Читать книгу Zweimal Morden lohnt sich - Robert Helm - Страница 22
Оглавление18. Kapitel
Montag, 13. Juli 2009, München
Blecher bekam von seinem Freund die Daten verschiedener Partys zu gesellschaftlichen Anlässen wie Opernpremiere, Filmpreview oder Vernissagen, die er soweit es ihm möglich war auch besuchte. Während der ersten beiden Gelegenheiten beobachtete er lediglich die Frau und sah die personifizierte Oberflächlichkeit. Ihre Welt war die der Unterhaltung und Wellness auf luxuriösem Niveau.
Rudolf hatte ihm eine kurze aber präzise Personenbeschreibung übermittelt. Er gab ihr Alter mit fünfundvierzig Jahren an, ihre Größe mit 1,65 Meter und beschrieb sie als untergewichtig mit fünfzig Kilo. Auffällig nannte er ihre dunkle von einem Sonnenstudio gebräunte Haut mit langen blondgefärbten Haaren. Weiter verriet sein Freund, dass sie wenig für sportliche Aktivitäten übrighatte, aber wenn sie sich dazu durchringen konnte nur mit Fitnessarmband. Diese Daten auszulesen war vermutlich ein Kinderspiel für Rudolf.
Sie war kinderlos. Von ihrer weiblichen Fürsorge profitierten zwei Rehpinscher. Sie kleidete sich ausschließlich mit Kostümen der Marke ESCADA. Sie schien das Verzierte und Verspielte der Applikationen und die stark taillierten Jacken zu schätzen. Blecher nahm schmunzelnd an, dass diese Informationen nicht über das Fitnessarmband gewonnen werden konnten, sondern andere elektronische Datenträger ausgelesen werden mussten wie beispielsweise die Bewegungen ihres Bankkontos verursacht durch Edelboutiquen oder dem Tierarzt ihrer Wahl.
Ihn wunderte lediglich, dass ihr Name profanerweise Meyer war. Beim dritten gemeinsamen Treffen nahm er einen ersten oberflächlichen Konversationskontakt auf. Immerhin ihr Vorname lautete Annika. Die skandinavische Verkleinerungsform von Anna. Er erfuhr, dass ihre Mutter eine wenig bekannte schwedische Schauspielerin war, die den Vater ihrer einzigen Tochter eisern verschwieg. Der geübte Psychologe stellte sich detailliert vor, was für eine hervorragende Gelegenheit es für Annika gewesen sein musste, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Wie sie sich einredete, dass ihr Erzeuger ein berühmter Schauspieler war, dessen großes Talent und Genie der Öffentlichkeit gehörte. Er konnte sich nicht um eine kleine Familie kümmern. Aber sie hatte alles an Genen von ihm geerbt, was ihn zu dieser Berühmtheit machte. Unfähigen Produzenten und Regisseuren gab sie die Schuld und nicht zuletzt der neidischen und hinterhältigen Konkurrenz ihrer Schauspielkollegen. Sie wünschte alle zum Teufel. Eine Wende schien einzutreten, als sich ein wenig angesehener aber millionenschwerer Versicherungsmakler für sie interessierte und sie zum Traualtar führte. Regenbogenpresse und Boulevardzeitungen nahmen tatsächlich Notiz davon. Der Honeymoon war kurz, schnell begann sich das ungleiche Paar zu streiten und auseinanderzuleben.
Immer wieder gab sie zum Besten, dass sie ihre Karriere als Schauspielerin, genauer Bühnenschauspielerin, der Karriere ihres Ehegatten geopfert hatte. Blecher konnte es schon nicht mehr hören wie sie immer wieder in die Details ging und sich aufregte. Ihren in der Theaterwelt geschätzten Namen Lundström in Meyer einzutauschen, wäre ihr größter Fehler gewesen. Die Lundström wurde sie genannt. Sie verfluchte sich in einem Anfall von Nachgiebigkeit aus Verliebtsein gespeist, dem Vorschlag ihres zukünftigen Gatten gefolgt zu sein, seinen Namen zu übernehmen. Aber das große Talent, die wunderbaren Gene ihres unbekannten Vaters, schlummerten immer noch in ihr und warteten auf Erweckung wie Brunhilde in Wagners Walküre.
Rudolf teilte ihm noch mit, dass sie eine mäßig erfolgreiche Schauspielerin war, deren künstlerischer Höhepunkt eine zweijährige tragende Nebenrolle in einer Daily Soap blieb. Ihre Bemühungen misslangen komplett auf der Bühne in klassischen und modernen Stücken erfolgreich zu sein.
