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Vorwort

Wie fast jedes Buch hat das vorliegende eine jahre-, ja sogar jahrzehntelange Vorgeschichte. 1979 ging’s los. Sie begann im Grunde mit der Entscheidung, die mannigfaltigen historischen Beziehungen zweier Länder unterschiedlicher Prägungen, Denkweisen und Lebensstile näher unter die Lupe zu nehmen, wobei meine Wahl auf Venezuela und Deutschland fiel. Beide Länder sind durch eine lange und ungeheuer spannende Geschichte miteinander verbunden – sicher dokumentiert spätestens seit den 1520er Jahren durch Geschäftsberichte des Augsburger Kaufmanns- und Handelshauses der Welser, verfestigt durch weitere Handelsbeziehungen zwischen den deutschen Handelskontoren und der spanischen Kolonie, präzisiert durch die geografischen und botanischen Erkenntnisse, die der deutsche Universalgelehrte Alexander von Humboldt nach 1799 auf seinem mehrjährigen „Besuch“ (der „Amerikanischen Reise“) ins damals noch so genannte Vizekönigreich Neuspanien dokumentierte, sowie alle weiteren Handels- und Familienbeziehungen der darauffolgenden Jahre. Die Begegnung Humboldts mit Simón Bolívar 1805 in Paris und Italien und schließlich die Beteiligung in Deutschland rekrutierter Helfer am Unabhängigkeitskampf Venezuelas von Spanien im zweiten und dritten Jahrzehnt des 19. Jh. eröffnete eine Fülle von Begegnungen, Kontakten, die teilweise bis in die Gegenwart bestehen und kräftige Nachwirkungen entfalten.

Die Spannung und Farbigkeit des Beobachtungsfelds steigerte sich zunehmend, je länger ich darüber las, hörte, nachdachte und schließlich diesem Faszinosum „erlag“.

Eines Tages, es war der 30. September 1985, erreichte mich eine briefliche Anfrage des Leiters des Goethe-Instituts in Caracas, das in Venezuela aus naheliegenden Gründen Asociación Cultural Humboldt (ACH) heißt. Deren damaliger Chef Heinrich Telaak wandte sich an mich mit folgendem Anliegen:

„Lieber Herr Walter,

könnten Sie herausfinden, ob Heinrich Friedrich Wilhelm Achaz (sic!) von Bismarck („ein ganz schamloser Lump“) sich je in Groß-Kolumbien oder Venezuela aufgehalten hat und ob sein Büchlein irgendwo einzusehen ist?

Mit herzlichem Dank für Ihre Mühe und freundlichen Grüßen

Ihr Heinrich Telaak“.

Als Anlage war ein Artikel des SPIEGEL Nr. 36/1985, beigefügt, in dem es um das Buch des DDR-Historikers Ernst Engelberg ging, der darin eine solche Andeutung formuliert hatte, den Ausgang jedoch offenließ.

Mit der Recherche zu dieser spannenden Frage von möglicherweise gehöriger Tragweite war in mir die glimmende Forscherglut zu einem heißen Feuer entfacht worden. Viele der folgenden Nächte blieben ohne Schlaf und Ruhe. Die einfache Anfrage war drauf und dran, mich in einer Weise zu vereinnahmen, die man nicht mehr wirklich gesund nennen konnte.

Um es kurz zu machen: Das erweiterte Ergebnis des nachhaltigen Recherchefiebers liegt vor Ihnen!

