal und diskutierte mit ihm, möglicherweise den Stiftungszweck von Männern auf Frauen zu erweitern.

„Dies wäre ein Herzensanliegen meiner lieben Gattin.“

Rudolph musste feststellen, dass die Aufmerksamkeit des Kardinals mehr den Genüssen des frühen Abendessens galt als dem Wohl der weiblichen Mitglieder seiner großen Gemeinde.

Der Kardinal schmeckte die Soße seines Pferdebratens in den luftigen Blasen und Gängen seines salzlosen Weißbrotes und schwärmte mit sanfter Stimme: „Der liebe Gott hält verschiedene Wunder für seine Schäflein bereit. Und ich bin gottesfürchtig genug, um dies zu akzeptieren.“ Der Gottesmann lächelte ihn milde an. Da klingelte das Diensttelefon schrill. Der Kardinal sah ärgerlich hin.

„Ich hatte doch klare Anweisung gegeben, dass wir nicht gestört werden.“ Er sah Rudolph entschuldigend an. Dann stand er schwerfällig auf und watschelte zum Telefon.

„Ich hatte doch extra...“, blaffte er ins Telefon und brach unvermittelt ab. Sein Gesichtsausdruck wurde erst ernst dann blass. Er starrte ihn fassungslos an.

„Und da ist kein Versehen möglich“, flüsterte er ins Telefon. Der Kirchenmann legte auf und räusperte sich. Die übliche Röte seines Kopfes war einer grauen Blässe gewichen.

„Mein Sohn, Sie müssen jetzt stark sein. Ein Anruf der Polizei Bernbeuren. Ihre liebe Frau hatte einen schweren Reitunfall.“

„Herr Kardinal, was sagen Sie da? Ist Emma schwer verletzt?“ Er sprang auf und ging auf den Kardinal zu.

„Mein Sohn, Gott hat es so gewollt. Eine harte Prüfung. Sie ist tot.“

Rudolph nutzte die Nähe und fiel dem Kardinal schluchzend um den Hals und flüsterte: „Das kann nicht sein.“ Er ertrug die tröstenden Worte des Kardinals mit steinerner Miene und gesenktem Blick. Nach zwanzig Minuten bat er leise um Entschuldigung und verabschiedete sich mit einer Umarmung. Draußen atmete er die frische Luft tief ein und beschleunigte seinen Schritt in Richtung Promenadenplatz. Kurz vor dem Eingang zu den Fünf Höfen schaute er hinab in ein italienisches Kellerrestaurant mit großem Tresen. Er suchte dieses Lokal auf, setze sich an die Bar und bestellte sich ein Glas Champagner, den er in kleinen Schlucken trank. Er dachte, das Spiel ist eröffnet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Er bezahlte und setzte seinen Weg zum Promenadenplatz fort, um ein Taxi zu besteigen. Die Fahrt nutzte er, um sich innerlich zu sammeln. Und erinnerte sich daran, dass er in Kürze den schwierigsten Teil dieser Mission fortsetzen musste. Entsetzen, Trauer zu mimen war nicht seine starke Seite. Aber er hatte geübt. Und beim Kardinal hat es schon ganz gut geklappt. Überdies plante er so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Der durch diesen schicksalhaften Doppelschlag traumatisierten Familie würde er mitteilen, dass nur Einsamkeit und Ruhe ihn wieder ins Gleichgewicht bringen könnten. Der Mutter die böse Nachricht zu überbringen, war für ihn am unangenehmsten. Er befürchtete einen Gefühlausbruch, der in einem körperlichen Zusammenbruch endete. Schließlich hatte die Mutter erst vor kurzem ihren Ehemann verloren. Aber sie nahm die Nachricht zwar mit Schrecken entgegen, wurde aber schnell still und apathisch und sagte immer wieder: „Gott prüft mich schwer.“

Um der trauernden Familie zu entkommen, gab er vor unbedingt Herrn Huber, den Gestütsverwalter, besuchen zu müssen, um weitere Einzelheiten über das schreckliche Unglück zu erfahren.

Dieser erzählte ihm, dass er am Unglückstag an der Koppel gestanden und sich Sorgen gemacht hatte, dass Emma Weidach-Rudolph und ihr Pferd am Horizont nicht auftauchten. Schließlich tauchte ein offensichtlich lahmender Gaul ohne Reiter in seinem Sichtfeld auf.

Rudolph bemerkte, wie Karl Huber vor Erregung kurzatmig wurde. Seine Schweinsäuglein verengten sich noch weiter und blickten angestrengt. Er kämpfte mit den Tränen.

„Ich rief laut nach einem Stallknecht. Max tauchte erschrocken aus einer Box auf. Ich befahl ihm, dass lahmende Pferd in Empfang zu nehmen und es provisorisch versorgen. Es musste Emma abgeworfen haben. Ich habe diesem kranken Tier nie richtig getraut.“

Er zuckte mit den Schultern und schaute den Witwer entschuldigend an, weil er nicht eingeschritten war.

