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Johann Gottlieb Benjamin Siegert: Kindheit und Jugend in Schlesien. Oder: Als er noch ein kleiner Junge war…

Kommen wir nun wieder zur eigentlichen Hauptperson vorliegender Studie: Johann Gottlieb Benjamin Siegert – wie erwähnt, kurz Ben Siegert genannt.

Aufwachsen in der Geborgenheit der Verwandtschaft in seiner schlesischen Heimat

Ursprünglich schrieb sich die Familie nicht Siegert, sondern Ziegert – werfen wir dazu einen Blick auf Bens Vorfahren:

Sein Großvater Gottfried Ziegert wurde am 4. Mai 1714 in Obermauer bei Lähn/Schlesien geboren und war Revierjäger und Förster bei einem Freiherrn. Er heiratete Anna Rosina Loessmann8, die ihm am 25. November 1742 in Obermauer den Sohn Hans Christoph gebar. Nach dem Tod seiner Frau heiratete Gottfried Ziegert noch zweimal: zuerst Christiane Werner und nach deren Ableben schließlich Anna Susanne Nixdorf9.

Bens Vater war also Johann (Hans) Christoph Ziegert. Seit dem 30. Juli 1764 war er mit Christiana Elisabeth Blümel verheiratet, sie starb jedoch bereits am 23. April 1776, die Ehe blieb kinderlos. Im darauffolgenden Jahr, am 11. Februar 1777, schloss er den Bund der Ehe mit der 18jährigen Anna Regina Richter, seiner zweiten Frau.

Deren Eltern waren Johann Daniel Richter10, Tischlermeister in Royn, und Anna Rosina Grundmann, miteinander seit 25. Juli 1750 verheiratet.

Bens Familie lebte in Groß-Walditz (Włodzice), einem schmucken Städtchen der damals noch preußischen Provinz Schlesien. Sein Vater Hans Christoph war Küchenmeister auf der Ritter-Akademie in Liegnitz (heute Legnica). Seine zweite Frau Anna Regina schenkte ihm vier Söhne und fünf Töchter, wobei unser Benjamin mit Jahrgang 1796 der Jüngste des männlichen Nachwuchses war.

Sein ältester Bruder Johann Christoph wurde 1779 geboren, kurz darauf 1781 sein Bruder Carl Gottfried. Es folgten mit einigem Abstand 1786 Charlotte und 1789 Beate Augustine, die leider vorzeitig verstorben sein soll. 1791 wird Friederike Johanna geboren, 1793 Christiane Johanna und im darauffolgenden Jahr, 1794, dann der dritte Sohn, Carl Gottlob. Johann Gottlieb Benjamin Siegert – unsere Hauptperson – ist am 22. November 1796 auf die Welt gekommen. Schließlich machte Susanna Barbara 1798 die Familie komplett.


Im Hause Siegert wurde streng erzogen und auf das Kennen und Können äußerster Wert gelegt. Auf gute Bildung wurde ebenso geachtet wie auf eine auskömmliche Berufspraxis der Kinder. Der älteste Sohn, Johann Christoph, wurde beispielsweise Arzt und Sanitätsrat und praktizierte in Halberstadt Dies sprach sehr für die Absicht der Eltern, den Kindern bestmögliche Voraussetzungen für ein erfolgreiches und herausforderndes Leben zu schaffen. Die Nachkommen lernten sowohl die Landwirtschaft und den Gartenbau von der Pike auf kennen und entwickelten handwerkliche Fertigkeiten und gewöhnten sich an das Leben in der Stadt. Letzteres brachte vor allem das Studium mit sich. Berlin und Magdeburg waren die beiden Orte, an denen man sich orientierte. Dazu kamen kleinere Kommunen wie Halberstadt. Dort war der älteste Bruder von Ben, Johann, Mediziner, und der zweitälteste Bruder, Carl Gottfried, Konditormeister. Gottfried wurde in Liegnitz geboren, wohin im Übrigen das Familienoberhaupt einen besonderen Bezug hatte. Dies sind nur einige ausgewählte Beispiele, die belegen, dass so von einer vielseitigen Form des Erwachsenwerdens in relativ weitläufiger Gemeinschaft und Verwandtschaft gesprochen werden kann.