Blecher war jetzt schon vier Tage in Berlin und bereitete sich auf ein intensives Treffen mit der Zielperson vor. In der Deutschen Oper Berlin wurde Macbeth von Verdi gegeben. Frau Meyer erwarb frühzeitig zwei Eintrittskarten auf elektronischem Weg. Rudolph, ihr digitaler Beobachter, setzte ihn in Kenntnis. Blecher stellte erfreut fest, dass der Platz neben ihr noch frei war und besorgte sich das Ticket, und zwar auf analogem Weg. Er besuchte den Verkaufsschalter der Deutschen Oper und freute sich über eine nette und hübsche Verkäuferin. Am Aufführungstag nahm er sich Zeit für eine Kosmetikstunde und besuchte ausgiebig ein Sonnenstudio. Er kaufte sich einen roten Anzug, schwankte zwischen blutrot und lippenstiftrot, um sich schließlich für lippenstiftrot zu entscheiden. Er wählte dazu ein schlichtes weißes Hemd ohne Krawatte und schwarze Lackschuhe. So festlich bekleidet erschien er spät in der Oper, um sicher zu sein, dass Frau Meyer ihren Platz schon eingenommen hatte. Er drängte sich an verlegen lächelnden Opernbesuchern vorbei, die er zum Aufstehen genötigt hatte und erreichte seinen Platz.
„Sie hier gnädige Frau. Die Schauspielerin mit schwedischen Wurzeln.“, begrüßte er sie überschwänglich und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. Offensichtlich erkannte sie ihn nicht sofort. Ihr verwirrter Gesichtsausdruck legte dafür auffällig Zeugnis ab. Aber Sekundenbruchteile später hellte sich ihre Miene auf.
„Ja! Sie sind der nette junge Mann, mit dem ich mich auf dieser Preview Party so nett unterhalten habe. War das ein langweiliger Film mit schlechten Schauspielern. Aber Laien ist das wahrscheinlich nicht so aufgefallen.“ Sie schaute ihn überlegen an und bliess sich eine schmale Haarsträhne aus der Stirn. Diese Geste wirkte auf Blecher eingeübt, um ihre Lässigkeit bei einem so wichtigen Thema zu demonstrieren.
„Doch, doch, ich fand es auch ganz furchtbar. Die Schauspieler agierten wirklich laienhaft. Vielleicht war es vom Regisseur so gewollt.“
„Nein, niemals. Dieser Regisseur ist bekannt für die großen Freiheiten, die er seinen Schauspielern in der Interpretation und Darstellung lässt!“ Die gespielte Lässigkeit war verschwunden. Ihr kleiner Kopf fing fast Feuer, so trieb es ihr die Zornesröte ins Gesicht. Blecher dachte kurz daran seine Sonnenbrille aufzusetzen, um diesem Naturwunder nicht ganz ungeschützt ausgesetzt zu sein.
Er suchte gerade nach einer besänftigenden Bemerkung für seine offensichtlich erregte Nachbarin, da hatte der Dirigent unbemerkt den Orchestergraben betreten. Applaus toste auf und die Vorstellung begann. Sie wurden sofort von der geheimnisvollen Ouvertüre gefesselt. Die gut zweistündige Oper hatte keine Pause. Viel Mord und Todschlag. Insbesondere Lady Macbeth glänzte als Königsmörderin, weil ihr Gatte sich als Schwächling erwies.
Blecher stellte befriedigt fest, dass seine Nachbarin öfters einen neugierigen Blick auf ihn warf. Er stellte sein gelungenes Profil zur Schau, so gut es eben die diffusen Lichtverhältnisse zuließen und heuchelte große Faszination in seinem Gesichtsausdruck über das turbulente Geschehen auf der Bühne. Als Lady Macbeth die Arie La luce langue beendete und frenetischer Beifall ausbrach, besiegte er seine Verwunderung darüber schnell und lächelte wissend Frau Meyer zu, welchen einmaligen Kunstgenuss sie gerade konsumieren durften und achtete darauf, dass er als letzter mit dem Klatschen aufhörte.
Annika Meyer war in Begleitung einer Freundin. Er wusste, dass ihre Begleitung nach dem Ende der Aufführung noch einen anderen Termin wahrnehmen würde. Auch das hatte Rudolf recherchiert. Und er sollte recht behalten. Nach langem begeistertem Applaus strömte das Publikum den Ausgängen zu. Glücklicherweise war der schmucklose Kastenbau wenigstens mit zwei breiten Treppenfluchten ausgestattet. Blecher hielt sich dicht an Annika Meyer, was ihm mühelos gelang. Zumal sie sich zweimal umdrehte und ihre Augen ihn suchten, wie er beglückt feststellte. Schließlich standen alle drei auf dem breiten Fußweg der Bismarckstraße und die Begleitung von Frau Meyer verabschiedete sich augenzwinkernd von ihrer Freundin. Küsschen rechts und Küsschen links, dabei jeweils den rechten Arm matt um die Schulter des Gegenüber gelegt und ein ausdruckloses Gesicht aufgesetzt. Blecher stellte fest, dass die zwei Damen sich irgendwie ähnelten. Vielleicht hatten sie denselben Schönheitschirurgen.