„Machen Sie sich keine Vorwürfe. Meine liebe Frau verstand sich als Pferdetherapeutin und hätte nie Ihren Einwand akzeptiert.“ Dabei blickte er dem Gestütsverwalter so freundlich und verbindlich wie er nur konnte in seine kleinen nassen Augen

Huber erzählte weiter, dass er hastig in seinen Jeep gestiegen und den Reiterweg entlanggefahren war. Vor der Kapelle war er vom Gas gegangen, weil er wusste, dass es steil bergab ging. Beinahe hätte er die Verunglückte noch überfahren. Er war aus dem Geländewagen gesprungen und hatte sie dort leblos vorgefunden Er stöhnte. Die Erinnerung schien ihn zu übermannen. Wieder wurde er kurzatmig und kämpfte mit den Tränen.

„Ihre junge Frau lag regungslos und verdreht auf dem Rücken. Sie hatte keinen Puls mehr, auch meine Wiederbelebungsversuche scheiterten. Zitternd nahm ich mein Smartphone und benachrichtigte die Polizei über das Reitunglück mit tödlichem Verlauf.“ Er drehte sich von ihm weg und fing an zu weinen.

Zwei Tage später wurde der Witwer von der Polizei aufgesucht. Er erfuhr, dass die Obduktion der Leiche einen Schädelbasisbruch bestätigte und schwerste Quetschungen im Brustbereich. Beides hatte zum Tod geführt. Auf seine Nachfrage betonte der Polizeibeamte, dass ein stabiler Reiterhelm ihr auch nicht das Leben gerettet hätte.

Rudolph nickte und sagte: „Das ist alles nur schwer zu begreifen.“ Und schaute den Beamten traurig an. Dabei dachte er, wann stellst du endlich die entscheidende Frage. Er spürte wie der junge Polizist herumdruckste, erst zum Boden schaute, dann die Decke betrachtete. Dann kam die Frage doch: „Wo haben Sie sich zur Unglückszeit aufgehalten? Ich muss das fragen. Reine Routine.“

„Das verstehe ich. Sie üben Ihre Pflicht aus. Ich habe zur fraglichen Zeit den Kardinal in einer wichtigen Stiftungsangelegenheit besucht, die auch meiner Frau sehr am Herzen lag. Der arme Gottesmann musste mir die Todesnachricht überbringen. Er war zutiefst erschüttert. Er kannte meine liebe Frau sehr gut.“ Rudolph wähnte sich in Hochform, dass sogar ein paar Tränen flossen. Der Polizeibeamte beendete daraufhin beeindruckt das Gespräch und ging.

Er konnte allen Trauerden weismachen, dass nur die Einsamkeit jetzt für ihn das Richtige wäre. Auch die Polizei ließ ihn ziehen, da nichts wirklich Verdächtiges gefunden wurde, das über einen Unglücksfall hinausging. Er sollte lediglich seine aktuelle Adresse hinterlegen. Diese Selbstverständlichkeit sicherte er freundlich und ergeben zu. Das Alibi gab ihm der Kardinal. Er erfuhr, dass die Polizei Spuren fand, die daraufhin deuteten, dass Jugendliche am Unglücksort gefeiert hatten. Aber die oberflächliche Befragung der Polizisten an einem Gymnasium in der Nähe ergab, dass zwar dieser Ort unter den jungen Einheimischen recht beliebt war, aber niemand sich fand, der zur Unglückszeit dort etwas beobachtet hatte.

Der Tod von Emma Weidach-Rudolph würde von den Behörden nach vier oder sechs Wochen als Reitunfall ohne Fremdeinwirkung durch die Staatsanwaltschaft mit einem entsprechenden Aktenvermerk abgeschlossen werden, davon war er fest in seinem Inneren überzeugt.

Zufrieden über diesen Verlauf bereitete sich Rudolph zwei Tage später auf eine nächtliche Wanderung in seiner zeitweiligen Klause vor, ein luxuriös ausgebautes Ferienhaus einsam in einem Wald nahe Garmisch-Partenkirchen gelegen. Er zog sich dunkle regen- und windfeste Wanderkleidung an, streifte sich drei paar Strümpfe über, weil er sich viel zu große Wanderstiefel einer stark nachgefragten Marke anziehen wollte. Auch er verstaute ein Klappfahrrad in seinem Wagen. Diesmal aber nicht der wunderschöne und von ihm so geschätzte Panamera, sondern aus dem gleichen Konzern ein unauffälliger Mietwagen der Baureihe VW Passat Kombi. In seinen Rucksack packte er neben einer ausgiebigen Brotzeit und zwei großen Wasserflaschen, ein Päckchen mit Streichhölzern und einen Weinkorken, um sich das Gesicht schwärzen zu können. Dann ein paar schwarze Latexhandschuhe und eine leistungsfähige Stirnlampe, die er hoffentlich beim Abstieg nicht benutzen müsste, da sich die tollkühne Mountainbikerin schlauerweise eine Vollmondnacht für ihre waghalsige Tour ausgesucht hatte.