Zwei seiner Brüder waren deutlich älter als Benjamin. Als er geboren wurde, waren sein ältester Bruder Johann Christoph bereits 17 Jahre und der zweitgeborene Carl Gottfried 15 Jahre alt. Nur der dritte Bruder Carl Gottlob (Jg. 1794) und die Schwestern dürften als seine „Sand-kasten-KameradInnen“ in Frage gekommen sein. An MitspielerInnen aus der eigenen Familie und der Nachbarschaft in Groß-Walditz1 dürfte es Ben nicht gefehlt haben.

Die Familie ernährte sich weitgehend aus dem eigenen Garten sowie vom nahegelegenen Feld und Wald. Siegerts lebten subsistent. Die Schule befand sich im benachbarten Liegnitz, wo auch die Ritterakademie lag, in der Vater Siegert, wie gesagt, Küchenchef war. (Siehe die Bilder in W. Siegert, Geheimnis, S. 9 u. 19). Der Großvater war Handwerker, nämlich Tischlermeister im schönen Örtchen Royn. Insgesamt hatten die Eltern von Ben demzufolge recht handfeste Berufe: So konnte der Vater als Küchenmeister so manches lukullische Mahl auf jenen Tisch zaubern, den sein Schwiegervater kunstfertig hergestellt hatte. Man wird wohl von besten materiellen Voraussetzungen für einen intakten Familienverband sprechen können. Es handelte sich um eine konstruktive und leistungsfähige obere Mittelschicht, die finanziell und sozial relativ unabhängig war und in der jede Jahrgangsstufe einen verantwortungsvollen Platz einnahm

Kurz zusammengefasst lässt sich über den Werdegang der sieben lebenden Geschwister Bens folgendes sagen:

Johann Christoph war der Erstgeborene (1779) und wurde Arzt. Er war seit 10. Dezember 1807 mit Doris Skene verheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Vielleicht war dies ein Grund dafür, dass Johann sich später in väterlicher Weise seines Bruders Ben annahm und sich um dessen Ausbildung kümmerte.

Der Bruder Carl Gottfried (Jg. 1781) heiratete Sophie Siebert. Sie bekamen zahlreiche Kinder. Er starb 1829 mit nur 48 Jahren. Allgemein lag die Sterblichkeit noch relativ hoch und ist natürlich mit unserer Gegenwart nicht zu vergleichen. Entsprechend alltäglich war das menschliche Leid. Eine seiner Töchter – Berta Siegert aus Halberstadt – besuchte 1839 ihren Onkel Ben in Venezuela.

Die älteste Schwester war Charlotte, die den Landwirt Scholz im Kreis Bunzlau heiratete. Sie wird, wie die anderen Schwestern, in den späteren Briefen Bens erwähnt. Sie hatte zwei Töchter, für die Ben seinen Briefen oder Päckchen kleinere Geschenke (z. B. Goldstücke) beilegte.

Die Schwester Beate Augustine starb vermutlich früh.

Bens Schwester Frederike Johanna (oder Friederike, wie sie Ben in seinen Briefen anschreibt) (Jg. 1791) heiratete einen Herrn namens Pretzel, der den ehrenwerten Beruf des Försters ausübte, und wohnte in Saabor bei Grünberg. Friederike wurde relativ früh Witwe (um 1831). Sie war die emsige Briefpartnerin Bens. Ihr vertraute er sich an und versuchte später von Angostura aus, Informationen aus der Heimat zu bekommen und sie gleichermaßen über seine Situation auf dem Laufenden zu halten. Sie hatte zumindest eine Tochter namens Henriette.

Die Schwester Christiane Johanna (Jg. 1793) war in Breslau mit einem Kaufmann Berthold verheiratet.

Carl Gottlob, Jg. 1794, war nur etwa zwei Jahre älter als Ben. Er war Kanzleidirektor des Königlichen Bergamtes in Tarnowitz/Oberschlesien.

Seine älteste Tochter, Bens Nichte Emilie, lebte in Tarnowitz und war mit dem Hotelbesitzer Ludwig Böhm verheiratet. Sie wurde am 29. November 1820 geboren, in einer Zeit also, als Ben bereits über ein Vierteljahr in Angostura weilte. Ein weiterer Sohn – Bens Neffe Carl Friedrich Ziegert, der 1823 geboren wurde – entwickelte sich zu einem tüchtigen Hüttenfachmann und emigrierte später nach Venezuela. Dort gelangte er als Grubenbesitzer zu einigem Ansehen, heiratete 1856 dort María Teresa Marco und bekam acht Kinder (sieben Mädchen und einen Sohn). Er starb am 2. November 1898 in Ciudad Bolívar. Über ihn werden wir noch einiges hören.