„So, was fangen wir nun mit einer einsamen zurückgelassenen Dame vor der Deutschen Oper an?“, seufzte sie und lächelte ihn unschuldig an.
Er strahlte sie an und war sich nun sicher, dass sie bereit war, den Abend mit ihm gemeinsam fortzusetzen. Sie fanden den Weg in ein kleines gemütliches Weinlokal.
„Mein Gott, diese Geschichte war nach meinem Geschmack. Da hat der alte Shakespeare die Realität schonungslos offengelegt. Dieses Genie. Wer erfolgreich und mächtig sein will, muss bereit sein, über Leichen zu gehen.“
Blecher dachte bei sich, dass es der am Ende wahnsinnig gewordenen Lady Macbeth doch nicht so ganz bekommen war. Aber er schwieg und nickte nur zustimmend seiner Gesprächspartnerin zu. Sie hatten eine Flasche Prosecco im Kühler stehen, und Frau Meyer ließ sich nur allzu gerne den immer wieder schnell halbvollen Kelch von ihrer aufmerksamen Begleitung vollschenken. Blecher hätte einen guten Whiskey bevorzugt, wollte aber Harmonie demonstrieren.
„Rein hypothetisch natürlich, könnten Sie auch töten, um ein Ihnen subjektiv zustehendes Recht zu erzwingen wie es Lady Macbeth tat?“
Er lächelte sie entschuldigend an, sich so weit vorgewagt zu haben.
Die Angesprochene richtete den Oberkörper steif auf, den Sektkelch in der Hand und dozierte: „Das Leben ist Schauspiel. Und die Entschlossenen haben den Anspruch, Hauptrollen zu besetzen. Alle Könige und Königinnen verstanden sich aufs Morden, sonst wären sie nicht Könige und Königinnen geworden oder geblieben.“ Blecher dachte, sie muss eine Schwester von Rudolf sein.
„Heute haben wir ein schottisches Drama gehört und gesehen. Die griechischen und römischen Dramen sind genauso blutrünstig und von zu allem entschlossen Machtsüchtigen bevölkert, die sich gegenseitig umbringen bis der klügste und skrupelloseste übrigbleibt. Und auch der wird irgendwann weichen müssen, wenn er seinen Meister findet.“
Blecher sah, wie ihr Kopf langsam wieder anfing zu glühen. Neben dem aufreizenden Thema, glaubte er, dass auch der Prosecco zum Farbenspiel beitrug.
Ihm schien der Moment gekommen zu sein, dass Thema unter einem mehr persönlichen Blickpunkt auszuleuchten.
„Sie könnten einen Dolch in die Hand nehmen und zustechen?“
Frau Meyer starrte überraschend den so direkt fragenden jungen Mann an und antwortete dennoch ohne zu zögern: „Nie, mein Fach ist der unblutige Mord. Ich vergifte lieber. Das könnte ich, um Neider und Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Ja, wirklich.“ Und sie schaute ihn verschämt und provozierend zugleich an und setzte fort: „Vergessen Sie nicht, ich bin Schauspielerin.“ Betont setzte sie nach: „Nicht nur Bühnenschauspielerin, sondern auch Burgschauspielerin, falls Sie wissen, was das bedeutet.“
Er nickte bedeutsam, wusste aber nicht, was es genau bedeutete. Vielleicht musste man morden, um Burgschauspielerin zu werden oder zu bleiben.
Ihm schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, um sich auf harmlosere Themen zu konzentrieren. Er brillierte weiter als charmanter Gesprächspartner für das andere Geschlecht. Er führte gekonnt durch Themen wie Mode, Hunde und bekloppte Ehemänner. Früh um zwei Uhr brachte er sie mit einem Taxi zu ihrem Hotel zurück. Sie tauschten keine Adressen oder Telefonnummern aus. Obwohl er spürte, dass sie gerne eine Fortsetzung dieses aufregenden Abends wünschte, aber sich scheute dies direkt anzusprechen. Eben doch alte Schule weiblicher Zurückhaltung trotz aller Extrovertiertheit. Er half ihr nicht mit einem Angebot eines weiteren Treffens. So war es mit seinem Partner ausgemacht.
Blecher versprach eine große Überraschung, was einen weiteren Kontakt betraf, zwinkerte mit den Augen und entließ die Verwunderte mit einer aufmunternden Geste.