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17. Kapitel

Montag, 6.Juli 2009, Madrid

Er steuerte wie so oft den Mercado San Miquel in der Nähe der Plaza de Major an. Heute regnete es. Dies war ungewöhnlich für die Jahreszeit und passte nicht zu seiner guten Laune. Rudolph leistete sich hundert Gramm Pata Negra Bellota Schinken als schmackhaftes amuse gueule. Der Genießer war etwas früher, als zur verabredeten Zeit eingetroffen, um dies auch in Ruhe zelebrieren zu können. Dann begab er sich an den Schauplatz ihres ersten Treffens. Der Weinstand war gut besucht. Mit einem Schmunzeln stellte er fest, dass dieselben Barhocker unbesetzt waren wie bei seiner ersten Begegnung mit Vitus.

Er konnte ihn auch schon aus den Augenwinkeln erkennen. Sein leuchtend gelbes Polohemd und seine hellgrüne Röhrenjeans mit nackten Füssen in eleganten gelben Flip Flop Zehentrenner überstrahlten alles. Sein Grinsen beherrschte das ganze Gesicht. Selbst die dunkle Sonnenbrille schien zu strahlen. Noch immer den Blick auf die schutzlosen, sich offen präsentierenden Zehen gerichtet, sagte er: „Ich habe schon jeweils ein Glas Rot- und Weißwein bestellt. Eine kleine Huldigung. Hier hat alles angefangen. Nur der Losverkäufer fehlt. Wahrscheinlich betrinkt er sich immer noch mit dem vielen Geld, dass du ihm bei deinem Großeinkauf überlassen hast.“

„Schade. Ich hatte eigentlich vorgehabt meine Glückssträhne auszunutzen und meinen Einsatz zu verdoppeln.“

„Darauf komme ich noch.“, entfuhr es ihm.

„Wie meinst du?“

„Später.“ Rudolph blickte seinen Freund vielsagend an.

„Gut ich bin zwar neugierig, aber ich will nicht hartnäckig sein.“ Er nahm einen großen Schluck aus seinem Rotweinglas, prostete Rudolf wieder zu und gestand: „Ich habe Hunger. Lass uns gehen.“

Sie hatten ein Nobelrestaurant ausgesucht. Das erschien ihnen angemessen. Sie waren um jeweils eine Million reicher, so waren die Eheverträge ausgestaltet gewesen. Ihre Frauen hatten jeweils sichergestellt, dass bei plötzlichem wie unverhofftem Tod dem geliebten Ehemann ein stattliches Trostpflaster zustand. Rudolph war froh, ein Séparée bestellt zu haben, als er den leicht irritierten Blick der Empfangsdame feststellte, die indigniert auf die sparsame und für den Anlass ungewöhnliche Fußbekleidung starrte.

Der Kellner stellte die fischigen Vorspeisen auf den Tisch und zog sich diskret zurück, so dass Rudolph endlich über seinen Plan reden konnte. Er sagte mit ruhiger Stimme: „Ich habe einer Frau unfreiwillig zugehört, die nach ein paar Gläsern Champagner keinen Hehl daraus machte, wie gerne sie sich ihres Ehemannes entledigen würde. Ich glaube, dass sie bereit wäre dafür eine große Summe aus dem Vermögen des reichen Gatten zur Verfügung zu stellen.“ Rudolph lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und beobachtete seinen Partner genau.

Vitus schaute ihn erst ungläubig, dann erschrocken an. Irgendwie hatte Rudolph damit gerechnet. Sein Partner neigte zur bequemen Risikoscheu, wenn es um fundamentale Entscheidungen ging. Das war ihm schon klar. Dafür brauchte er kein Psychologiestudium. Bei Glücksspielen verhält er sich ärgerlicherweise anders. Seine Hände verkrampften sich fast unmerklich. Er sah wie der Blick von Vitus durch das Nobelrestaurant wanderte, um eine Ablenkung zu finden von diesem Thema. Ein kurzer Blick unter den Esstisch zeigte Rudolph, dass Vitus‘ Zehen verkrampften. So passten sie nicht mehr zu den lockeren Flipflops. Aber so schnell gab er nicht auf.

„Wie stehst du dazu?“

Vitus‘ umherirrender Blick suchte immer noch nach Ablenkung und fand eine hübsche Blondine die genüsslich einen halben Hummer entkernte.