In diesem sequenziellen Buch geht es darum, Puzzle zu spielen und die einzelnen Teilchen zu einem Gesamtbild zu drapieren. Im Grunde sind Wissenschaftler und auch Autoren potentielle Puzzlespieler. Anders ausgedrückt: Sie sind permanent damit beschäftigt, die Atome und Moleküle zu identifizieren, aus denen das Leben – hier wesentlich im napoleon-zeitlichen Europa und in Angostura am Orinoco von 1820 bis 1870 und darüber hinaus – erwuchs. Dieser Mikrokosmos konzentrierte sich auf eine Person und ihren ausgedehnten Familienverband – nämlich Ben Siegert und seine Lieben – und auf sein flüssiges Produkt, seine „Erfindung“, den „Angostura (Aromatic) Bitters“. Eine wahrhaftige dramatische Geschichte vom Schöpfer und seiner heilsamen wie aromatischen Kreation, eine Erzählung vom Kontrast zeitweilig überschäumenden Lebens und grausiger Todesereignisse von Mensch und Tier, eben ein buntes Gemälde der Lebewesen am temporär heftig wasserdurchfluteten Rand der Tropen in seiner zeitgenössischen Dialektik. Das Werk sollte ein Schlaglicht werfen auf die animalischen, menschlichen und pflanzlichen Formen, Figuren und Farben in ihrer wechselvollen, sich häufig gegenseitig aufschaukelnden, facettenreichen Lebensgemeinschaft, die herzzerreißendes Leid, aber auch ausgelassene Freude und sagenhafte Glücksmomente mit sich brachte.

Mit dem Werk ist eine Dankbarkeit verbunden, die vielförmiger und eingehender nicht sein kann. Nicht nur, dass 40 Jahre Lektüre von Akten, Schriften, Büchern und vielfältigen Fachorganen sowie die lebendigen Vorträge und prägenden Geschehnisse zahlreicher Venezuela-Reisen einflossen. Auch viele Glücksfälle, Zufälle, wildeste Kombinatorik, Ahnungen, Vermutungen, Tatsachen und Phantasievorstellungen begannen, den „Wissenstopf“ zu füllen und alles miteinander zu vermengen. Bevor das „Mahl“ jedoch die Grenze der Ungenießbarkeit erreichen und gar zu überschreiten drohte, legte ich den Füller aus der Hand und stellte den Laptop in die Ecke, um mit einem Quäntchen Glück und bedingt gerechtfertigter Zuversicht zu wagen, das Pamphlet zu Beginn der 2020er Jahre in die Runde einer kritischen und hoffentlich wohlgesonnenen Leserschaft zu werfen.

Ich hatte den Trost und das Heilmittel permanent vor Augen: das Angostura-Bitters-Fläschchen mit dem leuchtend gelben Verschlussdeckelchen samt gegen den Uhrzeigersinn zu drehendem Gewinde zur Bewahrung des kostbaren Inhalts. Dieses Utensil brauchte ich bei wiederholter Durchquerung tiefer mentaler Täler nur vor mir auf den Schreibtisch zu stellen – und mit einem Mal war jegliches Wölkchen leicht depressiver Natur wie verflogen. Welch ein Wunder! Meine Empfehlung: Machen Sie’s doch genauso!

Zu jederzeitigem Stimmungsumschwung trugen darüber hinaus viele liebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Frau, Tochter und „Enkele“ sowie zahllose ähnlich Unverdrossene bei, deren Hilfe und Zuspruch gar nicht lobend genug zum Ausdruck gebracht werden kann.

Schließlich gibt der Autor erleichtert Kunde von seiner zur Gewissheit gewordenen Annahme, nicht von allen guten Geistern verlassen, sondern von solchen umgeben zu sein.

Kurzum: Ich bin diesem spannenden Thema ziemlich verfallen, das eine wahre Expansionskraft und mächtige Einflussnahme offenbarte. So sollten sich nun einige hundert Mitmenschen verschiedenster Couleur und aller Klassen und Schichten innig umarmt und für den Schlussstrich meine feierlich zitternde Hand fühlen: !Muchas, muchísimas gracias! Encantado; mucho gusto! Ich hoffe sehr, es allen angemessen persönlich sagen zu können. Für diesbezüglich recht wahrscheinliche Unmöglichkeiten bitte ich schon jetzt von Herzen und nachhaltig um Verzeihung.

Hamburg, Jena, Kirchheim/Teck, im März 2022

Rolf Walter

Angostura

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