Gegen neunzehn Uhr fuhr er los und erreichte nach einer gemütlichen Autofahrt von etwa zwanzig Minuten einen großen Parkplatz fast im Zentrum von Mittenwald. Er öffnete die Heckklappe, zog das Fahrrad heraus und klappte es auf, schnürte sich den Rucksack um und setzte eine dünne schwarze Schirmmütze auf und radelte los. Fünf Minuten später hatte er den Parkplatz Karwendelbahn erreicht. Diesen ließ er links liegen und steuerte nach zwei Minuten ein Waldstück an, in dem er sein handliches Fahrrad im Unterholz gut verbergen konnte.

Ohne Eile unternahm er den Anstieg. Es würde gut eine Stunde dauern, um an den zukünftigen Unglücksort zu gelangen. Ein Blick auf sein Handy zeigte ihm, dass sich Caroline Falkenberger verspäten würde. Vor einer Woche hatte er sich Zugang zu ihrem Smartphone verschafft, um auch über ihr Bewegungsprofil informiert zu sein, was jetzt sehr hilfreich war.

Als er ankam prüfte er den Standort seiner Zielperson und schätzte, dass noch gut eine Stunde Wartezeit zu überbrücken war. Rudolph ging circa hundert Meter weiter und verbarg sich hinter zwei großen Büschen, um gegen unliebsame Überraschungen gefeit zu sein, deren Eintrittswahrscheinlichkeit der Mathematiker im Promillebereich sah. Er war höchst konzentriert und spürte wie das Adrenalin anstieg und jeder Muskel in seinem Körper voller Spannung war, seine Gedanken geordnet und ergebnisorientiert. Diesmal war er nicht Zuschauer einer Corrida de toros, sondern befand sich als Akteur mitten in der Arena, was seinem Naturell besser entsprach.

Es wurde Zeit. Als letzte vorbereitende Maßnahme hatte er mit ein paar Streichhölzern den Flaschenkorken angekokelt und rieb sich den Ruß ins Gesicht. Er zog die schwarzen Latexhandschuhe an und schob eine Mütze mit gewaltigem Schirm tief ins Gesicht. Als er die Felsennische erreichte, sagte ihm das Smartphone der Mountainbikerin, dass er sich höchstens noch eine Minute gedulden müsste. Ihn überkam eine große Ruhe, sein Herz schlug nicht eine Zehntelsekunde schneller. Im Gegenteil.

Da hörte er sie. Die Handbremsen quietschten leicht und rhythmisch. Geführt von einem ausgeprägten Gleichgewichtsgefühl zwangen die kräftigen Stöße ihres durchtrainierten Körpers das Mountainbike ihr ruckend zu folgen, um beide im Gleichgewicht zu halten.

Der große Moment war da. Der schwarze Mann trat aus der Felsennische zum exakt richtigen Zeitpunkt. Caroline Falkenberger musste im Lichtkegel ihrer Stirnlampe die schwarzen Umrisse seiner Gestalt wahrnehmen. Wirklich hell waren nur für eine Zehntelsekunde seine leuchtenden Augen in seinem schwarzen Gesicht, die sie anlächelten. Dann blieben seine Augen vom Schirm der Mütze verborgen, um sich nicht von ihrer starken Stirnlampe blenden zu lassen.

„Verdammter Idiot, pass doch auf!“, schrie sie. Er bemerkte, wie sie dankbar den schützenden Zaun wahrnahm und wie sich ihre Körperhaltung entspannte, als wollte sie schon innerlich auf Entwarnung schalten. Da packte er sie mit seinen zwei kräftigen Händen entschlossen an den Hüften und hievte sie mit Schwung über den Lattenzaun. Auch in ihrem letzten Lebensmoment hatte sie eine rasche Auffassungsgabe und schrie mit sich überschlagender Stimme: „Vitus, du Schwein!“

Dann hörte er nur noch, wie sie in kurzer Abfolge gegen den felsigen Abhang schlug. Er schüttelte amüsiert den Kopf, schaltete seine Stirnlampe an und warf einen Blick in den felsigen Abgrund, der ihn überzeugte, dass die Mountainbikerin den Sturz nicht überlebt haben konnte. Ihr verdrehter Körper hing tief unten zwischen zwei dünnen Birkenstämmen, so dass ihr helmbewehrter Kopf fast vollständig im Laub vergraben war und ihre Beine in einem hundert Gradwinkel die rechte Birke umschlangen. Sie rührte sich nicht. Er wartete und beobachtete. Keine Bewegung. Schließlich war er überzeugt, seine Mission erfüllt zu haben. Er drehte sich um, suchte den Ausgangsplatz auf, um seinen Rucksack aufzunehmen und den Rückweg anzutreten. Das Mountainbike ließ er so liegen, wie es seinen Platz gefunden hatte.

Tatsächlich erlaubte der Vollmond den Verzicht auf die Stirnlampe. Das erleichterte einen unauffälligen Abstieg. Er erreichte das Waldstück und legte sein Fahrrad frei und machte sich auf den fünfminütigen Weg zurück zu seinem Leihwagen. Verstaute alles und steuerte gut gelaunt sein Ferienhaus an. Diese Nacht schlief er tief und fest. Sein letzter schläfriger Gedanke galt seinem Freund Vitus und welches Alibi er sich wohl gewählt hatte.

Zweimal Morden lohnt sich

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