Die meisten von Bens Neffen und Nichten wurden geboren, nachdem Ben bereits ausgewandert war (1820). So kannte Ben sie nicht persönlich. Bedeutende Ausnahmen bildeten die oben erwähnte Berta und der Neffe Carl Friedrich.

Das Nesthäkchen war die 1798 geborene Susanna Barbara. Sie war in Sassenhoff bei Riga mit einem Gärtner namens Schreiber verheiratet.

Beginn des Medizinstudiums in Berlin und Wundarzt im preußischen Heer in der Schlacht bei Waterloo

Benjamin hatte in Groß-Walditz seine Schulausbildung genossen, wohin Jahrzehnte später vom Sohn Carlos Damaso Siegert eine Spende in Höhe von 1.200 Mark gelangte. Nach seinem Abitur, das Benjamin in Liegnitz/Schlesien ablegte, studierte er Medizin in Berlin.

Anfang 1815 begab er sich zu seiner Schwester Friederike, verheiratete Pretzel in Saabor bei Grünberg/Schlesien. Dann wurde er via Berlin auf einen Posten als Chirurg beim Königlich-Preußischen Haupt-Provinz Hospital in Magdeburg versetzt.

Nachfolgend fand er Anstellung als Wundarzt im dritten Jäger-Detachement und machte als Chirurg wohl beim zweiten Ostpreußischen Infanterie-Regiment den Feldzug gegen Napoleon I. und die Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 mit. Die Schlacht bei Belle-Alliance auf der siegreichen preußisch-englischen Seite von Blücher und Wellington mag ein Schlüsselerlebnis sondergleichen für den jungen Ben Siegert gewesen sein.

Er gehörte somit zu jenen jungen Ärzten, die unmittelbar nach ihrem Medizinstudium die Gelegenheit, ja die Pflicht hatten, ihre Berufskenntnisse anzuwenden. Als Jahrgang 1796 war er in einer Zeit aufgewachsen, die Kriegsereignisse aller Art kannte und die tüchtige Chirurgen besonders dringend erforderte. Schon als Kleinkind lauschte er den Gesprächen der Erwachsenen über Schlachten und die möglichen Konsequenzen der Napoleonischen Kriege, und er war zehn Jahre alt, als der französische König sich zum Kaiser krönen ließ. Für viele Zeitgenossen galt Bonaparte als ein allmächtiger Herrscher, der sich Frankreich, Europa und etliche Länder darüber hinaus in Nordafrika, am Mittelmeer, im westasiatischen Bereich und im tiefen Russland zu Eigen machen wollte. In der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 stand er noch als großer Sieger im Rampenlicht des europäischen Geschehens und so manche Zeitgenossen in Deutschland – in Thüringen und Sachsen ebenso wie in Schlesien – mag die Ahnung beschlichen haben, es mit dem zukünftigen Imperator zu tun zu haben. Doch die Einzelstaaten und ihre Einheiten, so auch das freiwillige Jäger-Detachement aus Magdeburg, sannen auf Revanche und blieben wehrhaft. Dies bekam Napoleon bald zu spüren. Weder die Kontinentalsperre vom November 1806 führte zu den Konsequenzen, die er sich vor allem gegen das erzverfeindete Königreich England erhoffte, noch ließ ihn die Völkerschlacht bei Leipzig von 1813 als allmächtigen Kriegsherrn erscheinen. Vielmehr offenbarten sie seine strategischen Schwächen und militärischen Übereifer.11 Dies fand seinen Niederschlag am empfindlichsten im Feldzug gegen Russland 1812, wo ihm in vielerlei Hinsicht wahrlich die Grenzen seines Tuns aufgezeigt wurden. Im Grunde verengte sich die internationale Gemengelage peu à peu zu seinen Ungunsten. Am deutlichsten wurde sein Unvermögen schließlich in den finalen Waffengängen auf belgischem Boden, wo der französische Kaiser ein ums andere Mal schwerste Niederlagen einstecken und satte Verluste an Menschen, Tieren, Territorien und materieller Kultur hinnehmen musste. Waterloo war so etwas wie der Anfang Heer als auch in den Reihen der Verbündeten, zu denen viele Hannoveraner, Schlesier, Württemberger und Söldner aus anderen europäischen Regionen gehörten, formierte sich ein brachialer Widerstand. Dieser konzentrierte sich in Waterloo abschließend massiv, im Rahmen dessen die Alliierten den Sieg davontrugen.