„Ich bin überrascht. Das hätte ich nicht erwartet. Reicht dir die Million nicht? Willst du den unersättlichen, raffgierigen Banker verkörpern?“, antwortete Vitus unwirsch.

„Ich mache da nicht mit.“

„Hör doch erstmal zu, bestimmt kann ich dich überzeugen. Es geht mir nicht um Geld oder Raffgier, wie du es formulierst. Nein. Mir geht es um etwas wesentlich anderes, um etwas Großes mit viel Zukunftspotential und du als ausgebildeter Psychologe solltest interessiert sein. Ich möchte testen, ob es mir gelingt, über einen Hackerangriff und mit Algorithmen, die ich mir mittlerweile habe einfallen lassen, ausreichend Erkenntnisse über die Persönlichkeit dieser Frau zu gewinnen, um abschätzen zu können, ob sie geeignet ist, unser erfolgreiches Konzept das zweite Ich abgewandelt fortzusetzen. Du bist zuständig für die Abteilung Charme und Manipulation im analogen Bereich und ich im digitalen Bereich.“

„Ripley lässt grüßen.“, murmelte Vitus und sagte lauter: „Dich bekommt die Dame gar nicht zu Gesicht, wenn ich das richtig verstehe.“

„Das ist nun mal so, wenn man im digitalen Bereich manipuliert.“ Rudolf setzte ein entschuldigendes Lächeln auf und zuckte mit ausgebreiteten Armen leicht mit den Schultern. Seine Augen verrieten, dass er von diesem Potential der Digitalisierung fasziniert war.

„Digital oder analog egal, wir werden schlicht und einfach zu Auftragsmördern.“, protestierte Vitus.

„Ja, aber mit dem schönen Unterschied, dass wir bestimmen, wer unser Kunde ist und wie sein Auftrag für uns aussieht; und dass mit diesem, meinen speziellen Vorschlag sozusagen Grundlagenforschung betrieben wird. Am Ende will ich wissen, ob die digitale Manipulation ohne analoge Manipulation an ihr Ziel kommen kann.“

„Das wird dir niemals gelingen. Du brauchst Fachkräfte wie mich.“ Vitus hatte sich gefangen und Spaß an der Diskussion gefunden, wie sein aufmüpfig selbstbewusstes Lächeln offenbarte. Rudolph glaubte, sein Ziel erreicht zu haben. Dennoch wollte er nicht überreizen. Dann kam auch noch der Kellner mit der Hauptspeise.

„Lass uns bei nächster Gelegenheit über meinen Vorschlag weiterreden und jetzt das Essen genießen.

„Was springt für mich heraus? Finanziell meine ich.“

„Wir teilen.“, antwortete Rudolph hinhaltend und fügte augenzwinkernd hinzu: „Wenn du deinen Job gut machst.“

„Was teilen wir? Wie hoch ist die Summe, die wir verlangen?“

„Wir verlangen zwei Millionen.“

Vitus horchte auf.

Rudolph registrierte wie Vitus nachdenklich wurde. Der finanzielle Köder wirkte. Rudolph erwartete noch einen kleinen Seitenhieb bis er seine Zurückhaltung aufgab.

„Nur ich werde persönlichen Kontakt zu der Frau aufnehmen, du versteckst dich hinter deinen Computern und bleibst im Dunkeln. Kein Risiko für dich.“

„In dieser Konstellation, falls es sich tatsächlich soweit entwickeln sollte, hast du nichts mit der Beseitigung des lästigen Ehegatten zu schaffen. Das ist doch klar und sollte dir eigentlich recht sein.“

„Also gut. Ich bin dabei. Soll ich dir die linke oder die rechte Hand zum Einschlag hinhalten.“

„Die rechte ist mir lieber, da weiß ich, dass du es ernstmeinst.

Rudolph war stolz auf sich. Er hatte seine Erwartungen nicht so hochgesteckt, dass er seinen Partner beim ersten Gespräch überzeugen wollte. Umso mehr befriedigte es ihn, Vitus in einem Gespräch davon überzeugt zu haben, dass die Beobachtung und Persönlichkeitseinschätzung der reichen Gattin auch für ihn eine spannende und lukrative Geschichte war.

Er jedenfalls freute sich ungemein, dass er seine Idee des zweiten Ich in abgewandelter Form weiterführen und zum dritten Mal anwenden konnte.

Zweimal Morden lohnt sich

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