In allen Bataillonen waren tüchtige Mediziner tätig, von denen vor allem die Heereschirurgen alle Hände voll zu tun hatten. Zu diesen gehörte auch Ben Siegert, der sich im Alter von gerade mal 19 Jahren rekrutieren ließ und in den Reihen der schlesischen Jäger einen rauen Dienst versah. Kaum 20 Jahre alt, erlebte er die Grausamkeiten und Nöte des Krieges, der noch keine Panzer, ABC-Waffen oder andere moderne Vernichtungswaffen kannte, sondern noch von Mann zu Mann oder Pferd zu Pferd geführt wurde und unendlich viele Verwundungen durch Säbel, Degen, Spieße, Gewehre und Kanonen kannte.


Gebrochene Knochen, innere Blutungen, grässlichste Verstümmelungen und psychische Traumatisierungen traten täglich brutal in Erscheinung. Die Heereschirurgen mussten manches Mal sogar ohne geeignete Instrumente die Wunden versorgen, Brüche kurieren, Amputationen vornehmen. Sie begegneten mitunter Verletzten, die ihre Helfer gar nicht sehen konnten, weil ihnen die Augen ausgestochen worden waren. Benjamin Siegert hatte in sehr jungen Jahren als angehender Wundarzt die Schrecken von Kriegsereignissen kennengelernt. Zudem musste er früh lernen, dass Heereschirurgen nicht nur den Soldaten zu dienen hatten, sondern häufig auch als Allgemeinmediziner der Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Für so manche Patienten kam gar jede Hilfe zu spät. Die permanente Begegnung mit dem Tod zermürbte zusehends. Diese Generation, die ausgangs des 18. Jh. zur Welt kam, bekam quasi das Unheil bereits in die Wiege gelegt. Diese hartgeprüfte Altersgruppe lernte allerdings auch, was Dinge wie Verlässlichkeit, Treue, Loyalität, Hilfsbereitschaft und Freundschaft in Notzeiten bedeuteten, und richteten die Zukunft ihres Lebens entsprechend ein. Ben Siegert scheint ein solcher gefestigter und gleichwohl heiterer Zeitgenosse geworden zu sein. Jedenfalls deuten sehr viele persönliche Charaktereigenschaften ziemlich klar darauf hin.

Ein außergewöhnliches Kontrastprogramm: Einmal Waterloo und zweimal Paris!

Neben den denkbar grausamen und blutigen Herausforderungen des Heereschirurgen durchlebte Ben im krassen Gegensatz dazu grandiose Höhepunkte seines jungen Lebens. Dazu gehörten sicher nicht nur die Übung, das Talent und die frühe Erfahrung im Bereich der Medizin Operation und Heilung, sondern dass selbst im Krieg die Soldaten auch als Individuen, gewissermaßen außerdienstlich, beeindruckende Höhepunkte erleben durften. Ihnen mag die seltene Gunst der Stunde unvergesslich in fabelhafter Erinnerung geblieben sein. So war es Ben vergönnt, in seinen aufregenden Spätjugendjahren zweimal die faszinierende Weltstadt Paris zu besuchen und die schöneren, ja die wunderbaren Seiten des Lebens kennenzulernen. Welch eine phantastische Stadt, in der vor gut einem Vierteljahrhundert die Revolution stattgefunden hatte! Der Vorort immerwährender Träume von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit! Die Stadt als Held! Und mit welchem Vergnügen hatte Benjamin Siegert in der Oberprima Jean-Jacques Rousseau gelesen und dessen Freiheitsbegriff in sich aufgenommen wie der trockene Schwamm das Wasser: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will!“ Wie oft dachte er in seinem späteren Leben an diese Worte des großen französischen Philosophen – immer dann, wenn er über seinen ältesten Bruder nachgrübelte, der mit ihm zuweilen hart ins Gericht ging. Er empfand sein Leben wie seinerzeit Rousseau zu Recht als sehr entbehrungsreich und auch ein bisschen unstet. Aber mit seinem Lieblingsphilosophen hatte er die Tatsache gemein, dass weder dieser noch er die Französische Revolution live erlebten. Rousseau starb bereits 1778 – Ben wurde erst 1796 geboren. Aber Rousseaus Einfluss und seine Gedanken lebten fort und ließen die Ereignisse von 1789 nicht ohne seinen Geist erdenken. Ebenso zehrte Ben bei seinen späteren politischen Aktivitäten in der bolivarianischen Revolution und danach vom Gesellschaftsvertrag in Lateinamerika, wie ihn sich der verehrte Schöpfer des contrat social vorgestellt haben mag. Der Naturmensch Ben Siegert war gewiss ein glühender Anhänger der natürlichen Lebensweise und Erziehung Rousseaus. Er zehrte er als Zeitgenosse der beginnenden Moderne sehr von der Kultur und praktizierte sie vorbildlich. Sie bedeutete ihm in erster Linie Bewusstseinserweiterung. Jedenfalls lebte und erzog er seine zahlreichen Söhne und Töchter danach.

Es mögen in Waterloo nicht nur die Pausen und Entspannungsphasen gewesen sein, die Ben genügend Kraft tanken ließen, bevor er sich wieder mit Nadel, Faden, Messer und Knochensäge an die Hilfe für schwerverletzte Kameraden machte. Die geschilderten Grausamkeiten des Schlachtfeldes haben ihn die Grenzbereiche des Seins erleben lassen. Für seine aufopferungsvollen Taten und vielen erfolgreichen Operationen erhielt er als Anerkennung die Verdienstmedaille von 1815. Doch wie teuer war diese Ehrung erkauft? Die vielfältigen Traumatisierungen wurden seine lebenslangen Begleiter.

Am Ende der berühmten Schlacht im belgischen Waterloo war der blutjunge Médicin schon zu einem erstaunlich gereiften Zeitgenossen herangewachsen. Ihn konnte nicht mehr viel überraschen oder gar erschüttern. Er hatte inzwischen gewissermaßen am eigenen Leib erfahren müssen, nicht zu voreilig oder unvorsichtig zu sein und ernsten Gefahren mit der nötigen Sensibilität und ganzheitlichen Diagnose zu begegnen.

Ende der napoleonischen Kriege, Wiener Kongress und Studienabschluss in Berlin

Man schrieb das Jahr 1815. In Europa läuteten nach einer Zeit, in der das Blutvergießen nicht hatte enden wollen, endlich die Friedensglocken.

Nach der Schlacht von Waterloo begab sich Siegert 1816 zu den beiden Brüdern nach Halberstadt Der Älteste, Johann, war dort inzwischen als Arzt zu beträchtlichem Ansehen gelangt, der Bruder Gottfried führte erfolgreich eine Konditorei. In Halberstadt verweilte Ben Siegert bis zum Beginn 1817 beim Bruder Johann und bereitete sich dort bestmöglich auf sein restliches Studium vor. Im März desselben Jahres erfolgte ein Umzug zurück nach Berlin, wo er – so hatte es ihm Johann geraten – das Studium wieder aufnahm und nahezu vollständig zu Ende brachte. Der Älteste vertraute ihm voll und ganz und war vermutlich sehr stolz auf den Jüngsten, dessen Medizinstudium er bis 1819 finanzierte und dem er permanent mit Rat und Tat zur Seite stand.

1816 war ein schlimmes Jahr, das die Zeitgenossen in Europa wegen der weitreichenden Folgen eines Vulkanausbruchs in Indonesien als das „Jahr ohne Sommer“ in Erinnerung behielten. 1816/17 ging als Zeit der Missernten und des Hungers in die Annalen ein. Die explodierenden Getreidepreise beraubten tausende Familien ihres Realeinkommens und „puschten“ sie zur massenhaften Emigration in jene Länder, die ein komfortableres Leben verhießen, allen voran Amerika, das junge „Land der Zukunft“. Es sollte die schwerste Armutswanderung des 19. Jh. vom Typ „Ancien“ bleiben.12

Ben verweilte in Berlin in der zielbewusst gewählten Profession bis ausgangs des Jahres 1819, sah sich dann jedoch nach beinahe gänzlicher Vollendung seiner Studien durch besondere Umstände bewogen, den bewussten Schritt zu tun und seine Dienste wieder auf einem Schlachtfeld zur Verfügung zu stellen. Er wird gewiss auch vom Fernweh erfasst worden sein und sich von den südamerikanischen Tropen geradezu magisch angezogen gefühlt haben. Und da war schließlich der Freiheitsgedanke den die Zeitgenossen Humboldts, Bolívars und viele Mitwirkende des „Labors Aufklärung“ in der nachrevolutionären Zeit im französischem Hoheitsgebiet und ganz aktuell auf dem Südlkontinent Amerikas erlebten.

Es war allenthalben Aufbruchstimmung und der politische Umbruch in Gang gesetzt worden.

1 Bilder von Groß Walditz und der Ritterakademie Liegnitz in: Werner Siegert, Das Angostura Geheimnis, Düren 2021, S. 9 u. 19.

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